Mit
dem Finale des Weltpokals endet die brasilianische Fußballsaison. Für Atlético-MG,
und somit für Brasilien, endete das Jahr mit Schrecken. Selbst der dritte Platz
im Weltpokal ist nicht genug: Ronaldinho wurde vom Platz gestellt und ein 3:2
gegen eine chinesische Mannschaft grenzt ans Lächerliche. Brasilien fragt sich:
wie wäre ein Finale gegen den Weltmeister Bayern ausgegangen und wo steht der
brasilianische Fußball im internationalen Vergleich? Wir werden es 2014 sehen.
Damit
wünsche ich meinen Lesern frohe Weihnachten und einen guten Rutsch. Zur Saison
2013, so gegen den 18.01.2014, melde ich mich zurück. Jetzt brauche ich ein
paar Tage Urlaub.
Ich gebe zu, dass der heutige Post eher was
für Leute mit gewissen Portugiesisch-Kenntnissen ist. In Brasilien kam in den
letzten zwei Jahren die Mode auf, dass Komödianten ihre Sketche als kurze
Videos auf You-Tube veröffentlichten. Einige von ihnen erschufen damit ihre
eigenen Seiten und erreichen ein Millionen-Publikum. Mehrere von ihnen
thematisieren dabei das Fußballgeschehen und besonders die Vorkommnisse beim
Confed-Cup. Einige dieser Komödianten möchte ich heute vorstellen.
Imagina na Copa!
„Stell dir das bei
der WM vor!” wurde im letzten Jahr zu einem geflügelten Wort, das man täglich
in unangenehmen Situationen, wie Verkehrsstaus oder überfüllten Bussen zu hören
bekam. Eine Komödiantengruppe übernahm das Shit New Yorkers Say und produzierte
eine Version für Rio. Es werden typische Situationen und Diskurse des täglichen
Lebens dargestellt, darunter auch mehrfach das „Stell dir das bei der WM vor!”.
Die letzte Szene beschreibt schließlich die gängigen Stereotype der vier großen
Klubs Rios:
Dilma
Eines der großen
Themen des Confed-Cups war die Homophobie des Kongressabgeordneten Feliciano. Der
Komödiant Gustavo Mendes schlüpfte in die Haut von Präsidentin Dilma und
versucht mit Anrufen und Ansprachen an die Nation sein Land auf den rechten Weg
zu bringen. Am 06. April 2013 rief er/sie Feliciano an. Mit der unsterblichen
Argumentation, dass Feliciano ja Feliz Anus, also Glücklicher Anus, bedeuten
würde, wollte er Feliciano umstimmen:
Rafucko
Der Komödiant
Rafucko hat eine sehr politische Einstellung und nimmt in allen seinen Videos
zu einem aktuellen Thema rund um die WM Stellung. In der Rolle des Millionärs
Eike Batista, der das Maracanã zum Geburtstag bekommt, gelingt ihm eine Hommage
an Chaplins „Der große Diktator“. Es handelt sich um einen international
verständlichen Stummfilm:
Porta dos Fundos
Der große Name ist
jedoch die Komödiantentruppe „Porta dos Fundos“, die zwei Mal wöchentlich einen
neuen Sketch veröffentlicht. Während des Confed Cups spielten sie eine
köstliche Notsitzung des Regierungskabinetts. Die Präsidentin muss dabei ihren
Ministern erklären, dass diese zumindest zeitweise weniger korrupt sein müssen:
Porta dos Fundos hat mehrere Videos mit direktem Fußballbezug:
Brasilien steht unter Schock: Atlético/MG verliert
1:3 gegen Raja Casablanca bei der FIFA Klub-WM. Damit wird das Team aus Marokko
am Samstag auf Bayern im Finale treffen.
Der Weltpokal ist der große Traum eines jeden
brasilianischen Spielers und Fans und hat somit eine ungleich höhere Bedeutung
als in Deutschland. Ich war im September in Belo Horizonte und die Leute dort
haben mich die ganze Zeit gefragt, welche Erwartungen ich hätte und ob Atlético/MG
eine Chance gegen Bayern hätte. Nun das werden wir jetzt nicht mehr erfahren.
Dementsprechend ist auch Atlético/MG schon am 09.12.
in Marokko angekommen, um sich so perfekt auf den Weltpokal vorzubereiten. Sie
sind also heute schon ihren zehnten Tag in Marrakech. Der brasilianische Pressetross
ist auch mit angereist und hat zum Beispiel Reportagen über die lokale Küche
mit ihren Schafshirnen und -augen gemacht.
