Der Urlaub ist vorbei und ab Samstag wird wieder
gegen den Ball getreten. Zeit auch für mich schon mal den Motor warm laufen zu
lassen und mich auf die kommende Saison vorzubereiten. Der brasilianische
Fußballkalender mutet für deutsche Fußballfans etwas seltsam an, denn er ist in
zwei Semester geteilt. Vom 19.01. bis zum 19.05. werden die regionalen
Staatsmeisterschaften stattfinden. In dieses erste Semester fallen auch der
brasilianische Pokal und der kontinentale Copa Libertadores. Am 25.05. beginnt
dann die brasilianische Meisterschaft, die im Dezember endet. Im zweiten
Semester wird auch der Copa Sulamericana, das Pendant zu Europa League,
ausgetragen.
Am Samstag beginnen also die regionalen
Staatsmeisterschaft, dass heisst in Rio, die Riomeisterschaft. Diese
Wettbewerbe sind sehr kurios denn in ihnen müssen die großen etablierten Teams,
wie Flamengo und Fluminense, gegen Dorfklubs antreten. Trotzdem haben diese
Turniere ein hohes Ansehen in Brasilien. Jeder Bundesstaat hat seine eigene
Meisterschaft und seinen eigenen Austragungsmodus, der oftmals – sagen wir –
kreativ ist.
In Rio wurden zwei Gruppen mit je acht Teams
gebildet. In einer ersten Phase spielen alle Mannschaften innerhalb einer
Gruppe nur in einer Hinrunde gegeneinander. Die beiden Bestplatzierten der
Gruppen tragen dann ein Halbfinale und schließlich ein Finale aus. Somit wird
der Meister der ersten Phase ermittelt, der den Guanabara-Pokal erhält.
In der zweiten Phase spielt jedes Team der Gruppe A einmal
gegen jedes Team der Gruppe B und jedes Team der Gruppe B gegen jedes der
Gruppe A. Erneut gibt es nur eine Hinrunde. Die zwei Bestplazierten der beiden
Gruppen ermitteln dann wieder in Halbfinale und Finale den Meister der zweiten
Phase, der den Rio-Pokal erhält. Sollten die Sieger der ersten und der zweiten
Phase zwei verschiedene Klubs sein, dann wird es am 12. und 19. Mai zum großen
Finale um die Riomeisterschaft in Hin- und Rückspiel kommen.
Der Grund für diesen komplizierten Spielmodus ist,
dass man versucht so viele große Derbies zwischen Flamengo, Fluminense, Vasco
und Botafogo zu schaffen wie nur möglich. Man geht davon aus, dass diese vier
Mannschaften immer auf den ersten Plätzen ihrer Gruppen abschließen und so kommt
man im Idealfall auf 14 Derbys in vier Monaten!
Derbys haben sicherlich auch in Deutschland einen
hohen Stellenwert und so ist dieses Bestreben nach einer Multiplizierung der Stadtklassiker
auch für den deutschen Fußballfan nicht ganz unverständlich. Ich denke aber,
dass an dieser Stelle der brasilianische Schriftsteller und Dramaturg Nelson
Rodrigues (1912 - 1980) vorgestellt werden muss. Seine Themen sind Sex, Untreue
und Fußball, damit ist er so eine Art brasilianischer Charles Bukowski. Nelson
liebte als Schauplatz für seine Geschichten die Vororte in Rios Norden, in
denen „noch aus Liebe Selbstmord begangen wird“. Genau in diesen Vororten
liegen die Stadien Maracanã und Engenhão, aber auch viele kleine Vereine, wie
Olaria, Bangu und Madureira.
Nelson verstand den Fußball immer als ein shakespeareanisches
Drama. Als solches hat es verschiedene typische Figuren, die entweder durch die
Klubs oder durch einzelne Spieler dargestellt werden. Mich hat das inspiriert,
frei nach Nelson Rodrigues, die vier großen Klubs vorzustellen. Jedes gute
Drama braucht einen Bösewicht und das ist in Rio der Verein Flamengo, der von
allen drei anderen gehasst wird. Er verkörpert den Verrat, erkaufte Spiele,
ungerechte Schiedsrichterentscheidungen und arrogantes Verhalten. In jeder
Riomeisterschaft gilt es aufs Neue Flamengo niederzuringen.
Das wichtigste Stadtderby ist heutzutage das Spiel
zwischen Vasco und Flamengo. Vasco wurde zu dem großen Rivalen Flamengos und
verkörpert somit in unserem Drama den Helden und das uneingeschränkte Gute.
Vasco konstruierte sein Image des Guten damit, dass er sich als den
antirassistischen Klub ausgibt, da er der erste Verein war, der Spieler aus der
Unterschicht zuließ. In der Sichtweise der Vasco-Fans wäre eine ethnisch
gemischte Nationalmannschaft ohne ihren Klub nicht möglich. Man gibt sich also
das Image eines volksnahen Verein, der von den etablierten benachteiligt wird.
Fluminense hingegen wird allgemein als der Verein
der Oberschicht beschrieben und übernimmt so die Position der grauen Eminenz,
ein weiser Mann, der über Gut und Böse schwebt. Im Vergleich zu Fluminense (der
älteste Klub in Rio) sind alle anderen Vereine nur Kinder, die immer wieder
einen väterlichen Rat brauchen. Fluminense ist eventuell bei Shakespeare vergleichbar
mit dem Geist von Hamlets Vater.
Schließlich
braucht jedes gute Drama noch eine Prise Humor und dafür ist der Hofnarr
zuständig. Botafogo übernimmt diese Aufgabe. Der Verein ist berühmt dafür völlig
irrationale Entscheidungen, aufgrund von abergläubischen Gesichtspunkten, zu
fällen. In seinen Reihen waren mit Garrincha und Heleno de Freitas einige der
außergewöhnlichsten Spieler der Fußballgeschichte, die die Fans immer zum Lachen
brachten.
Ich würde sagen, dass Nelson Rodrigues wohl etwas
unparteiischer war, aber im Großen und Ganzen mit meiner Charakterisierung
übereinstimmen würde. Klar ist, dass Fans von Flamengo die Rollen von Bösewicht
und Held vertauschen würden. Wir können uns also auf bis zu 14 Derbys freuen,
in denen diese Figuren aufeinandertreffen und immer wieder aufs Neue ihre
Kräfte messen.
Darüber hinaus gibt es aber auch die vielen kleinen
Dorf- und Vorortklubs, die die Vorherrschaft der vier Großen herausfordern.
Oftmals gelingt es ihnen sogar und es hat einfach eine poetische Schönheit,
wenn man Flamengo in Bangu verlieren sieht. Immer wieder gelingt es einer
Dorfmannschaften, sich vor einen der großen Klubs zu drängen, was sicherlich
den Charme der Riomeisterschaft ausmacht. Ich werde deshalb ein besonderes
Augenmerk auf die kleinen Klubs richten und ihre Spiele besuchen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen