In meinen
Gedanken bin ich noch bei dem Spiel von Olaria in der Rua Bariri und so
durchstöberte ich die letzten Tage meine Texte von Nelson Rodrigues. Dabei fand
ich in dem Sammelband „À sombra das Chuteiras Imortais” (Im Schatten der
unsterblichen Fußballschuhe, organisiert von Ruy Castro) folgende Chronik, die in
der Manchete Esportiva 1955 erschienen ist. Ihr Schauplatz ist die Rua Bariri:
Vor einiger Zeit war ich in der Rua Bariri, um ein
Spiel von Fluminense zu sehen. Ich gebe zu: - ich habe Olaria immer für so weit
entfernt, entlegen und utopisch, wie Konstantinopel, Istanbul oder Vigário
Geral gehalten. Schon auf der Avenida Brasil begann ich eine Nostalgie und ein
Exil zu spüren, die sich nur mit denen von Gonçalves Dias und Casimiro Abreu
vergleichen lassen. Das Ende vom Lied: es erwuchs in mir eine Abneigung gegen
jede Art von Reisen. Aber ich kam an und habe die Partie gesehen. In den ersten
dreißig Minuten konnten wir Alles, wirklich Alles, bewundern, außer Fußball. Es
war eine Schande, ein alberner Straßenkick, der die fünf Cruzeiros Eintritt
nicht wert war. Und, plötzlich, ereignet sich eine unerwartete Episode, ein magischer
Zwischenfall, der dem Match fünfter Kategorie
eine neue und elektrisierende Dimension verlieh.
Hier die Fakten: - Irgendein Spieler tritt in das
Gesicht eines Gegenspielers. Was macht der Schiedsrichter? Er schmeißt sich,
stürzt sich mit dem Elan eines Robin
Hood und will dem Schuldigen die letzten Worte sagen. Dieser will aber nichts
von einer Unterhaltung wissen: - er ohrfeigt den Schiedsrichter. Schauen sie, ein
Schlag ist nicht nur ein Schlag: - er ist in Wirklichkeit der bedeutendste und
wichtigste Akt allen menschlichen Handelns. In dem Moment, in dem jemand
schlägt oder ins Gesicht geschlagen wird, werden alle Anderen in die gleiche
Erniedrigung mit einbezogen, verwickelt, mitgerissen. Wir Alle wurden mit der
Ohrfeige verbunden.
Man muss aber noch Folgendes hinzufügen: - der
Klang! Denn, tatsächlich, von allen Klängen auf Erden, der einzige der
keinerlei Zweifel, Missverständnis oder Trugschluss zulässt ist die Ohrfeige.
Ja, Freunde: - eine stille Ohrfeige, eine stumme Ohrfeige würde niemanden
beleidigen. Im Gegenteil: - Opfer und Aggressor würden sich in der tiefsten und
unaussprechlichsten Herzlichkeit in die Arme fallen. Es ist der fürchterliche Klatsch
der sie aufwertet, der sie dramatisiert, der sie unwiderruflich macht.
Nun: - Bei der Ohrfeige in Olaria fehlte das
auditive Element nicht. Aber die Episode hat ihr Grauen noch nicht erschöpft.
Es fehlte noch der Ausgang: - die Flucht des Mannes. Denn der geschlagene Schiedsrichter
kannte keinen anderen Ausweg: - Er nahm die Beine in die Hand. Wir stimmen
überein: - eine so eindeutige und triumphale Panik, ohne jegliche
Verstellung, ohne jegliche Zurückhaltung, ist spannend. Ich sage „spannend“
und füge zu: - selten oder gar einzig.
Normalerweise ist nur das Heldentum bejahend,
unverschämt. Der Held zeigt immer eine einzigartige Unverschämtheit: - Er
stellt sich vor, als ob er die eigene Reiterstatue wäre. Aber der Feigling
nicht. Die Feigheit klagt eine krampfhafte Schande an. Ich habe einen Freund,
der Folgendes macht: - wenn er heim kommt, sperrt er sich in einen Schlupfwinkel
ein, verschließt die Schlüssellöcher und erst dann, in dieser rigorosen
Intimität, lässt er sich von seiner Frau schlagen. Aber hier draußen, im
Tageslicht, ist er ein Tartarin, ein Flash Gordon, der in der Lage ist einem
ganzen Polizeibataillon entgegenzutreten.
Nun gut. Im Gegensatz zu anderen Feiglingen, die
sich verstecken, die leugnen, die ihre eigene Feigheit entstellen – ist der
Schiedsrichter wie ein Karussellpferd gerannt. Es sei angemerkt: Es gibt heute
eine monströse Verbreitungstechnologie, die jede Art von Geheimnis undurchführbar
macht. Und sofort wurde der Schiedsrichter von der Presse, den Radioreportern
umringt. Die fotografierte, ausgestrahlte und übertragene Feigheit projizierte
sich unwiderstehlich. Und als dann, im Folgenden, die Polizei dem
Schiedsrichter Schutz anbot, rieb dieser noch die Zähne, sabberte er noch den
Terror. Als das Match dann vorbei war
passierte die Menge in geschmeidiger, langsamer Art Richtung Ausgang. Aber wir
alle, die wir nur versteckt feige sein können, fühlten Neid, Abscheu und Ärger
über diesen Kleinmut der seine zynische Standarte ausspannte.
Vigário Geral ist ein Stadtteil von
Rio de Janeiro. Gonçalves
Dias und Casimiro Abreu waren Dichter des brasilianischen Romantismus im 19.
Jahrhundert.
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