Wir haben unser Fußballseminar genutzt, um mit
einigen geladenen Professoren eine Stadtrundfahrt, auf den Spuren der Olympia-
und WM-Vorbereitungen, zu machen. Zur Orientierung sei der Post vom 14.12.2012
empfohlen:
http://imlanddesfussballs.blogspot.com.br/2012/12/olympiavorbereitungen-in-rio.html
. Hier findet ihr Landkarten.
1.Stop: Maracanã
Außer den protestierenden Indios konnten wir frenetische Bauarbeiten
in der gesamten Umgebung des Stadions
beobachten. Der Verkehr ist dadurch im Moment stark beeinträchtigt. Das Dach
des Stadions ist schon fast fertig, außerdem wurde ein Großteil der Sitze
angebracht. Einen Rasen gibt es auch schon. Fazit: Das Stadion wird sicher bis
zum ersten Testspiel am 02.06.13 zwischen Brasilien und England fertig. Die
Anfahrtswege aber wohl kaum, da muss man sich dann auf die WM vertrösten.
2.Stop: Olympiapark
Am zukünftigen Olympiapark im weit entfernten Jacarepaguá konnten wir auch
geschäftiges Treiben feststellen. Bisher ist aber nicht viel, außer Baggern und
Sandbergen zu sehen. Der Olympiapark wird in der ehemaligen Formel-1-Strecke
errichtet, die eine Mauer hat und so sieht man wenig.
Die große Frage ist hier, ob die „Vila Autódromo“, ein Fischerdorf, dass
direkt an dieser Mauer klebt bleiben kann oder nicht.
Hier eine Reportage in englischer Sprache von Al Jazeera zum Thema Vila Autódromo:
3.Stop: Porto Maravilha
Die Hafengegend im Stadtzentrum wird komplett umgebaut. Hier befindet sich
auch mit dem „Morro da Conceição“ ein historisches Arbeiterviertel auf einem
Hügel. In Rio wohnen die Armen auf Hügeln und deswegen werden diese Gegenden
von der Mittel- und Oberschicht gemieden. Aber der „Morro da Conceição“ ist
keine Favela und eigentlich ganz romantisch. Es gibt dort sogar eine
historische Festung. Besonders wegen seiner Aussicht wird er jetzt für den Tourismus
entdeckt. Wir haben also in einem dortigen Restaurant zu Mittag gegessen und
dann den Ausblick aus dem Atelier des Malers Paulo Dallier genossen. Danach
sind wir vorbei am „Pedra do Sal“ zum Besucherzentrum gegangen. Alles sehr
beeindruckend.
4.Stop: Rua Carioca
Auf dem Heimweg ist mir dann aufgefallen, dass es auch in der Rua Carioca
einen Protest gibt. Scheinbar sollen die dortigen Ladenbesitzer in den
historischen Gebäuden enteignet werden.
5. Stop: Transcarioca Es werden insgesamt drei neue Schnellbahnen gebaut: die Transcarioca, Transolimpica und Transoeste. Im Bild seht ihr die Transcarioca, die den Flughafen auf der Governeursinsel direkt mit dem Olympiapark verbinden wird. Die ersten Stützsäulen ragen schon aus dem Meer.
Letzte Woche hat meine Forschungsgruppe (http://nepess.blogspot.com.br/) an
der Uni ein Seminar zum Thema „Confed-Cup“ veranstaltet. Wir konnten also
ausgiebig über Fußball sprechen. Es gab vier Runde Tische, fünf Arbeitsgruppen
und eine Videosession. Ich konnte einige der geladenen Professoren für kurze
Interviews gewinnen, die ich euch nicht vorenthalten will.
Den Anfang macht der Anthropologe Pablo Alabarces
von der Universität Buenos Aires. Er spricht über das Fußballverhältnis
Argentinien-Brasilien und die argentinischen Erwartungen zur WM 2014.