Die letzten Ligaspiele wurden mit der
Reservemannschaft bestritten. Aber heute gegen Casablanca waren alle Stars auf
dem Platz: Ronaldinho Gaúcho, Jô, Josué (ex-Wolfsburg), Tardelli etc. Atlético/MG
bestimmte nur in den ersten 30 Minuten das Spiel, kam aber zu keiner nennenswerten
Chance. Dann drehte Casablanca auf. Richtig schön kontrolliert und konzentriert
wurden die Spielzüge aus der Abwehr heraus aufgebaut. Wenn es lange Bälle gab,
dann kamen diese immer an. Zu Beginn der zweiten Halbzeit führte dann so ein
langer Ball zum 1:0.
Der wie immer überbewertete und arrogante Ronaldinho
Gaúcho viel bis dahin nur durch Fehlpässe auf. Als er seinen berühmten Trick –
Elástico, also Gummiband – an der Strafraumgrenze aufführte nahm ihm ein
Verteidiger von Casablanca fast gelangweilt den Ball ab. Kurz darauf gab es
jedoch einen Freistoß, den Ronaldinho Gaúcho sehr gekonnt verwandelte.
Casablanca ließ sich aber nicht aus dem Konzept
bringen und erhöhte durch einen zweifelhaften Elfmeter. In der letzten Minute fiel
das entscheidende 3:1, erneut nach einem Konter. Die Fans von Casablanca
sorgten schon während des gesamten Spiels für Stimmung, doch jetzt waren sie
gänzlich aus dem Häuschen. In Belo Horizonte wurde das Spiel auf einer
Großbildleinwand im Stadion gezeigt. Dort sah man nur entsetzte Gesichter.
Nach dem Schlusspfiff sah man noch sehr kuriose
Bilder: die Spieler von Casablanca umringten Ronaldinho Gaúcho und umarmten ihn
der Reihe nach. Dann begannen sie ihn auszuziehen und nahmen seine
Kleidungsstücke als Trophäe mit. Sie hatten nicht nur gegen ihr Idol spielen
dürfen, sondern konnten es sogar besiegen.
Am Vortag besiegte Bayern den asiatischen Champions
League Sieger Guangzhou aus China mit 3:0. Bei den Chinesen sind zwei Brasilianer
und der Argentinier Conca, der ab Januar wieder zu Fluminense zurückkommt,
unter Vertrag. Das Spiel war so langweilig und einseitig wie man es erwartet hat.
23:2 Torschüsse und 70% zu 30% Ballbesitz sprechen Bände. Selbst wenn Guangzhou
alle seine Torschüsse verwandelt hätte, hätte Bayern noch gewonnen und konnte
es sich leisten 20 Schüsse zu vergeben.
Die FAZ hat meines Erachtens einen gelungen
Vergleich gemacht: der Weltpokal ist wie eine Weihnachtsfeier auf die man
keinen Bock hat, aber aus beruflichen Gründen gezwungen ist, daran
teilzunehmen. Es ist eigentlich ein Ehre eingeladen zu sein, aber der
sportliche Wert ist äußert fraglich. Die großen Klubs aus Europa und Südamerika
können eigentlich nur verlieren. Atlético/MG muss jetzt mit dem Spott leben,
ist aber im Übrigen in guter Begleitung. Schon 2010 verlor Internacional aus Porto
Alegre gegen Mazembe aus dem Kongo mit 0:2.
Mein
Saisonrückblick hat sich etwas verschoben, da ich die Entscheidungen des
Sportgerichtes noch abwarten wollte. Eigentlich wäre das große Ereignis der
brasilianischen Meisterschaft 2013 nicht in etwa, dass Cruzeiro gewonnen hat,
sondern, dass der letztjährige Meister Fluminense abgestiegen ist. Es ist
wirklich unfassbar mit anzuschauen, wie eine brillante Mannschaft in ihre
Einzelteile zerlegt und verkauft wird. Im Anschluss daran sind die
verbleibenden Spieler nicht mehr in der Lage einen Fuß auf den Rasen zu setzen.
Fluminense hätte den Abstieg verdient gehabt.
Aber
nach dem letzten Spieltag erschien die Meldung, dass Portuguesa einen Spieler
eingesetzt hat, der eigentlich gesperrt war. Heute erklärte das brasilianische
Sportgericht Portuguesa für schuldig und sprach einen vier Punkteabzug aus.
Damit ist Portuguesa abgestiegen und Fluminense gerettet.
Die
gleiche Strafe erhielt Flamengo für den unzulässigen Einsatz eines Spielers. In
diesem Fall gab es aber keine größeren Konsequenzen, da Flamengo nicht
abstiegsgefährdet war.
Abgestiegen
sind dagegen Náutico, Ponte Preta und Vasco. Letztere klagten, ohne Erfolg,
gegen die Wertung des Spiels gegen Atético/PR in Joinville mit der Begründung,
dass das Spiel wegen der Ausschreitungen länger als 60 Minuten unterbrochen
gewesen wäre. Somit steigt mit Vasco ein großer Verein aus Rio ab.
