Die
Spiele aus brasilianischer Sicht
Ich bin in einem Raum mit sechs TV-Geräten und kann
somit sechs verschiedene Wettbewerbe gleichzeitig sehen. Trotzdem sehe ich
nicht alle Wettkämpfe. Das was der Zuschauer zu Hause empfängt hängt also stark
von der Auswahl, die der Fernsehsender trifft ab. Es kann sogar innerhalb einer
Sportart ausgewählt werden. Beim Mannschaftsturnen waren die deutschen und die
brasilianischen Frauen gleichzeitig an den Geräten. Während das brasilianische
Fernsehen nur die brasilianischen Turnerinnen zeigte, haben sich die deutschen TV-Anstalten
sicherlich auf de deutschen Athletinnen konzentriert.
Das bedeutet, daß die Spiele in verschiedenen
Ländern der Welt ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. Brasilien steht unter
einem ganz besonderem Stress, da das Land sich als Gastgeber gut darstellen
möchte. Organisatorisch sind die Brasilianer bisher zufrieden, denn es gab
keine größeren Pannen, keinen Terroranschlag und alle Wettbewerbe fanden
ordnungsgemäß statt. Das wird in Deutschland ganz anders dargestellt, denn in
deutschen Zeitungen habe ich schon viele Beschwerden, über fehlenden Strom, den chaotischen Verkehr, die Beschneidung der Meinungsfreiheit oder einen Überfall auf amerikanische Athleten gelesen.
Unzufrieden sind die Basilianer allerdings mit ihrer
Medaillenausbeute. Im Moment hat Brasilien sechs Medaillen gewonnen (1xSchießen,
2xTurnen und 3xJudo). Somit überrascht es kaum, dass diese Sportarten, plus
Fußball und Basketball, im Mittelpunkt des Interesses stehen. An diesen
Sportarten werden gewissen soziale Themen des Landes diskutiert.
Die heftigste Diskussion ist bisher eine Art Krieg
der Geschlecher, der besonders an den guten Darbietungen der Fußballfrauen und
dem enttäuschenden Auftreten der Fußballmänner festgezurrt wird. Nach dem
Auftreten gestern Abend gegen Kolumbien haben die Männer wieder etwas an Boden
gewonnen und in Sozialen Netzwerken kommt das Wort „Mödchen“, will heißen „Fashionvictim“
auf. Es wirft Personen, die die Frauenmannschaft unerstützen vor, einer Mode
hinterher zu rennen.
Es wird auch oft betont, dass Frauen weniger
verdienen, als Männer und somit die Medaillen von Rafaela Silva und Mayra
Aguiar mehr wert seien. Es kommt inzwischen der Begriff der „Spiele der
Überwindung“ auf. Damit bezieht man sich auch auf die Siege von Monica Puig im
Tennis und Majlinda Kelmendi, die die ersten Medaillen überhaupt für ihre
Länder Puerto Rico und Kosovo gewinnen konnten. Im Gegensatz dazu wurde die
Pioniertat der Rugbier aus Fidschi praktisch übersehen.
Besonders der Sieg von Rafaela Silva deutet eine
ander wichtige Diskussionslinie an, die sich auf den brasilianische Rassismus
bezieht. Erneut wird oft darauf aufmerksam gemacht, wie wenig Unterstützung
Rafaela bekommen hat und wie sehr sie gegen unsichtbare Barrieren ankämpfen
musste. Am Dienstag wird Robson Conceição um Gold boxen und sicherlich ähnliche
Kommentare provozieren. Heute hat Arthur Nory im Turnen Bronze gewonnen. Nory
ist vor ein paar Monaten durch Videos im Internet mit rassistischem Inhalt
aufgefallen.
Die brasilianische Presse liebt es jedes Duell
zwischen Brasilien und Argentinien als Klassiker darzustellen. Somit wird
jedesmal die Stimmung angeheizt und in der Folge wächst die Angst vor
Fanausschreitungen. So gab es gestern vor dem Basketballduell der beiden
Nachbarn mehrere „Friedensaktionen“. Der brasilianische Spieler Anderson Varejão
hat zum Beispiel ein Video aufgenommen, in dem er zu einem friedlichen Spiel
aufruft. Es wurden aber auch verstärkt Artikel, die die freundlichen
argentinischen Fans darstellen, produziert.
Aber der wichtigste Sport bleibt der Fußball und da
dämmert es den Brasilianern gerade, dass sowohl bei den Männern, als auch bei
de Frauen, eine große Chance auf ein Finale Brasilien – Deutschland, besteht. Das
ruft natürlich Erinnerungen an 2014 hervor und so beginnen die ersten Witze mit
der Zahlenkombination 7:1 im Internet zu erscheinen. In Diskussionsrunden
sehnen sich einige Fans das Duell gegen Deutschland herbei, um Rache zu nehmen,
andere würden Deutschland hingegen gerne vermeiden. Das Trauma steckt immer noch
tief.