(Englisch)
Der Soziologe João Sedas Nunes von der Neuen
Universität Lissabon spricht über die portugiesische Sichtweise zur
brasilianischen Nationalmannschaft und die WM 2014. (Englisch)
Die Präsidentin der brasilianischen Anthropologenvereinigung
Carmen Rial von der Bundesuniversität Santa Catarina in Florianópolis stellt
ihre beeindruckende Forschungsarbeit mit brasilianischen Profifußballern in
Europa und den USA vor. (Englisch)
Schließlich spricht der Literaturwissenschaftler
Elcio Cornelsen von der Bundesuniversität Minas Gerais in Belo Horizonte über die
Vereinshymnen brasilianischer Fußballklubs. (Deutsch!)
Folgende Meldung erschütterte heute den Fuball Rio
de Janeiros: Es wurden so schwere Sicherheitsmängel an der Dachkonstruktion des
Engenhão-Stadions in Rio festgestellt, dass das Stadion vorläufig geschlossen
wird. Laut Stadtverwaltung wird die Analyse und Behebung der Mängel mindestens
zwei Monate dauern. In der Zwischenzeit müssen sich die Klubs ein anderes
Stadion suchen, was nicht einfach ist, da das Maracanã noch nicht fertig ist.
Es bleibt noch das São Januário oder ein Stadion außerhalb Rios.
Angeblich sind die Bögen, die das Dach tragen nicht
ordnungsgemäß in den Säulen verankert. Bei Sturmböen könnte somit das Dach herab
brechen. Gerade der Nutzer Botafogo sucht jetzt natürlich Schuldige, da er
einen Verdienstausfall erleiden wird. Aber das ist nicht einfach, denn das
Projekt und die Planung wurde von einem Unternehmen geleistet, der erste Teil
des Baus von einem anderen. Diese Baufirma wurde, dann aber nach
Schwierigkeiten von einer anderen abgelöst. Schließlich haben Stadtverwaltung,
Botafogo und Olympisches Komitee das Stadion abgenommen und genutzt.
Betrachtet man die prekären Verhältnisse des
brasilianischen Frauenfußballs, so kann man sich die Erfolge der
Nationalmannschaft um Marta kaum erklären. Erst vor wenigen Jahren konnte sich
der CBF durchringen eine Frauenmeisterschaft zu organisieren. Aus Finanzgründen
wird diese Meisterschaft nicht im Ligasystem, sondern im Pokalmodus
ausgetragen. So sind weniger Reisen und weniger Spieltage nötig, außerdem kann
man die ersten Runden nach regionalen Gesichtspunkten einteilen.
An diesem Wochende stand das Hinspiel im Viertelfinale
an. Rio de Janeiro hat mit CEPE aus Duque de Caxias einen sehr erfolgreichen
Vertreter in dieser Meisterschaft. 2011 wurden die Mädchen um den Trainer Edson
sogar brasilianischer Meister. Grund genug für Leda, Carol und mich den Weg
nach Xerém ins Marrentão-Stadion, am Fuß des Gebirges von Petrópolis,
einzuschlagen. Es ist fast unmöglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln in diese
entlegene Region zu kommen. Mit dem Auto waren wir fast eine Stunde unterwegs.
Xerém ist bekannt für seine vielen Regenfälle und
tatsächlich, kurz vor der Mautstation beginnt es zu regnen. Die Station ist
natürlich so gebaut, dass einem kurz vor der Ausfahrt noch R$8 abgezwickt
werden. Von dort sind es nur noch wenige Meter durch eine schon sehr grüne
Gegend zwischen den ersten Hügeln des Gebirges zum Stadion.
Am Stadion angekommen merken wir, wie sehr der
Frauenfußball ignoriert wird, denn auf der Tribüne tummeln sich eigentlich nur
eine Hand voll Freunde und Familienangehörige der Spielerinnen und nicht einmal
die Snackbude hat geöffnet. Der Eintritt beträgt auch günstige R$5. Als wir
ankommen, sind die Spielerinnen schon auf dem Platz und grüßen die leeren
Ränge. Aber das Spiel kann nicht beginnen, denn, wie bei meinem letzten Besuch
in Xerém bei der Herrenmannschaft, fehlt auch heute der Krankenwagen. Die
Spielerinnen müssen versuchen sich im Regen warm zu halten.