Insgesamt
ist die brasilianische Meisterschaft überraschend schlecht für die Vereine aus
Rio und São Paulo gelaufen. Diese beiden Bundesstaaten im Südosten stellen fast
die Hälfte, nämlich neun, Vereine der ersten Liga. Sie sind normalerweise die
ersten Titelkandidaten. Doch 2013 war Alles anders drei der vier Absteiger
kommen aus Rio oder São Paulo, unter den ersten sechs Plätzen befindet sich mit
Botafogo nur ein Verein aus diesen Bundesstaaten.
Kein
einziger Verein aus São Paulo hat sich für die Copa Libertadores qualifiziert. Mit
Botafogo und Flamengo konnten sich immerhin noch zwei Mannschaften aus Rio
qualifizieren, brauchten dazu aber die Hintertür. Flamengo qualifizierte sich
als Pokalsieger nach einer ansonsten völlig verkorksten Saison. Botafogo war die
letzte Mannschaft, die den Sprung noch in das internationale Turnier schaffte,
aber nur weil Ponte Preta das Finale der Copa Sulamericana verlor. Die
restlichen Libertadores-Teilnehmer Brasiliens sind: Cruzeiro (Meister), Grêmio
(2.), Atlético/PR (3.), Atlético/MG (Titelverteidiger). Der beste Bundesstaat
war damit Minas Gerais, die Heimat von Cruzeiro und Atlético/MG.
Mein
Fazit ist, dass sich leider nicht viel im brasilianischen Fußball geändert hat.
Die Vereine hängen immer noch zu sehr vom Spielerverkauf ab und können deshalb
ihre Mannschaften nicht halten. Das führt dazu, dass Mannschaften die letztes
Jahr noch Erfolg hatten, wie der Weltpokalsieger Corinthians (jetzt auf Platz
10) und der Meister Fluminense (jetzt auf Platz 16) so einbrechen. Cruzeiro und
Atlético/PR hingegen hatte niemand auf der Rechnung. Es gab in den letzten
Jahren eine gewisse Aufbruchsstimmung, die neue finanzielle Möglichkeiten
versprach. Ich glaube diese Hoffnung wurde heuer enttäuscht.
Diese Woche war ich auf einem Seminar zum Thema
Sportgroßereignisse, dass von Geografen organisiert wurde. Ich fand die
Veranstaltung interessant und wollte einige Informationen zusammenfassen.
Zunächst gab es ein eher allgemeines Panel bei dem der Geograf Chris Gaffney
grundsätzliche Daten zur WM in Brasilien aufführte. Dabei zeigte er, wie sich
brasilianische Fußballvereine finanzieren, wie die Eintrittsgelder in den
letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind und wie sich die Stadionbauten
verteuerten:
Im Anschluß stellte sich der Sportjournalist Juca Kfouri
die Frage, warum sich Menschen, die in den 1970er Jahren gegen die
Militärdiktatur gekämpft haben, wie Lula und Dilma, jetzt mit Mitgliedern
dieser Diktatur, wie Marin abbilden lassen. Juca erzählte von einem Treffen mit
Lula, bei dem der ehemalige Präsident zu verstehen gab, dass dies
Verpflichtungen des Amtes wären.
Am Nachmittag gab es einen sehr interessanten runden
Tisch, bei dem Vertreter aus allen 12 WM-Städten anwesend waren und
berichteten. Zusammenfassend sind mir folgende Punkte aufgefallen:
-
In allen Städten wird in erster Linie in
ein neues Stadion, in Straßen, oft eine Straßenbahn und den Flughafen
investiert.
-Diese Infrastrukturmaßnahmen
konzentrieren sich meist auf reiche Stadtteile und führen vom Flughafen, über
eine Hotelgegend zum Stadion.
-Meist waren die Projekte schon vor der
WM-Vergabe geplant.
-Die Teilnehmer berichteten von über
20.000 Zwangsenteignungen.
-In allen Städten übersteigen die Kosten
bei weitem den ursprünglichen Kostenvoranschlag.
-Es wird nicht wirklich in den Tourismus
investiert.
Ich finde den letzten Punkt sehr interessant, denn es ist
mir schon aufgefallen, dass man eigentlich vor Reisen nach Brasilien zur WM
warnen muss. Brasilien ist teuer geworden. Zur WM werden regelrecht
Wucherpreise in Hotels und für Flüge verlangt. Es gibt auch keine Alternative,
denn man kann die Entfernungen von tausenden von Kilometern kaum mit dem Auto
oder Bus bewältigen. Brasilien denkt überhaupt nicht an fanfreundliche Angebote
wie ein Weltmeisterticket der Bahn oder Fancamps, wie es sie 2006 gab. Man
erwartet den reichen Touristen, der zahlen kann.
