http://www.fanguide-wm2014.de/news-04072014.html
Hallo
miteinander,
nachdem
ich nun vier Spiele der deutschen Elf live vor Ort erlebt habe, möchte ich euch
gerne mal ein paar Eindrücke schildern. Vorweg: Für Fußballfans ist es im
Stadion schwer zu ertragen.
Wie
geht es zum Stadion?
Je
nach Austragungsort war der Weg zum Stadion unterschiedlich attraktiv.
Großartig in Salvador, weil fußläufig erreichbar und gut ausgeschildert.
Ebenfalls sehr gut in Porto Alegre, wo die Stadt den Fußweg „Camhinho de Gol“,
der immerhin 4,5 km lang war, sehr attraktiv gestaltet hat und es dann
kurzfristig sogar ermöglicht hat, dass sich die deutschen Fans gemeinsam auf
den Weg machen. In Fortaleza war es schon deutlich komplizierter und in Recife
chaotisch. Das lag zum einen an der Lage des Stadions 30 Kilometer außerhalb
der Stadt und an den apokalyptischen Regengüssen während des gesamten Tages.
Nicht wenige Fans kamen zu spät oder überhaupt nicht ins Stadion, was man an
den Lücken im Stadion auch gut erkennen konnte.
Der
öffentliche Nahverkehr scheint mir nur mäßig ausgebaut zu sein. Er besteht
überwiegend aus Bussen, deren Fahrplan für Ausländer jedoch ziemlich schwer zu
durchschauen ist. Selbst für Brasilianer/innen ist es nicht immer ganz einfach.
Die im Vorfeld der WM angekündigten Schnellbusse, die die Fahrt zu den Stadien
verkürzen sollten, habe ich so gut wie nicht gesehen.
Am
Stadion angekommen, weisen einem unzählige Volunteers den Weg, eine wirkliche
Ausschilderung – „Signing“ in Neudeutsch – ist nicht unbedingt wahrnehmbar.
Englisch spricht so gut wie niemand. Die Volunteers und die Ordner machen im
Umgang mit den Besucher/innen den Eindruck, als wären sie eine von der FIFA
konstruierte und programmierte Armee von Robotern. Absolut unflexibel, unfähig
zu kommunizieren oder eigenständig zu agieren, setzen sie die Vorgaben der FIFA
um, seien diese auch noch so unsinnig.
Schirme
verboten
Zum
Beispiel Porto Alegre: Dort wurden wo die Besucher/innen gezielt animiert, den
Weg zum Stadion zu Fuß zurückzulegen. Da es auch hier öfter regnete, nahmen
viele natürlich Schirme mit zum Stadion. Diese mussten jedoch am Stadioneingang
– aus welchen Gründen auch immer – abgegeben werden. Wenn man nach dem Spiel
seinen Schirm wieder abholen wollte, waren die Ordner total verdutzt und
suchten dann pro forma in den nahegelegenen Mülltonnen, obwohl allen klar war,
dass die Schirme schon lange nicht mehr da waren. Ebenso unsinnig ist das
Verbot, Kugelschreiber mit in die Stadien zu nehmen, diese verschwanden
ebenfalls auf Nimmerwiedersehen. Zu gerne würde man mal nach den Hintergründen
für diese Vorgaben fragen. Fakt ist, wenn es nach der FIFA geht, soll man sich
vollregnen lassen und wenn man das nicht will, bekommt man am Stadion den
Schirm gestohlen.
Worauf
die Männer und Frauen des Ordnungsdienstes in den Stadien ebenfalls mit
Argusaugen achten: Es dürfen keine Fahnen hängen, da sind sie rigoros und holen
gerne die Polizei zu Hilfe. Aber auch in Porto Alegre haben sie am Ende
aufgegeben, und viele Fahnen und Banner blieben hängen. Desweiteren achten
die Ordner ganz akribisch darauf, dass sich keiner – außer zur
La-Ola-Welle – von seinem Platz erhebt und dass niemand raucht. Da sind sie
wirklich sehr streng und konsequent. Aber selbst viele Nichtraucher finden es
irgendwie absurd, dass bei einer Open-Air-Veranstaltung versucht wird, ein
Rauchverbot durchzusetzen und dann auch noch mit dieser absoluten
Verbissenheit.
Was
gibt’s zu trinken und wie wird man das wieder los?
Die
Verpflegung besteht aus den ewiggleichen normierten Produkten der ewiggleichen
Werbepartner der FIFA, ist dementsprechend langweilig und beispielsweise für
Vegetarier eine Katastrophe. Gab es nicht die Ankündigung, dass man
landestypische Verpflegung anbieten wollte? Jedenfalls, nichts zu sehen davon!
Oft ist es auch noch so, dass nur Teile der Angebotspalette vorhanden sind. Den
einfachen Cheeseburger habe ich zumindest noch nirgends gesehen, nur den
teureren Doppelcheeseburger. Eine schöne Idee ist jedoch, dass die pfandfreien
Becher, in denen die Getränke ausgeschenkt werden, durch die Fahnen der sich
auf dem Rasen gegenüberstehenden Teams in der Vorrunde einen persönlichen
Erinnerungswert gewinnen. Viele Fans haben mindestens einen Becher mit nach
Hause genommen.