CEPE ist ein kurioser Verein, denn er ist der Klub
der Fabrikarbeiter der staatlichen Ölgesellschaft Petrobras und hat sein
Gelände an der Ölrafinerie in Duque de Caxias. Das Gelände dient in erster
Linie für Freizeitaktivitäten der Mitarbeiter, wie Schwimmbad, Sauna oder
Grillen und ist nicht auf Hochleistungssport ausgerichtet. Aber der Trainer
Edson sah die Chance in diesem Ambiente eine Vorzeigemannschaft für den
Frauenfußball zu gründen.
Heute ist die Frauenabteilung von CEPE ein
Aushängeschild für Brasilien. Die Mädchen werden - zwar schlecht – aber
immerhin, bezahlt. Ein Gemisch aus Sponsorengeldern und Studienstipendien an
Sportunis ermöglicht die Finanzierung. Edson geht in ganz Brasilien auf
Talentsichtung. Die meist aus armen Verhältnissen stammenden Mädchen stehen
dann vor dem Problem einer Bleibe in Duque de Caxias. Auch dafür fand Edson
eine „Do it yourself“ Lösung: 12 Spielerinnen wohnen in seinem Haus!
Als der Krankenwagen endlich eintrifft, hört es auf
zu regnen und das Spiel kann beginnen. Leider läuft es nicht besonders gut für
CEPE. Die Gäste aus São José im Bundesstaat São Paulo sind durchgehend überlegen
und kommen noch in der ersten Halbzeit zum 0:1. In der Halbzeitpause beginnt es
wieder zu regnen und die Zuschauer flüchten sich in den Zugangstunnel, in dem
sogar eine Bank steht.
Aber pünktlich zur zweiten Halbzeit hört es wieder
auf zu regnen. São José kommt nach einem fürchterlichen Torwartfehler zum 0:2,
aber CEPE kann überraschend ausgleichen. São José mobilisiert noch einmal
zusätzliche Kräfte und erzielt schließlich das verdiente 2:3. Die Spielerinnen
nehmen es aber gelassen und kommen an den Zaun oder sogar auf die Tribüne, um
mit ihren Familien und Freunden zu plaudern.
Leda, Carol und ich nehmen das Auto, um uns wieder
auf den Weg zurück nach Rio zu machen. Für unser schon traditionelles
Abendessen haben wir diesmal die Tasca do Edgar im Stadtteil Laranjeiras,
gleich um die Ecke von Fluminense, ausgewählt. Dort gibt es eine sensationelle
Leão Veloso-Suppe aus Meeresfrüchten. Bei Edgars Rezept wird sie mit Rahm
gemacht, was der Suppe das gewisse Etwas verleiht. Danach gibt es noch
angemachten Oktopus und Garnelen-Geschnetzeltes, eine Abwandlung eines
traditionellen brasilianischen Rezeptes.
Die Bauarbeiten rund um das Maracanã laufen auf
Hochtouren. Es ist geplant mehrere Gebäude einzureisen, um so Platz für
Parkplätze und andere Einrichtungen für die WM zu schaffen. Eines der
meistdiskutierten Gebäude ist das ehemalige Indianermuseum. Ein schönes Haus,
das leider sich selbst überlassen wurde uns so kurz vor dem Einsturz steht.
Es wurde etwa 2006 von Indianern besetzt, die
seitdem dort in Zelten wohnen. Diese Indianersiedlung wurde jahrelang nicht
bemerkt, bis die Pläne bekannt wurden, dass das Indianermuseum für die WM
eingerissen werden soll und somit die Indianer dort weichen müssen. Der Versuch
einer Zwangsräumung durch die Polizei vor ein paar Wochen scheiterte, unter
anderem wegen dem enormen Medieninteresse.