Das hat Konsequenzen für die lokale Bevölkerung, die sich
darauf freuen würde ein paar Cents mit den Touristen zu verdienen. Denn ihre
Angebote werden sie in den 5-Sterne Hotels nicht anbringen können. Es werden
also wieder nur die Reichen etwas verdienen.
Würde man in eine dringend notwendige allgemeine
Tourismusinfrastruktur investieren, dann könnten auch die kleineren Anbieter
von so einem Event profitieren. Dazu wurden zwei sehr unterschiedliche
Beispiele gezeigt. Zum einen zeigte die Vertreterin aus Cuiabá, dass keinerlei
Verbesserungen an den Straßen in das Sumpfgebiet Pantanal durchgeführt wurden.
Die Stadt investiert nicht wirklich in ihr touristisches Potential. Dabei war
genau das das Argument, um Cuiabá als WM-Stadt aufzunehmen.
Auf der anderen Seite zeigte die Vertreterin aus São
Paulo, dass die Stadt schon ein riesiges Tourismusaufkommen hat und zwar mit
Events, bei der über eine Millionen Besucher erwartet werden. Zur WM rechnet
man nur mit etwa 500.000 Besuchern. Für São Paulo sind also die WM-Touristen
unerheblich. Wahrscheinlich würden sogar mehr Besucher kommen, wenn keine WM
wäre - ein schon mehrfach beobachtetes Phänomen bei anderen Sportgroßereignissen.
Das Seminar endete mit einigen Professoren aus
Deutschland, Südafrika und England, um über internationale Erfahrungen zu
sprechen. Der Südafrikaner Chris Bolsman kritisierte dabei die Fanfeste und den
Bau eines Hochgeschwindigkeitszuges. Letztere wäre nur für die Reichen und die
Fanfeste wären überwachte Räume, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Das ist
erst einmal überraschend, denn Züge gelten in Deutschland meist als die
umweltfreundlichere und günstigere Option und auch die Fanfeste galten als
Errungenschaft. Endlich würden Fans ohne Eintrittskarten nicht mehr als der
gefährliche Feind gesehen werden, sondern als willkommener Gast. Das war eine
positive Änderung. Für mich heißt das, dass Megaevents in verschiedenen
Ländern, verschiedene Wirkungen haben.
Das zeigt aber auch, dass es nicht nur innerhalb der
Gesellschaften eine soziale Ungleichheit gibt, sondern auch zwischen den
Ländern. Brasilien muss sich ständig rechtfertigen, dass es eine WM ausrichten
kann. Ähnlich erging es Südafrika. Man steckt in dem Dilemma, dass man
Missstände natürlich kritisieren will, aber Länder auch nicht herab lässig
behandeln will.
Schließlich zeigte Chris Bolsman die Originalversion von
Wacka-Wacka einer Kameruner Band. Kannte ich auch noch nicht.
Eine wichtige Entscheidung hat noch gefehlt, um die
brasilianische Saison abzuschließen: das Finale der Copa Sulamericana zwischen
Lanús aus Argentinien und Ponte Preta. Die Copa Sulamericana ist das
südamerikanische Pendant zur Europa League. Außer dem Titel für Lanús bedeutet
das Ergebnis auch, dass Botafogo der sechste Brasilianer im nächstjährigen Copa
Libertadores ist.
Aber der gestrige Tag war sehr aufregend. Die
wichtigste Meldung ist sicherlich, dass sowohl Portuguesa, als auch Flamengo am
letzten Spieltag der brasilianischen Liga Spieler eingesetzt haben, die
eigentlich gesperrt waren. Nach
brasilianischen Regeln führt dies zu einem Drei-Punkte-Abzug plus einem Abzug der
an jeweiligen Spiel gewonnen Punkte, also in beiden Fällen Vier Punkte.
Außerdem zieht Vasco vor das Sportgericht gegen die
Wertung des Spiels mit den Ausschreitungen in Joinville. Sollten allen
Protesten stattgegeben werden, dann würde Flamengo und Portuguesa absteigen.
Vasco und Fluminense wären gerettet. Somit ist plötzlich das Endergebnis der
brasilianischen Meisterschaft wieder offen. Die Nachricht führte auf der Seite
des Nachrichtenmagazins UOL zu knapp 1.000 Kommentaren in wenigen Stunden. Das
kann ja noch spannend werden.
Außerdem regnet es seit gestern sehr stark in Rio de
Janeiro. Der Verkehr bricht dann immer teilweise zusammen. In den Morgenstunde
fuhr kein einziger Zug den Hauptbahnhof an, mehrere Straßen standen unter
Wasser, unter anderem auch die Gegend um das Maracanã. Das zeigt natürlich die
Schwächen des lokalen Verkehrssystem.
