Irgendwie ist der brasilianische Fußball in einer
Krise. Das mag überraschen, wenn man bedenkt, dass in gut 100 Tagen in
Brasilien die WM beginnen wird, wenn man die neuen Stadien sieht und bedenkt,
dass die wirtschaftlichen Zahlen sich verbessern. Aber irgendwie scheint es so,
als ob, die Gesamtsituation des brasilianischen Fußballs nicht mit den neuen
Rahmenbedingungen übereinstimmt und man noch die neue Linie sucht, wie man aus
dieser Krise kommen könnte. Das gestrige Libertadores-Spiel zwischen Flamengo
und Emelec (ECU) war da ein gutes Beispiel.
Ich hatte Besuch aus Deutschland von einem
Journalisten einer großen Hamburger Zeitschrift und seinem Fotografen. Der
Kollege war schon vor Monaten mit mir in Kontakt getreten, um die Reise zu
planen. Er hat damals an die zuständigen Stellen ein Email geschickt, um sich
über die Akkreditierung zu erkundigen. Im Antwortschreiben wurde er auf
Portugiesisch informiert, dass er nur seinen internationalen Presseausweis am
Stadiontor vorweisen müsse. Es gab keinerlei Hinweise auf eine Kleiderordnung.
Da der Kollege Schwierigkeiten mit seinem
internationalen Ausweis hatte, habe ich nochmal nachgefragt, ob der deutsche
Ausweis auch akzeptiert würde. Mir wurde auf Portugiesisch geantwortet, dass
mein Kollege akkreditiert sei. Erneut kein Hinweis auf eine Kleiderordnung.
Gestern am Presseeingang musste mein Kollege vor dem
Tor warten und ich musste seine Akkreditierung drinnen abholen. Leider war sie
aber nicht an der Pressestelle. Somit musste ich den zuständigen Chef suchen,
der die Akkreditierung vergessen hatte. Ich bekam den Ausweis und konnte meinen
Kollegen abholen. Als er das Stadioninnere betreten wollte, wurde er
aufgehalten und etwas unfreundlich entakkreditiert, Begründung: mit kurzen
Hosen kommt man nicht auf die Pressetribüne.
Diese Regel ist bei 40° völlig unverständlich und
kann einem ausländischen Journalisten nicht bekannt sein. Sie wurde auch beim
Mailverkehr nicht erwähnt. Deswegen fragten wir, ob es einen Weg auf die
normale Tribüne oder die Kurve gäbe. Dies wurde verneint. Mein Kollege versuchte
auf Englisch zu argumentieren, worauf der zuständige Angestellte sehr
unfreundlich reagierte: „Ich verstehe das nicht.“ Wir sind im Land der
Fußball-WM und bei einem Spiel des Kontinentalen Wettbewerbs, der hier den
Status der Champions League hat! Aber der für Akkreditierungen zuständige Mitarbeiter
kann kein Englisch. Die Situation war absurd.
Da das Spiel nicht ausverkauft war (40.000 Zuschauer), beschloss mein Kollege
sich ein Ticket zu kaufen. Ich sah die erste Halbzeit auf der Pressetribüne und
schoss von dort aus ein paar Fotos. Da kam doch tatsächlich eine andere
Mitarbeiterin und klärte mich auf, dass es hier verboten wäre Fotos zu machen!
Das Spiel lief schon, deswegen habe ich nicht weiter nachgefragt. Gründe können
sein, dass nur Rechtehalter Fotos machen dürfen. Das wäre aber bei meiner
Minikamera lächerlich.
Ein anderer Grund könnte sein, dass nur als
Fotografen akkreditierte auch fotografieren dürfen, da hier in Rio zwei
verschiedene Stellen zuständig sind. Das wiederum beschränkt stark die
Arbeitsmöglichkeiten. Als ob man nur fotografieren oder nur schreiben könnte.
Ich habe schon öfter beobachtet, dass die brasilianischen Journalisten sich nur
für das interessieren, was auf dem Platz stattfindet. Sie haben wenig Sinn für die Ränge. Fußball wird
nicht als Gesamtkunstwerk verstanden, das weit über das Rasenviereck reicht.
Mit meinem Ausweis kann ich aber auf die
Zuschauertribüne und so habe ich dort meine Kollegen wiedergetroffen. Dort
beobachteten wir aber noch andere wundersame Begebenheiten. Wir waren in einem
Block hinterm Tor, aber gegenüber des Fanblocks. Somit ein sehr ruhiger und
schwach besuchter Bereich. Die einzige Aufgabe, die dort die Ordner hatten war
Fans darauf hinzuweisen, dass es verboten sei die Füße auf die Sitze zu
stellen. Das mag im Theater sinnvoll sein, aber beim Fußball nervt es mich. Das
Maracanã ist sowieso schon so steril, da schadet etwas Schmutz nicht, um dem
Ganzen wieder Leben einzuhauchen.
Überhaupt war die Stimmung schwach. Scheinbar
boykottieren die Torcidas die Spiele oder es wurde ihnen verboten Fahnen und
Trommeln mitzunehmen. Überhaupt ist es ein Armutszeugnis, dass ein
Libertadoresspiel, das man ja auch nicht alle Tage hat, nicht ausverkauft ist. Aber
R$100 sind einfach zu viel. Irgendwas läuft falsch: zu teuer, zu wenig Fans,
keine Stimmung, zu viele unverständliche Regeln, zu pingelig.
Mitte der zweiten Halbzeit ist dann vor uns die
Hundestaffel der Polizei aufgelaufen. Wir haben uns nur angesehen: „Was machen
die hier?“ Es gibt überhaupt kein Problem auf den Rängen und die lassen hier
die Muskeln spielen. Es fehlt hier jede Verhältnismäßigkeit. Schließlich
konnten sich die Flamengofans beim Stand von 3:0 zu dem Sprechchor: „Favela,
Party in der Favela“, hinreißen lassen. Das spielt darauf an, dass Flamengofans
angeblich Favelabewohner seien. Man hat sich hier so eine Sozialromantik des
Unterschichtvereins zurechtgelegt. Erneut ist die Situation extrem absurd: „Welcher
Favelabewohner kann sich R$100 leisten?“
Wir waren ja mit einem Fotograf unterwegs, der gar
keine Hoffnung auf Akkreditierung hatte, deswegen hat er gleich ein Ticket
gekauft. Er wollte natürlich feiernde Fans ablichten. Deswegen bat ich an der
Kasse um einen Platz im Fanblock für ihn. Die Karte, die ihm verkauft wurde war
aber genau auf der anderen Seite. Dementsprechend frustriert war er. Es war für
mich nur noch ein zusätzliches Missverständnis und Ärgernis in dieser etwas
verunglückten Libertadoresnacht.
Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich der
brasilianische Fußball im Wandel befindet und dass die zuständigen Stellen und
Mitarbeiter versuchen ihren Platz in dieser neuen Ordnung zu finden. Es werden
verzweifelt Regeln aufgestellt, um dem Wandel Herr zu werden, aber sie sind oft
sinn frei. Besonders schockierend ist die fast aggressive Ablehnung der
englischen Sprache bei einem internationalen Turnier. Das Ergebnis ist im Moment
ein äußerst wenig zufriedenstellendes Stadionerlebnis. Die Brasilianer sind
eigentlich stolz darauf, dass sie so flexibel wären. Im Fußballstadion sind sie
gerade alles andere als flexibel. Man kann nur hoffen, dass sich das wieder
ändern wird.
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