Die Landesregierung reagierte auf die Proteste und
beschloss das Gebäude wieder herzurichten. Es soll nun ein Olympiamuseum
beherbergen. Die Indianer müssen trotzdem weichen. Ihnen wurde ein Ultimatum
bis vergangenen Donnerstag gestellt, um das Gebäude freiwillig zu räumen.
Freitag in der früh um 3.00h rückte dann erneut die Polizei an. Überraschenderweise
hatten sie erneut größte Schwierigkeiten die Indianer aus dem Gebäude zu holen.
Ich kam zufällig gegen 10.00h am Maracanã vorbei und die Aktion war noch nicht
abgeschlossen.
Vor dem Museum hatte sich auf der einen Straßenseite
eine Traube von protestierenden Studenten und Journalisten gebildet. Auf der
anderen Straßenseite wurde ein kriegerisch anmutendes Szenario aus
Militärpolizei und ihren Fahrzeugen errichtet. Die Polizei kam sogar mit zwei „Camburões“,
das sind gepanzerte Fahrzeuge, mit denen normalerweise Aktionen in Favelas
durchgeführt werden. Sie wurden im Südafrika der Apartheid erfunden und dann
nach Brasilien exportiert. Direkt an der Mauer des Museums verhandelten auf der
einen Seite die Indianer mit ihrem Federschmuck und auf der anderen Seite
Autoritäten der Regierung.
Laut Medienberichten half der ganze Widerstand
nichts. Das Indianermuseum wurde geräumt und die Indianer in Herbergen
untergebracht. Sie können jetzt entweder eine finanzielle Hilfe in Anspruch
nehmen, um in ihre Stämme zurückzukehren, oder aber eine Sozialwohnung in Rio
beziehen.
Gestern spielte
Brasilien ein Freundschaftsspiel gegen Italien, das 2:2 endete. Diese
Spielpaarung wird natürlich immer an die WM-Finalspiele 1970 und 1994 erinnern.
Ich nehme das zum Anlass, erneut eine
der berühmtesten Chroniken von Nelson Rodrigues zu übersetzen und zwar die, die
am Tag nach dem Finale 1970 veröffentlicht wurde. Es handelt sich schon um eine
sehr reife Phase von Nelson, in der er alle seine stilistischen Elemente
bereits entwickelt hatte. In der Chronik sehen wir die typischen
Verdreifachungen, die Tiermetapher und die Referenzen an klassische Themen, wie
Napoleon, die den sogenannten Neobarock von Nelson ausmachen. Ich weiß nicht,
ob es sich, um eine der besten Chroniken handelt, der Text gewinnt seine
Bedeutung vielmehr aus dem historischen Kontext, auf den er sich bezieht.
Für deutsche
oder andere europäische Leser ist die Chronik wahrscheinlich erschreckend
nationalistisch. Ich denke, man muss da etwas darüber hinweg sehen, denn Nelson
wollte sicherlich nicht bierernst genommen werden und den Fußball eher fühlen,
statt nüchtern analysieren. Natürlich trifft er mit seiner Beschreibung den
Kern des brasilianischen Minderwertigkeitskomplexes, den er belächelt.
Einige
Erklärungen:
-Der
Präsident war der Diktator General Médici.
-Walther
Moreira Salles ist der Besitzer einer Bank.
-Vadinho
Dolabela war ein Vertreter der Schickeria Rio de Janeiros.
-Und das
Finale 1938 war natürlich Italien x Ungarn und nicht Deutschland x Italien, wie
Nelson fälschlicherweise annimmt.
Viel Spaß mit
der Chronik:
Freunde, das war der schönste Sieg aller Zeiten im
Weltfußball. Diesmal gibt es keine Entschuldigung, keinen Zweifel und keinen
Trugschluss. Seit dem Paradies gab es keinen Fußball mehr, wie den unsren. Ihr
erinnert euch, was unsere „Versteher“ über die europäischen Stars gesagt haben.
Es war, als ob wir nur Holzfüße oder Fischköpfe wären. Wenn Napoleon die
Buhrufe erlitten hätte, die unser Team gegeißelt haben, dann hätte er nicht
einmal eine Schlacht mit Zinnsoldaten gewonnen.