Zum letzten Spieltag standen gestern noch
interessante Entscheidungen an und so versprach der Sonntag ein interessanter
Tag zu werden. In der Früh war ich erst einmal zu einer Diskussionssendung bei
Radio CBN eingeladen. Gemeinsam mit Kollegen aus England, Spanien, Italien und
Frankreich diskutierte ich die Auslosung der WM-Gruppen. Das war sehr spaßig,
denn der Moderator räumte auch Themen wie Nachhaltigkeit, Tourismus und den
Massenprotesten viel Platz ein. Zum Schluss der Sendung wurden wir gefragt, wer
wohl in der brasilianischen Meisterschaft absteigen würde. Die Meinung war
einstimmig: die Cariocas Vasco da Gama und Fluminense.
Mit dieser trüben Aussicht traf ich meinen Besuch
aus München: Steffi (60!) und Tina und wir machten uns in Richtung Maracanã
auf, wo das Spiel Botafogo – Criciúma auf dem Programm stand. Der Gastgeber
Botafogo musste das Spiel gewinnen und gleichzeitig auf eine Niederlage von
Goiás in Santos hoffen, um noch auf den vierten Platz zu kommen, der die Chance
zur Teilnahme an der Copa Libertadores aufrecht erhält. Am Mittwoch wird es das
Finale der Copa Sulamericana (eine Art UEFA-Cup) zwischen Ponte Preta und Lanús
aus Argentinien geben. Sollte Ponte Preta gewinnen werden sie und nicht Botafogo
in die Copa Libertadores einziehen. Criciúma, ein kleiner Verein aus Santa
Catarina in Südbrasilien, hingegen durfte nicht verlieren, um dem Abstieg
sicher zu entfliehen.
Die wahre Dramatik spielte sich aber in Parallelspielen
ab. Fluminense musste in Salvador gegen Bahia gewinnen und war gleichzeitig auf
Niederlagen von Vasco gegen Atlético-PR und Coritiba gegen São Paulo angewiesen,
um nicht abzusteigen. Sowohl Atlético-PR, als auch São Paulo waren mit
Platzsperren belegt und mussten so ihre Heimspiele in den kleinen Orten
Joinville in Santa Catarina bzw Itú im Hinterland von São Paulo bestreiten.
Wir kauften unsere Eintrittskarten und beobachteten die
Torcida Organizada von Botafogo, wie sie ihre Fahnen anlieferten. Es wurde eine
Choreo in Gedenken an das kürzlich verstorbene Klubidol Nilton Santos vorbereitet.
Dann gingen wir unseren Durst im „Gestiefelten Kater“ (Gato de Botas) stillen.
In Rio ist es jetzt Sommer und so kann es bis zu 40 Grad heiß werden. Nach der
Stärkung kamen wir zurück ins Stadion und stellten uns auf die Seite der
Heimfans.
34.000 gut gelaunte Botafogofans waren gekommen, um
ihre Mannschaft anzufeuern – eigentlich zu wenig für so ein entscheidendes
Spiel. Botafogo zeigte von Anfang an, wer Herr im Hause ist und baute
durchgehend Druck auf. Criciúma gelang nur einige wenige Entlastungsangriffe,
aber schon in der 9. Minute traf Lodeiro zum 1:0 für Botafogo. Nach unzähligen
versuchen erhöhten gegen Ende der zweiten Halbzeit Elias und Seedorf schließlich
zum 3:0. Bei Criciúma wurde auch noch João Vitor vom Platz gestellt.
Gleichzeitig wurden immer wieder die Tore von Santos
über Goiás vermeldet, insgesamt drei. Damit hatte Botafogo den vierten Platz sicher
und die Stimmung der Fans wurde immer besser. Nach Spielende wurden folgende Endergebnisse
vermeldet: Bahia – Fluminense 1:2 und São Paulo – Coritiba 0:1. Damit war
Coritiba gerettet und Fluminense, der Meister von 2012, abgestiegen. Für Criciúma
war nun das Ergebnis von Vasco wichtig. Aber der Stadionsprecher vermeldete: 1.
Halbzeit: Atlético-PR – Vasco 2:1. Das Spiel war noch lange nicht zu Ende.
Was war das los? Sollten am letzten Spieltag nicht
alle Spiele zeitgleich sein? Warum war dann das Spiel in Joinville noch in der
ersten Halbzeit? Als ich daheim war, konnte ich die Nachrichten im Internet
nachlesen Vasco verlor 5:1 und ist somit auch abgestiegen. Das Spiel wurde für
über eine Stunde wegen Fanausschreitungen unterbrochen. Die Fernsehbilder sind
tatsächlich schockierend. Leider ergießt sich die Presse wieder einmal in
leeren Worthülsen über die Rowdies, Verbrecher usw und erklärt nicht wirklich
was der Auslöser war.
Soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann,
spielte sich Folgendes ab. Atlético-PR wurde mit einer Platzsperre belegt und
wich deswegen nach Joinville aus, eine Stadt, die auch in Südbrasilien liegt.
Dort wurde vor wenigen Jahren ein neues Stadion gebaut, das aber brach liegt,
da die Vereine aus Joinville nicht die Erwartungen erfüllen. Das kleine Stadion
ist aus sicherheitstechnischen Aspekten ungenügend ausgestattet. Scheinbar ist
man auf die Situation eines Erstligaspiels nicht vorbereitet und hat keinen Sicherheitsdienst
zur Hand. Zu allem Überfluss hat sich dann auch die Polizei geweigert die
Sicherheitsaufgaben im Stadion zu übernehmen. Mir scheint es so, dass dieses
Verhalten Ähnlichkeiten zu einem Streik hatte, bei dem die Polizei von Stadt
und Verein entlohnt werden wollte.
Es gibt hier also handfeste Interessenskonflikte,
die fern der Fans sind. Es kommt mir fast so vor, als ob die Polizei auf die
Ausschreitungen vertraut hat, um dann als Retter in der Not zu erscheinen. Wichtig
erscheint mir dabei auch, dass Atlético-PR aus dem Bundesstaat Paraná kommt,
während Joinville in Santa Catarina liegt. Da liegt die Vermutung nahe, dass die
Catarinenses etwas Geld von ihrem Nachbarn erpressen wollten.
Die Auseinandersetzungen wurden im Fernsehen
übertragen. Die Vasco Fans werden in einem Augenblick an ein Gitter
zurückgedrängt und können kaum fliehen. Man sieht, dass viele gerne fliehen
würden und es nicht schaffen. Das Video ist wieder einmal eine Werbung gegen
Gitter im Stadion. Man sieht tatsächlich minutenlang keine Polizei oder
Sicherheitsdienst. Vier Personen wurden ins Krankenhaus gebracht und drei festgenommen.
Alle sind aber außer Lebensgefahr.
Jetzt geht natürlich wieder die Diskussion los, was
das für die WM bedeutet. Aus meiner Sicht hat eines nichts mit dem anderen zu
tun. Das Stadion in Joinville ist kaum mit den WM-Stadien vergleichbar. Das
Publikum wird komplett anders sein und die Frage der Aufgabenverteilung der
Sicherheitsdienste ist auch geklärt. Es zeigt sich aber auch wieder einmal wie
schlecht die brasilianische Polizei vorbereitet ist und nach welchen Gesichtspunkten
entschieden wird: Sicherlich nicht fanfreundlich.
Die Vorrundenspiele der deutschen Nationalmannschaft
werden in drei Badeorten im heißen Nordosten Brasiliens stattfinden: Salvador, Fortaleza
und Recife. Das ist auf jeden Fall sehr gut für die Fans, die richtig Strandurlaub
machen wollen. Salvador ist eine tolle, aufregende Stadt, in der das Leben
brodelt. Hier trifft Deutschland auf Portugal. Tagsüber kann man am Strand
liegen oder die Altstadt und Museen genießen. Am Abend warten die Bars und
Discos mit den heißen Rhythmen Axé, Capoeira und Olodum. Zum afrikanischen Erbe
Salvadors gehört eine exotische und reichhaltige Küche mit viel Palmöl. Siehe: http://imlanddesfussballs.blogspot.com.br/2013/06/salvador.html.
Fortaleza ist eine sehr heiße und nicht gerade
hübsche Industriestadt an der Nordküste. Prunkstück ist die Flaniermeile am
Strand. Zum Essen gibt es hier in erster Linie Innereien. Ghana und Deutschland
messen hier die Kräfte. Siehe: http://imlanddesfussballs.blogspot.com.br/2013/06/fortaleza-spanien-italien-00-76-ne.html. Die Vorrunde wird in Recife gegen die USA abgeschlossen.
Recife und besonders die Nachbarstadt Olinda haben wunderschöne historische
Innenstädte. Leider ist der Strand haiverseucht. Im Juni wird dort Regenzeit
sein, was zu großen Verkehrsproblemen führt, da die Stadt von Holländern unter
dem Meeresspiegel gebaut wurde. Siehe: http://imlanddesfussballs.blogspot.com.br/2013/06/recife.html. Alle drei Städte sind in Brasilien wegen einer
erhöhten Kriminalitätsrate bekannt.
