Die umfassendsten Renovierungsarbeiten und
Neukonstruktionen geschehen in Rio de Janeiro im historischen Stadtzentrum.
Dort werden keine Sportwettbewerbe der olympischen Spiele stattfinden. Man kann
hier eher das Spiel zwischen kultureller Aufwertung und anschließender
Immobilienspekulation beobachten. Als ich im Jahr 2000 zum ersten Mal nach Rio
kam, fristete das Zentrum ein Mauerblümchendasein. Die Lapa war als
Nightlife-Viertel noch nicht entdeckt, Santa Teresa komplett entwertet und der
alte Hafen eine No-Go-Area.
Das hat sich in den darauffolgenden 10 Jahren
radikal geändert. Zunächst haben hier alternative Künstler, Undergrounddiscos
oder einfach Abenteuerlustige eine Bleibe gefunden. In Santa Teresa wurde der
Tag des offenen Ateliers als erster Kulturevent eingeführt. Auch die
verlassenen Fabrikhallen in der Hafenregion wurden zu Kulturzentren und
billigen Ateliers umfunktioniert. Der Conceição-Hügel hat sein kulturelles Erbe
als Geburtsstätte des Sambas wieder entdeckt. Heute treffen sich jede Nacht unzählige
Menschen am „Salzstein“ (Pedra do Sal), wo angeblich der Samba erfunden wurde.
Ganz zu schweigen von der Lapa, wo sich inzwischen schicke Bars
aneinanderreihen.
Der „Pedra do Sal“
Noch bis vor kurzem gab es keinerlei Investitionen
in das kulturelle Erbe des Stadtzentrums. Aber seit der Olympiavergabe wird ein
historisches Gebäude nach dem anderen renoviert: das städtische Theater, die
Kathedrale, die Fiskalinsel, der Tiradentes-Platz. Man merkt auch, dass jetzt
stärker auf Dokumentation und Information geachtet wird. An mehreren Standorten
werden Informationsschilder aufgestellt und Touristenführer werden
professionell ausgebildet. Früher gab es einfach keine Führungen rund um das
ehemalige Regierungsviertel und die Prachtbauten der Bibliothek und des Museums
der Schönen Künste.
Die renovierte Kathedrale
Die Konsequenz ist, dass nicht nur hier im Zentrum,
sondern in ganz Rio die Immobilienpreise immens ansteigen. Gerade so ein
entwertetes Viertel wie der Hafen – zwischen Conceição-Hügel und den
verlassenen Fabrikhallen - lohnt sich
besonders für Spekulation, denn es verspricht die höchsten Gewinne. So wurde
unter dem Namen „Porto Maravilha“ (Wunderbarer Hafen) beschlossen diese Region
wiederzubeleben.
Erneut legt man Wert auf die kulturelle Komponente,
indem das „Museum für Kunst Rio“ und das „Museum des Morgens“ (was auch immer
das sein soll) gebaut werden. Das hässliche Viadukt der Stadtautobahn soll
abgerissen und stattdessen ein Tunnel gebaut werden. Die alten Lagerhallen
wurden schon renoviert und hier finden jetzt jährlich die Modewoche und die
Kunstmesse statt. Die ehemaligen Fabriken sollen abgerissen werden, um neue
Wohn- und Büroflächen zu errichten.
Das Museum der Kunst Rio
Das ganze „Porto Maravilha“-Gebiet erhält eine
Straßenbahn, die es mit dem Stadtflughafen, den Bahnhöfen, der Metro und
wahrscheinlich sogar dem Maracanã verbindet. Da ist klar, dass hier die Preise
in die Höhe schnellen.
Bei den Bauarbeiten wurden mehrere archäologische
Entdeckungen gemacht, wie zum Beispiel die ehemaligen Hafenanlagen der
Kolonialzeit. Der „Pedra do Sal“ war der Ankunftspunkt der verschleppten
Sklaven aus Afrika. Viele von ihnen ließen sich in dieser Region nieder.
Deshalb wurde dort der Samba entwickelt. Die Fundstücke werden scheinbar
professionell gesichert und dokumentiert. Man kann inzwischen gut renovierte historische
Städten besuchen und sich informieren.
Die koloniale Hafenanlage
Die Bauarbeiten nehmen ein Ausmaß, wie damals am
Potsdamer Platz in Berlin an. Und so wurde auch die Idee eines Besucherzentrums
kopiert. In einem blau angestrichenen Würfel können sich Besucher über die
Baupläne informieren. Die Einwohner Rio de Janeiros entdecken gerade Teile und
Geschichten ihrer Stadt, die ihnen bisher komplett unbekannt waren.
Ein Film im Besucherzentrum, der den
Urbanisierungsplan vorstellt.
Gleichzeitig setzt aber auch der Prozess der Gentrifizierung ein. Das heißt, dass der Stadtteil zwar aufgewertet wird, aber die statusniedrigeren Anwohner können sich die wachsenden Preise nicht mehr leisten und werden vertrieben. In einigen der hier befindlichen Favelas geschieht das durch Zwangsenteignung. Es wird die sogenannte Friedenspolizei installiert, deren Aufmarsch aber sehr kriegerisch wirkt.
Die „Friedenspolizei“
Sicherlich sind die neuen Seilbahnen in die Favelas
absolut notwendig für die Anwohner. Pech hat aber nur derjenige, der sein Haus
ausgerechnet an dem Ort hat, an dem ein Pfeiler für den Lift errichtet werden
soll. Die Ingenieure der Stadtverwaltung legen den Weg der Seilbahnen fest,
ohne die Bevölkerung zu befragen. Die Vertriebenen bekommen zwar eine
Abfindung, beklagen sich aber meist darüber, dass der Wert zu gering sei. Ihr
Schicksal ist meist, dass sie in einen zwei oder drei Stunden entfernten Vorort
ausweichen müssen.
So faszinierend die Veränderungen und die
Bauarbeiten sind, so problematisch sind ihre Auswirkungen auf die ärmere
Bevölkerung. Diese Seite der Olympiavorbereitungen versucht das
Organisationskomitee gern zu verstecken. Hier ein Video von Aktivisten (mit
englischen Untertiteln):
Der interessanteste Teil des Videos beginnt bei etwa
drei Minuten, wenn der Vertreter der Stadtverwaltung die Informationsweitergabe
der Aktivisten verhindern will.
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