Es regnet – Endlich! In Rio war dieser Sommer
einfach unerträglich heiß und trocken. Es hat fast zwei Monate nicht geregnet.
Ich habe das Wochenende in Belo Horizonte verbracht und fand dort angenehme 20°
vor. Somit konnte ich ein Spiel des Campeonato Mineiro, also der Meisterschaft
von Minas Gerais, anschauen. Auf dem Programm stand der brasilianische Meister
Cruzeiro gegen Tupi aus Juiz de Fora im WM-Stadion Mineirão.
Zufällig war mein Freund Peer auch gerade in BH und
so machten wir uns gemeinsam auf die Suche nach interessanten Geschichten. Peer
wollte die Fantribüne erklimmen und etwas über die Veränderungen der Fanszene
erfahren. Das ist uns auch gelungen. Erst Mal konnten wir schon bekannte Phänomene
beobachten: Fünf Minuten vor Anpfiff war das Stadion noch so gut wie leer.
Später waren dann doch 12.000 Fans da. Aber der Schnitt der Minasmeisterschaft
liegt auch nur bei etwa 3.000. Außerdem wird es immer schwerer Torcidas Organizadas
zu erkennen: Fahnen, Transparente und Trommeln wurden zur Mangelware. Immerhin
hält man in BH am traditionellen Stadionessen, dem Feijão Tropeiro, eine
Bohnen-Maniok-Mischung fest.
Ich konnte mich noch dunkel daran erinnern, dass es
Nachrichten gab, dass Cruzeiro allen Torcidas den Zutritt verwehrt hätte. Als
wir auf den Oberrang kamen, fanden wir jedoch eine Gruppe mit Namen „Geral
Celeste“, die eifrig trommelten und sangen. Sie zeigten das Verhalten, das seit
etwa 2007 in Brasilien in Mode ist: argentinische Lieder und wenig Schimpfwörter.
Irgendwann sah ich dann sogar einen Fan, der Flyer verteilte, auf dem die Fans
dazu aufgefordert wurden nicht auf den Sitzen zu stehen. Peer nannte das dann
später streberhaft.
In der Halbzeitpause interviewten wir Leonardo, den
Präsidenten der Geral Celeste. Er erklärte uns, dass seine Gruppe eine „gute“
Torcida sei, die Gewalt und Schimpfwörter ablehnt. Sie haben keine eigenen
Mitglieder, sondern alle Fans der Geral Celeste sind Mitglieder beim Verein
Cruzeiro. Damit soll alles für den Verein getan werden. Der Mitgliedsbeitrag
beträgt R$120, also etwa €40, alle Heimspiele von Cruzeiro sind da inklusive. Bedenkt
man, dass selbst das Spiel gegen Tupi R$80 gekostet hat, so ist das günstig.
Gar nicht günstig ist es natürlich für den Fabrikarbeiter, der R$700 im Monat
bekommt.
Leonardo erklärte uns auch, dass die traditionellen
Torcidas im Moment nicht ins Stadion dürfen, da es letztes Jahr Zwischenfälle
gab. Die Geral Celeste ist von diesem Stadionverbot aber verschont geblieben. Dem
Verein und seiner Marketingabteilung muss so eine Torcida ja Recht sein.
Insgesamt verkörpert die Geral Celeste sehr gut die
neuen Zeiten im brasilianischen Fußball: die neuen Fans haben Geld, um sich die
teuren Monatsbeiträge zu leisten, sie distanzieren sich von rauem Fangehabe und
finden die neuen Arenen toll. Eines muss man ihnen lassen: gute Stimmung haben
sie gemacht. Überhaupt haben diese neuen Fangruppen ein gutes Gespür für neue
Ohrwürmer. (www.geralceleste.com.br)
Themenwechsel: nach dem Spiel trafen wir den Spieler
Tinga von Cruzeiro, der schon beim BVB aktiv war. Er kam ins Gespräch, da er
bei einem Libertadores-Spiel in Peru rassistisch beleidigt wurde. Danach gab er
ein Interview, in dem er sagte: „Ich würde alle meine Trophäen zurückgeben,
wenn ich sowas nicht mehr mitmachen müsste.“ Letzte Woche gab es auch zwei
Zwischenfälle in Brasilien: in São Paulo und Rio Grande do Sul. Die
Dunkelziffer ist wahrscheinlich auch in Brasilien noch viel höher.
Tinga war sehr nett und sagte uns im Interview, dass
es leider überall auf der Welt Rassismus gäbe. Ihm würde es als Fußballspieler
leichter fallen darüber hinwegzusehen. Interessant fand ich die Parallelen, die
er zu Deutschland zog. Tinga analysierte, dass es den Brasilianern an Bildung
fehlen würde. Seine Kinder sind in Deutschland zur Schule gegangen und haben immer
berichtet, dass es dort Aufklärung gegen Rassismus gab. Das würde in Brasilien
komplett fehlen und müsste dringend nachgeholt werden. In Deutschland hätten
weder er noch seine Familie Rassismus erlitten.
Diese Beobachtung ist interessant, denn meistens
meint man, dass Deutschland rassistisch wäre und Brasilien antirassistisch. Was
uns Tinga erzählt dreht dieses Weltbild auf den Kopf. Sicherlich gibt es in
Deutschland weiterhin Idioten, die rassistische Parolen brüllen. Aber es ist
auch meine Erfahrung, dass man in Deutschland mit antirassistischer Aufklärung
nur so überschüttet wird. Die Brasilianer verharren jedoch in ihrer sorglosen
und unreflektierten Überzeugung, dass sie keine Rassisten wären. Das geht sogar
soweit, dass sich der ein oder andere zum Moralapostel anderen Ländern
gegenüber aufschwingt. Da brauchen wir noch viele Tingas.
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