Das Beste ist vielleicht, dass Cuiabá, Manaus und
Curitiba vermieden werden konnten. Trotzdem wird es sehr heiß und somit werden
die Spieler schwierige Gegebenheiten vorfinden. Das Mannschaftsquartier wird
nun wohl bei Salvador liegen. Als Gruppenerster geht es dann von Recife in das
fast 4.000km entfernte Porto Alegre, ganz im kalten Süden.
Folgender Weg ist für Deutschland vorstellbar:
16.
Juni: Salvador. Portugal
1.200km
21.Juni:
Fortaleza. Ghana
800km
26.
Juni: Recife. USA
Als Gruppenerster:
3.800km!
30. Juni: Porto Alegre
1.500km
04.
Juli: Rio de Janeiro
450km
08.07:
Belo Horizonte
450km
13.
Juli: Rio de Janeiro
Als
Gruppenzweiter:
800km
01.Juli: Salvador
1.500km
05. Juli: Brasilia
1.200km
09. Juli: São Paulo
450km
13. Juli: Rio de Janeiro
Damit kann man eigentlich ganz zufrieden sein. Die
deutschen Fans werden ganz verschiedene Seiten Brasiliens kennenlernen. Man
sollte eventuell in der Vorrunde in einem zentralen Ort im Nordosten, zum
Beispiel Recife, sein Camp aufbauen und dann zur KO-Runde nach Rio de Janeiro
umziehen. Zwischen Rio de Janeiro und Belo Horizonte bzw São Paulo kann man mit
Bus oder Auto reisen.
Sportlich gesehen sind es ganz interessante Gegner
die weder zu schwer, noch zu leicht sind. Deutschland hat eine durchwachsene
Gruppe erwischt. Und wenn man an das Achtelfinale denkt, dann ist die kreuzende
Belgiengruppe auch nicht zu schwer. Im Viertelfinale könnte dann Frankreich,
Argentinien, die Schweiz oder ein Außenseiter warten.
Brasilien hat eine annehmbare Gruppe erwischt, wird
aber schon im Achtelfinale fast sicher mit Spanien oder Holland kreuzen. Im
Viertelfinale könnte England, Italien oder (oh weh, oh weh) Uruguay warten. Die
Schweiz kann sich glaube ich auch nicht über die Gegner beklagen, aber Honduras
muss in Manaus besiegt werden. Die Schweizer Fans werden mit Brasilia, Salvador
und Manaus sicherlich die spannendste Rundreise erleben.
Brasilianische Zeitungen berichten diese Woche über die
Angst der anderen Länder vor einer sogenannten Todesgruppe, den klimatischen
Bedingungen oder den weiten Reisen während der WM. Diese Woche entschied die
FIFA, dass der europäische Vertreter in Lostopf 2 ausgelost werden würde und
nicht automatisch Frankreich sein wird. Dies wurde bei UOL so kommentiert: „Die
FIFA hilft Frankreich.“
Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.
Natürlich hat jetzt Frankreich noch die Chance in Topf 4 zu kommen und somit
eine Gruppe mit zwei Europäern und Brasilien oder Argentinien zu vermeiden.
Aber im Umkehrschluss kann jetzt auch Brasilien es vermeiden in der ersten
Runde gegen Frankreich zu spielen (Die Chance wäre 1:4 gewesen). Frankreich ist
ein absoluter Angstgegner Brasiliens. Man muss sich nur an die WMs 1986, 1998
und 2006 erinnern.
Eine Todesgruppe wäre für Brasilien: Holland, Frankreich
und Mexiko. Gegen Holland tut man sich traditionell schwer, dazu kommt die
Niederlage 2010. Mexiko ist ein kontinentaler Angstgegner, denn bei Turnieren
konnte Mexiko 40% der Duelle gegen Brasilien gewinnen. Dazu kommen der Sieg im
Olympiafinale in London 2012.
Die Chance auf diese Gruppe wurde jetzt zwar nicht
ausgeschlossen, aber zumindest verringert. Man kann davon ausgehen, dass
Brasilien dem Losprozedere freudig zugestimmt hat und nicht nur, um Frankreich
einen Gefallen zu tun. In brasilianischen Blogs habe ich jetzt schon die
Vermutung gelesen, dass die Kugeln verschiedene Temperaturen hätten.
Für Deutschland wird wohl der europäische Gruppengegner
der schwierigste werden. Eventuell könnte man sich noch wünschen keinen
Südamerikaner zu bekommen und die USA und Mexiko zu vermeiden. Aber eigentlich
dürfte selbst hier keine böse Überraschung warten. Zumindest auf dem Papier ist
die deutsche Elf klar stärker.
"Die WM ist wie eine Hochzeit"
Noch zu einem anderen Thema: die Kosten der WM und die
Verspätung der Bauarbeiten. Der brasilianische Sportminister Aldo Rebelo hat
diese Woche die WM mit einer Hochzeit verglichen: „Ich habe noch nie eine
Hochzeit gesehen, bei der die Braut nicht zu spät gekommen wäre. Trotzdem ist
die Hochzeit nie geplatzt.“ Das führte zu folgender Collage in brasilianischen
Blogs:
Oben sieht man den Sportminister und unten denkt sich der
FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke: „Er scheint es langsam zu kapieren.“
Das eigentlich interessante daran ist nicht die
Begründung für die Verspätung, sondern der Vergleich mit einer Hochzeit. Auch
bei diesen „gesellschaftlich vorgeschriebenen“ Festen stehen Fragen im Raum,
wie: „Eine Torte mit fünf oder nur drei Stockwerken?, Das Kleid für €1000 oder
€5000?, Welches Buffet nehmen wir?“ Es geht um die Kosten. Und jeder der es
sich leisten kann, wird zeigen was er hat und die teurere Variante nehmen.
Genauso funktioniert auch eine Fußball-WM. Es ist die
große Show, mit der sich Brasilien zeigen will und wenn Deutschland eine Allianz-Arena
hat und Peking ein Vogelnest, dann will auch Brasilien klotzen dürfen. Richtig
klotzen kann man natürlich nur, wenn die schönen Stadien auch rechtzeitig
fertig werden.
Morgen werden in
Brasilien die Vorrundengruppen Weltmeisterschaft 2014 ausgelost. Wie die
Spielorte und Stadien aussehen, wo Tickets erhältlich sind und viele weitere
Infos finden deutsche Fans ab sofort auf der Fanguide-Websitewww.fanguide-wm2014.de.
Mit guten Traditionen soll man nicht brechen, und so wird
die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) auch das Turnier in Brasilien mit
einem umfassenden Fanbetreuungsprogramm begleiten – vor Ort im Stadion und in
den Spielorten und ab sofort auch schon im Internet. Wenn am Freitag bei der
Gruppenauslosung in Costa do Sauípe die Gegner und Spielorte des deutschen
Nationalteams bei der Weltmeisterschaft in Brasilien vom 12. Juni bis 13. Juli
2014 feststehen, beginnt die heiße Phase der WM-Vorbereitung. Erst recht für
all jene Fans, die eine Reise nach Brasilien planen – und damit vor einigen
Herausforderungen stehen: Die WM 2014 findet in einem riesigen Land mit großen
Städten, vielfältigen Landschaften und einer nicht immer einfachen
Infrastruktur statt. Brasilien 2014 wird ein großes Abenteuer, für die
Mannschaft von Jogi Löw ebenso wie für die reisenden Fans.
Mit der Fanguide-Website bietet die KOS wie auch schon
bei den vergangenen Turnieren ein Onlineportal mit vielen nützlichen Hinweisen
für die Reisevorbereitung, mit Vorstellungen der zwölf Spielorte und Stadien
und Geschichten zum Gastgeberland der WM im kommenden Sommer. Natürlich finden
sich hier auch sportliche Hintergründe zum Turnier und zur deutschen Mannschaft
sowie Infos zur Ticketsituation. Eine perfekte Vorbereitung nicht nur für
reisefreudige Fans, sondern auch alle, die die WM zu Hause vor dem Fernseher
oder beim Public Viewing verfolgen. Die Inhalte der Website werden von einem
kleinen Redaktionsteam gemeinsam mit Brasilienexperten vor Ort zusammengestellt
und in den Wochen und Monaten bis zum Turnier laufend aktualisiert.
Die Websitewww.fanguide-wm2014.deist Teil des umfassenden Fanbetreuungsprogramms, das nun
schon zum elften Mal bei einem großen Turnier stattfindet, vom Deutschen
Fußball-Bund finanziert und in enger Kooperation von KOS und DFB organisiert
wird. Kernstück des Programms ist die Fanbetreuung vor Ort während des Turniers
in Brasilien. Die mobile Fanbotschaft wird an zentralen Plätzen in den
Spielorten zu finden sein – dort, wo auch die Fans sind. Ein erfahrenes und
sachkundiges Team, das aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fanprojekte
sowie einem Vereinsfanbeauftragten besteht, wird den deutschen Anhängern mit
Tipps, Informationen und Hilfestellung zur Seite stehen. Auch die deutsche
Auslandsvertretung wird dabei mit tatkräftiger Unterstützung vor Ort vertreten
sein. Ebenfalls in Brasilien dabei sein wird unser Fanzine HELMUT, das bei der
WM 2010 in Südafrika das Licht der Welt erblickt und sich schnell zu einem
treuen Begleiter der deutschen Fans entwickelt hat. Wie bei den Turnieren 2010
und 2012 wird der HELMUT zu jedem Spiel druckfrisch vor Ort produziert und
verteilt.