Das
Personal an den Ständen ist, sagen wir mal, suboptimal auf den Andrang
eingestellt. Für die Brasilienkenner ist das aber keine Überraschung, denn auch
im Alltag ist vieles kompliziert und bürokratisch organisiert und, man muss es
so deutlich sagen, funktioniert oft nicht. Wenn man es gewohnt ist, schnell und
effektiv bedient zu werden, dann fällt die Umstellung auf die brasilianische
Art für viele schwer. Geduld ist somit eine gefragte Eigenschaft.
Auch
für den Toilettengang werden Volunteers abgestellt, die den Einlass regeln,
natürlich ohne genau sehen zu können, wie die Situation in den „Sanitarios“
aussieht. So kann es passieren, dass sich vor den Toiletten lange Schlangen
bilden und wenn man dann dran kommt, feststellt, dass die Toilette höchstens
zur Hälfte gefüllt ist. Aber Hauptsache wieder ein neuer Bereich, der nach
FIFA-Vorgaben organisiert und reglementiert wird.
Wie
wird das Spiel präsentiert?
Auch
hier ist der Ablauf vollständig normiert, ohne jeglichen Pep und in jedem
Stadion bis auf die Nationalhymnen gleich. Die Mannschaftsaufstellungen werden
mindestens eine halbe Stunde vor Spielbeginn bekannt gegeben, sodass ein großer
Teil der Zuschauer keine Chance mehr hat, zu erfahren, wie der Gegner
spielt. Die FIFA verzichtet bekanntlich auf Spielprogramme, in die man
wenigstens die jeweiligen Kader mit Rückennummern aufnehmen könnte. Zum Glück
gibt es HELMUT, das Fanzine der Fanbetreuung, in dem Fußballinteressierten
erfahren können, wie beispielsweise die spielstarke Nummer 11 der Algerier
heißt.
Während des Spiels wird die Partie gleichzeitig auf den Anzeigetafeln gezeigt.
Wie im TV schwenken in den Unterbrechungspausen die Kameras ins Publikum, mit
Vorliebe auf Kinder und junge attraktive Frauen, die dann anfangen
aufzuspringen, zu winken und zu jubeln, auch wenn ihr Team gerade das 0:3
kassiert hat.
Den
Eindruck, dass die FIFA im Grunde kein Interesse am Fußball als Sport hat –
Stichwort Katar – gewinnt man somit auch während der WM genau dort, wo es um
den Sport gehen sollte. In die Stadien kommen immer weniger wirkliche Fans,
sondern Menschen, für die es augenscheinlich nur interessant ist, an diesem
aufgepumpten Event teilzunehmen. Wie ist es sonst zu erklären, dass selbst bei
den langweiligsten Spielen spätestens in der 20. Minute die La Ola durch das
Stadion schwappt. Solcherlei Effekte werden gezielt durch die Kartenverteilpolitik
der FIFA befeuert. Um überhaupt die Chance, ein WM-Spiel live sehen zu können,
zu nutzen, bieten Millionen Menschen schon in der ersten Verkaufsphase auf die
zur Verfügung stehenden Tickets. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem noch nicht
einmal feststeht, wer in diesem Stadion überhaupt antreten wird. Das ist
ungefähr so, als würde man ein Ticket für die Frankfurter Festhalle kaufen und
weiß nicht, ob die Wildecker Herzbuben oder AC/DC auftreten. Ein Puzzleteil von
mehreren, das am Ende dazu beiträgt, dass erstens viele Karten in die Hände von
Menschen geraten, die dieses Spiel nicht unbedingt sehen wollen und deren
Tickets dann später wieder auf dem Schwarzmarkt landen, der dann – Treppenwitz
– vor Ort von FIFA und Justiz gnadenlos verfolgt wird. Und zweitens trägt
dieses System dazu bei, dass die Fans einer Mannschaft verstreut im Stadion
sitzen, wie auch in Brasilien wieder zu beobachten ist. Wenn die fünf kleineren
algerischen Blöcke und die vielen verstreut sitzenden deutschen Fans sich
jeweils in einem Block hinter den Toren hätten versammeln können, wäre bestimmt
eine fantastische Fußballstimmung in diesem am Schluss hochspannenden Spiel
entstanden. So kam nur vereinzelt eine richtig prickelnde Fußballatmosphäre
auf.
Aber
genau das scheint das Interesse der FIFA zu sein: vereinzelte Kunden im
Stadion, die brav konsumieren, willig die Welle mitmachen und sich im Übrigen
kritiklos den ganzen Zumutungen fügen.
So
schön und interessant ich es in Brasilien finde, mit den vielen liebenswerten
und improvisationsfreudigen Gastgebern, so interessant und leidenschaftlich
auch die sportlichen Leistungen der Mannschaften sind – das Stadionerlebnis
törnt mich im Grund wirklich ab.
Beste
Grüße aus Brasilien
Euer
Toni aus Frankfurt