Es war leichter eine Giraffe, als einen Optimisten
in unseren Redaktionen zu finden. Der Optimist wurde wie ein geistig
Beschränkter gesehen und bewertet. Als das Team hier abreiste, heulten die
Hyänen, die Geier und die Schakale: - „Sie kommen nicht über das Viertelfinale
hinaus!“ Es wurde eine Pessimismus-Kampagne angekurbelt. Und die „Versteher“
rieten: „Bescheidenheit, Bescheidenheit!“. Als ob der Brasilianer ein armer
Teufel ohne Mutter und Vater wäre. Ich kann mich daran erinnern, als João
Saldanha zum Nationaltrainer berufen wurde. Wir hatten eine Unterredung auf
offenem Gelände. Und João sagte zu mir: - „Wir werden auf jeden Fall gewinnen!
Der Pott gehört uns!“.
Die Wenigsten glaubten an Brasilien. Einer war der
Präsident, der zu mir sagte: - „Wir werden gewinnen, wir werden gewinnen“ – und
noch am Samstag gab er seinen Tip für das Finale ab: - „Brasilien, 4:1“. Aber
die „Versteher“ schwuren, dass der brasilianische Fußball 30 Jahre Rückstand
hätte. Und die berühmte europäische Geschwindigkeit? Diese Geschwindigkeit
existierte unter ihnen und für sie. Aber Brasilien hat gegen Alle im
Spaziergang, einfach im Spaziergang, gewonnen. Mit unserer genialen
Langwierigkeit haben wir die dumme Geschwindigkeit unser Gegner begraben.
Ich habe immer geschrieben (Gott sei Dank verstehe
ich nichts vom Fußball), aber ich habe geschrieben, dass das Finale von 1966
Antifußball, ja ich wiederhole, ein fürchterliches Gebolze, war. Aber wehe,
wehe uns. Die „Versteher“, wenn sie nur von England oder Deutschland sprachen,
dann sabberten sie schon in die Krawatte. Sie wollten die Genialität, die
Magie, die Schönheit unseres Fußballs unterbinden. Aber, ohne es zu wollen,
leisteten die „Versteher“ mit ihrem Schwachsinn und ihrer Unfähigkeit einen
großen Dienst, denn sie ließen die Schnurrhaare unseres Teams wachsamer sein,
als die Borsten des Wildschweins.
Kurios ist, dass die „Nicht-Versteher” an die
Nationalmannschaft glaubten. Zum Beispiel: - Walther Moreira Salles. Er hat die
Leitung einer Bewegung übernommen, die das Team finanziell unterstützt hat. Es
hat nicht an Leuten gefehlt, die ihm sagten: - „Tu das nicht. Das ist eine
Gurkentruppe.“ Aber kurios ist, dass Walther Moreira Salles in keinem Moment
sein Vertrauen in die Nationalmannschaft verlor. Oft hat er mir gesagt: - „Ich
weiß, dass wir gewinnen werden“.
Ich unterbreche das Schreiben, um ans Telefon zu
gehen. Es ist Vadinho Dolabela, der letzte Bohemien, der letzte Romantiker
Brasiliens. Er weint am Telefon: - „Nelson, wir haben gewonnen, Nelson! Der
Pott gehört uns!“ Dass er uns gehören würde steht schon seit 6.000 Jahren fest.
Noch nie hat eine Nationalmannschaft ein so perfektes Turnier gespielt, wie
Brasilien 1970. Wir haben alle Pseudokobras besiegt. Alle Finale sind
schwierig. Deutschland x Italien 1938 benötigte der Verlängerung. Als das Spiel
vorbei war, legten sich die Spieler mehr tot als lebendig auf den Boden.
Deutschland x England, erneut Verlängerung, sowohl 1966, als auch 1970.
Brasilien hat keine Minute zusätzlich benötigt.
Gestern war es ein Spaziergang für uns. Das Tor für
Italien, das franziskanische Tor Italiens, haben nicht die Italiener erzielt.
Es war eine Spielerei von Clodoaldo. Dieser geachtete Dribbler aus Sergipe,
400-jährig, beschloss einen Absatzkick zu machen. So erhielt der Feind den Pass
und das Tor als Geschenk, umsonst. Im Gegensatz dazu waren die brasilianischen
Tore unveränderbare und ewige Kunstwerke. Der Kopfball von Pelé, zum ersten
Zwischenstand, war etwas Überraschendes. Er stieg leicht auf, fast beflügelt,
und versenkte den Ball im Eck.
Zusammengefasst: Jedes Tor der Unsrigen war ein
Schatz. Schon am Vorabend erklärten die größten Autoritäten des Fußballs
einstimmig, dass Brasilien das Spiel gewinnen müsse, weil es besser wäre. Das
war das schreiend Offensichtliche, das die Welt erkannte, nur nicht die
„Versteher“ hier. Bevor ich es vergesse, muss ich noch das Bewiesene
beobachten: - Wir haben gewonnen und dabei dem Gegner ein Bad der Paulina
Bonabarte gegeben. Man sagte, dass die Italiener hervorragend wären. Sie haben
4 x 1 gegen uns verloren und es hätte 4 x 0 ausgehen müssen. Oder besser: nicht
4 x 0, sonder 5 x 0 und ich erkläre es: - als Rivelino in der letzten Minute
die ganze Mannschaft ausdribbelte, in den Strafraum kam und mit Ball und Körper
ins Tor gekommen wäre, erlitt er den zynischsten, den offensichtlichsten
Elfmeter. Es war ein sicheres Tor. Doch wir mussten auch noch gegen einen
bösartigen Schiedsrichter antreten.
Freunde, ewiger Ruhm für den dreifachen Weltmeister.
Dank sei dem Team, denn jetzt müssen die Brasilianer sich nicht mehr schämen
Patrioten zu sein. Wir sind 90 Millionen Brasilianer, mit Sporen und Kamm, wie
die Drachen des Pedro Américo.
Ich habe inzwischen noch zwei Videos gefunden, die ich euch zeigen muss. Das erste hält die Situation zum Ende des Spiels vom Samstag fest. Man sieht den Spieler verletzt links vom Tor. Später erscheint er auf der Linie, um den Ball abzuwehren. Der Ball wurde aus etwa 20m abgeschossen, aber der Schiedsrichter gibt Freistoss aus etwa 11m. Seht selbst:
Außerdem hat Bangu 1960 an einem internationalen Turnier in New York teilgenommen, bei dem auch Bayern München mitgespielt hat. Bangu hat das Turnier gewonnen und trägt deshalb stolz den Titel Weltmeister auf seinem Briefkopf. Davon gibt es einige Bilder:
Bangu ist einer der wichtigsten Fußballklubs in Rio.
Er wurde 1904 unter dem Namen „The Bangu Athletic Club“ von den Mitarbeitern
einer englischen Textilfabrik in Bangu gegründet. Es handelt sich dabei um
einen der westlichsten Vororte der Stadt. Mit dem Zug ist man ab Hauptbahnhof
etwa eine Stunde in den beschaulichen und ländlich wirkenden Stadtteil
unterwegs. Direkt am Bahnhof kann man dann die Textilfabrik bewundern, die
heute zu einem Shopping Center umgebaut wurde. In ihm treffe ich Leda und Carol
und wir gehen gemeinsam zum Stadion.
Man merkt sofort, dass der Verein Bangu etwas
Besonderes ist. Wenn wir nach dem Weg fragten, bekamen wir fast euphorische
Antworten. Der Klub war einer der Gründer der Fußballiga von Rio, einer der
ersten Vereine, die dunkelhäutige Spieler zuließen und gewann zweimal die
Riomeisterschaft. Laut dem Vereinshistoriker Carlos Molinari fand 1894 sogar
das erste Fußballspiel Brasiliens in Bangu und nicht in São Paulo statt, wie
oft angenommen wird. Aber darüber lässt sich streiten.
Das Stadion von Bangu wird allgemein „Moça Bonita“ –
„Schönes Mädchen“ genannt. Nach kurzem Fußmarsch erblicken wir seine weiß-rot
bestrichenen Mauern. Vor dem Stadion befindet sich ein großer Platz mit
Fitnessgeräten, Hartplatz und Grillbuden für die Freizeitgestaltung der
Anwohner. Wir gehen zur Grillbude der Torcida „Bangoró” und sprechen mit
Nilton:
„Unser Fanklub wurde 2009 gegründet. Aber heute
würde ich gar nicht mehr von Fanklub, sondern von einer Familie sprechen, denn
wir treffen uns auch fernab der Spiele. Immer wieder in einer anderen Kneipe
oder, wie heute, beim Grillen.“, erklärt er uns.
„Fahrt ihr auch zu Auswährtsspielen?“, will ich
wissen.
„Aber natürlich! Leider spielt Bangu nur in der
Riomeisterschaft und hat deshalb im zweiten Semester nie Spiele.“
„Und was bedeutet euer Name?“
„Goró ist eine umgangsspraliche Bezeichnung für ein
alkoholisches Getränk, wie Schnaps. Das haben wir dann mit Bangu vermischt. Ach
Übrigens, habt ihr von dem Fall gehört, dass einem Bangufan das Haus ausgeraubt
wurde und dabei auch seine Sammlung von Bangutrikots geklaut wurde?“
Leda: „Ja, davon habe ich gehört!“
„Der ist hier. Wartet mal, ich stelle ihn euch vor.“
Nilton ruft Arílson, der uns seine Geschichte
erzählt, die tatsächlich in den letzten Wochen durch die brasilianische Presse
gegangen ist. (zum Beispiel hier: http://globoesporte.globo.com/futebol/times/bangu/noticia/2013/02/torcedor-tem-casa-roubada-e-faz-faixa-para-ladrao-devolver-blusa-do-bangu.html).
Wir verabschieden uns und gehen ins Stadion, das
1947 eingeweiht wurde und 10.000 Zuschauern Platz bietet. Es ist bei weitem
nicht gefüllt, aber es tummeln sich einige sehr kuriose Gestalten. Da ist erst
Mal ein älterer Herr, der einen Lautsprecher dabei hat, über den er
traditionelle Märsche aus Rio spielt. In der Halbzeitpause gibt er die Hymne von
Bangu zum Besten. Außerdem erblicke ich die Tante des Spielers Willen, die ein
Poster mit seinem Portrait in die Höhe hält und lautstark seine Aufstellung
fordert.
In der Kurve steht die Torcida „Die Bieber von Bangu“,
in Anlehnung an einen wichtigen Mäzen des Vereins mit Namen Castor – Bieber. Es
ist unglaublich, dass er so verehrt wird in Bangu, denn Castor ist eine
zweifelhafte Persönlichkeit. Er hat sein Vermögen im Jogo do Bicho – dem
Tierspiel, einer illegalen Lotterie, verdient. Castor ist 1997 während eines
Heimurlaubs aus dem Gefängnis an einem Herzinfarkt gestorben. Der Bieber ziert
bis heute das Trikot von Bangu. „Die Bieber von Bangu“ sind ein dutzend
Jugendliche, die sich an argentinischen Fanklubs inspirieren. Sie hängen die
typischen kurzen Spruchbänder auf, auf denen furchteinflößende Dinge stehen,
wie: „Willkommen im Verlust der Kontrolle“, „Wir fürchten nichts, denn wir sind
aus Bangu“, „Wer das Böse besingt, vertreibt es“, „Gegen den modernen Fußball“
und „ACAB“.
In der Gegengerade unterhalte ich mich mit Fabíola,
die ein Spruchband, mit der Aufschrift „Stadion – Sofort“ aufgehängt hat. Was
hat es damit auf sich?
„Ich vertrete die Guilherme da Silveira
Gedächtnis-Vereinigung. Wir haben uns gegründet, um uns für den Erhalt eines
historischen Hauses im Zentrum von Bangu, das Guilherme da Silveira, einer der
Gründer des Vereins, dem Klub überlassen hat, einzusetzen. Das Haus fällt ein
und wir könnten dort ein Museum für Bangu einrichten. Der Verein hat ja
schließlich eine wichtige Geschichte.“
Erneut merke ich, wie wichtig der Klub Bangu für den
Stadtteil ist. „Aber was ist mit dem Stadion?“
„Wir haben dann irgendwann bemerkt, dass wir uns
auch für Verbesserungen im Stadion einsetzen könnten. Wir wollen keine Arena,
aber hier liegt Vieles im Argen: Stadionessen, Toiletten, Sitze etc. Aber am
wichtigsten wäre eine neue Flutlichtanlage. Denn wenn wir Abendspiele haben
wird uns das Heimrecht entzogen, da die Flutlichtanlage den Anforderungen des
Fernsehens nicht entsprechen würde.“, ereifert sich Fabíola.
Das Spiel ist sehr spannend. Erst geht Bangu in
Führung, dann kann Caxias das Spiel drehen und schließlich kann Willen das Tor
zum Unentschieden erzielen. Scheinbar hat der Trainer die Bitten seiner Tante
erhört und ihn in der zweiten Halbzeit eingewechselt. Dann kam es in der
letzten Minute noch zu der sensationellen Spielszene, die ich schon im verherigen
Post beschrieben habe:
Ein Spieler von Bangu wurde hinter dem Tor
verletzungsbedingt behandelt. Bei einer brenzligen Situation kam er dann ohne
auf die Erlaubnis des Schiris zu warten zurück auf den Platz und verhinderte
ein Tor auf der Linie. Der Spieler wurde vom Platz gestellt. Das war zu
erwarten, aber wo wird das Spiel wieder aufgenommen und wie?
Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an
der der Spieler regelwidrig aufs Feld kam oder wo der Ball in diesem Moment
war? Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler den
Ball abgewehrt hat oder wo der Ball abgeschossen wurde? Der Schiedsrichter hat
auf „indirekten“ Elfmeter, also mit Mauer, entschieden. Fand ich seltsam und
weiß immer noch nicht was richtig wäre. Der Freistoß konnte abgewehrt werden
und das Spiel endete 2:2.
Die Mädels fuhren nach dem Spiel mit mir zurück in
Richtung Zentrum. Wir beschlossen in der Kneipe „Aconchego Carioca“ am Praça da
Bandeira zu Abend zu essen. Die Wirtschaft wurde in den letzten Monaten berühmt
für ihre ausgefeilten Versionen der Küche Rios. Wir wurden nicht enttäuscht,
als wir uns für folgendes Menü entschieden:
-Feijoada-Bällchen: In einem
Bohnenreisteig befindet sich Kohl und Speck, wie bei dem traditionellen
Bohneneintopf.
- Panierte
Chilischotten mit Fleischfüllung. Sensationell!
-Getrocknetes Picanha (Rinderrücken) mit
Rosmarinbutter, dazu grüne Bohnen und eine Erdnussfarova (Maniokmehl).
Gestern bei dem Spiel in Bangu wurde ein Spieler
hinter dem Tor verletzungsbedingt behandelt. Bei einer brenzligen Situation kam
er dann ohne auf die Erlaubnis des Schiris zu warten zurück auf den Platz und
verhinderte ein Tor auf der Linie. Der Spieler wurde vom Platz gestellt. Das
war zu erwarten, aber wo wird das Spiel wieder aufgenommen und wie?
Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an
der der Spieler regelwidrig aufs Feld kam oder wo der Ball in diesem Moment
war? Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler den
Ball abgewehrt hat oder wo der Ball abgeschossen wurde?
Der Schiedsrichter hat auf „indirekten“ Elfmeter,
also mit Mauer, entschieden. Fand ich seltsam. Kann da jemand weiterhelfen?