Alle
Jahre wieder wird über Sinn und Unsinn der Staatsmeisterschaften diskutiert.
Die Verteidiger heben die historische Bedeutung dieser Wettbewerbe hervor.
Immerhin wird die São Paulo-Meisterschaft seit 1901 und die Riomeisterschaft seit
1906 ausgetragen. Zum anderen stellen sie die einzige Möglichkeit für kleinere
Teams dar, Spielpraxis zu bekommen.
Die
Gegner beklagen jedoch den aufgeblähten Spielplan – brasilianische Spitzenteams
kommen auf bis zu 80 Spiele pro Saison -, den zweifelhaften sportlichen Wert
und die Verzerrung des Sportkalenders im Vergleich zu anderen Ligen Amerikas
und Europas. Der renommierte brasilianische Journalist Juca Kfouri, ein
erklärter Gegner der Staatsmeiterschaften, führt in seiner Kolumne vom Montag
an, dass am letzten Wochenende die Spiele der vier Großen in Rio zusammen auf lediglich
18.000 Zuschauer kamen. Es scheint also, dass sich auch die Fans nicht wirklich
für diese Meisterschaft interessieren.
Die vier
Großen spielen vorerst mit angezogener Handbremse, um sich zu schonen. Der Meister
Fluminense schickte ein B-Team seiner Jugendmannschaft aufs Feld. Die erste
Mannschaft soll sich für die viel wichtigere Copa Libertadores schonen. Vasco
und Flamengo stecken in der Krise. Sie mussten viele Spieler verkaufen, um ihre
Bilanzen einigermaßen ins Gleichgewicht zu bekommen. Die Riomeisterschaft ist
für sie also eher ein Test. Nur Botafogo könnte schon mit etwas mehr Elan ins
Turnier starten. Eventuell hat das auch Vater Marcelo de Pombagira so
analysiert, als er die Vorhersage machte, dass Botafogo die Meisterschaft
gewinnen würde.
In
Nordostbrasilien behebt man das Dilema der Staatsmeisterschaften, indem ein
Nordostpokal gegründet wurde, mit den besten Mannschaften der neun
Bundesstaaten der Region. Dort sind die Stadien voll. Irgendwas müssen die also
richtig machen.
Auch
mein Nachbar und Vasco-Fan Camilo ist noch etwas verkatert von der letzten
Saison und will noch nicht ins Stadion gehen. Wir einigten uns also darauf das
Spiel bei ihm zu Hause zu verfolgen. Dazu gesellt sich João Marcelo, ebenso
Vasco-Fan und los geht die Debatte über den Sinn der Staatsmeisterschaften und
andere Probleme des Fussballs.
Camilo:
„Martin wollte ins São Januário gehen, um Macaé zu sehen. Stell dir das vor!“
João
Marcelo: „Du bist doch verrückt. Das lohnt sich nicht. Die Anfahrt ist zu
beschwerlich und dann kommt keine Stimmung auf, weil nur ein paar Hundert Fans
da sind. Wenn es wenigstens gegen einen atraktiven Gegner ginge, aber Macaé?“
Macaé
ist eine kleine Stadt im nördlichen Bundesstaat Rio de Janeiro. Vor seiner
Küste wurden in den letzten Jahren die grössten Ölvorkommen Brasiliens
gefunden. Deshalb kam die Stadt zu Geld. Der örtliche Fussballklub wird auch
von der Stadtverwaltung gesponsort, also mit öffentlichen Geldern. Der Verein
wird also als absolut traditionslos wahrgenommen.
João
Marcelo: „Aber nichteinmal Vasco ist derzeit atraktiv.“
Camilo:
„Genau. Nachdem die soviele Spieler verkauft haben, kann man nichtmehr von
einer Mannschaft und nur noch von einer Ruine sprechen.“
Martin:
„Sehe ich das richtig: ihr seid mit dem Präsidenten Roberto Dinamite nicht
zufrieden?“
Camilo
und João Marcelo: „Nein!“
Martin:
„Aber er ist doch als Ex-Spieler und Torschützenkönig ein absolutes Idol?
Ausserdem kann er sicher die leeren Kassen nicht verantworten.“
Camilo:
„Ja natürlich. Aber genau deswegen habe ich mir mehr von ihm versprochen. Er
könnte ja mit den Schulden anders umgehen. Aber er stellt seine
Familienangehörige im Verein an und verkauft die Mannschaft ohne Plan. Felipe,
Fagner und Juninho Pernambucano, das war ein Ausverkauf. Jetzt fehlt nur noch
Dedé“
João
Marcelo: „Das Präsidium würde sicher liebend gerne Dedé verkaufen. Aber wenn
sie das machen, dann provozieren sie einen Aufstand.“
Camilo:
„Ja, das wird wohl nicht passieren.“
Für Dedé
liegt ein Angebot über 19 Millionen Reais (etwa 8 Mio Euro) von Corinthians
vor. Eine absolute Rekordsumme in Brasilien für einen Verteidiger. Aber die
beiden sollten recht behalten. Inzwischen wurde die Vertragsverlängerung und
Gehaltserhöhung für Dedé vom Verein bestätigt.
Während
wir so über Fussball plaudern schiesst Macaé ein Tor. Vasco dreht das Spiel
jedoch locker zu einem 3:1 um. In der Schlussphase wird es dann nochmal
hektisch: denn auf beiden Seiten gibt es Elfmeter, die zum 4:2 Endstand
verwandelt werden.
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