Bangu ist einer der wichtigsten Fußballklubs in Rio.
Er wurde 1904 unter dem Namen „The Bangu Athletic Club“ von den Mitarbeitern
einer englischen Textilfabrik in Bangu gegründet. Es handelt sich dabei um
einen der westlichsten Vororte der Stadt. Mit dem Zug ist man ab Hauptbahnhof
etwa eine Stunde in den beschaulichen und ländlich wirkenden Stadtteil
unterwegs. Direkt am Bahnhof kann man dann die Textilfabrik bewundern, die
heute zu einem Shopping Center umgebaut wurde. In ihm treffe ich Leda und Carol
und wir gehen gemeinsam zum Stadion.
Man merkt sofort, dass der Verein Bangu etwas
Besonderes ist. Wenn wir nach dem Weg fragten, bekamen wir fast euphorische
Antworten. Der Klub war einer der Gründer der Fußballiga von Rio, einer der
ersten Vereine, die dunkelhäutige Spieler zuließen und gewann zweimal die
Riomeisterschaft. Laut dem Vereinshistoriker Carlos Molinari fand 1894 sogar
das erste Fußballspiel Brasiliens in Bangu und nicht in São Paulo statt, wie
oft angenommen wird. Aber darüber lässt sich streiten.
Das Stadion von Bangu wird allgemein „Moça Bonita“ –
„Schönes Mädchen“ genannt. Nach kurzem Fußmarsch erblicken wir seine weiß-rot
bestrichenen Mauern. Vor dem Stadion befindet sich ein großer Platz mit
Fitnessgeräten, Hartplatz und Grillbuden für die Freizeitgestaltung der
Anwohner. Wir gehen zur Grillbude der Torcida „Bangoró” und sprechen mit
Nilton:
„Unser Fanklub wurde 2009 gegründet. Aber heute
würde ich gar nicht mehr von Fanklub, sondern von einer Familie sprechen, denn
wir treffen uns auch fernab der Spiele. Immer wieder in einer anderen Kneipe
oder, wie heute, beim Grillen.“, erklärt er uns.
„Fahrt ihr auch zu Auswährtsspielen?“, will ich
wissen.
„Aber natürlich! Leider spielt Bangu nur in der
Riomeisterschaft und hat deshalb im zweiten Semester nie Spiele.“
„Und was bedeutet euer Name?“
„Goró ist eine umgangsspraliche Bezeichnung für ein
alkoholisches Getränk, wie Schnaps. Das haben wir dann mit Bangu vermischt. Ach
Übrigens, habt ihr von dem Fall gehört, dass einem Bangufan das Haus ausgeraubt
wurde und dabei auch seine Sammlung von Bangutrikots geklaut wurde?“
Leda: „Ja, davon habe ich gehört!“
„Der ist hier. Wartet mal, ich stelle ihn euch vor.“
Nilton ruft Arílson, der uns seine Geschichte
erzählt, die tatsächlich in den letzten Wochen durch die brasilianische Presse
gegangen ist. (zum Beispiel hier: http://globoesporte.globo.com/futebol/times/bangu/noticia/2013/02/torcedor-tem-casa-roubada-e-faz-faixa-para-ladrao-devolver-blusa-do-bangu.html).
Wir verabschieden uns und gehen ins Stadion, das
1947 eingeweiht wurde und 10.000 Zuschauern Platz bietet. Es ist bei weitem
nicht gefüllt, aber es tummeln sich einige sehr kuriose Gestalten. Da ist erst
Mal ein älterer Herr, der einen Lautsprecher dabei hat, über den er
traditionelle Märsche aus Rio spielt. In der Halbzeitpause gibt er die Hymne von
Bangu zum Besten. Außerdem erblicke ich die Tante des Spielers Willen, die ein
Poster mit seinem Portrait in die Höhe hält und lautstark seine Aufstellung
fordert.
In der Kurve steht die Torcida „Die Bieber von Bangu“,
in Anlehnung an einen wichtigen Mäzen des Vereins mit Namen Castor – Bieber. Es
ist unglaublich, dass er so verehrt wird in Bangu, denn Castor ist eine
zweifelhafte Persönlichkeit. Er hat sein Vermögen im Jogo do Bicho – dem
Tierspiel, einer illegalen Lotterie, verdient. Castor ist 1997 während eines
Heimurlaubs aus dem Gefängnis an einem Herzinfarkt gestorben. Der Bieber ziert
bis heute das Trikot von Bangu. „Die Bieber von Bangu“ sind ein dutzend
Jugendliche, die sich an argentinischen Fanklubs inspirieren. Sie hängen die
typischen kurzen Spruchbänder auf, auf denen furchteinflößende Dinge stehen,
wie: „Willkommen im Verlust der Kontrolle“, „Wir fürchten nichts, denn wir sind
aus Bangu“, „Wer das Böse besingt, vertreibt es“, „Gegen den modernen Fußball“
und „ACAB“.
In der Gegengerade unterhalte ich mich mit Fabíola,
die ein Spruchband, mit der Aufschrift „Stadion – Sofort“ aufgehängt hat. Was
hat es damit auf sich?
„Ich vertrete die Guilherme da Silveira
Gedächtnis-Vereinigung. Wir haben uns gegründet, um uns für den Erhalt eines
historischen Hauses im Zentrum von Bangu, das Guilherme da Silveira, einer der
Gründer des Vereins, dem Klub überlassen hat, einzusetzen. Das Haus fällt ein
und wir könnten dort ein Museum für Bangu einrichten. Der Verein hat ja
schließlich eine wichtige Geschichte.“
Erneut merke ich, wie wichtig der Klub Bangu für den
Stadtteil ist. „Aber was ist mit dem Stadion?“
„Wir haben dann irgendwann bemerkt, dass wir uns
auch für Verbesserungen im Stadion einsetzen könnten. Wir wollen keine Arena,
aber hier liegt Vieles im Argen: Stadionessen, Toiletten, Sitze etc. Aber am
wichtigsten wäre eine neue Flutlichtanlage. Denn wenn wir Abendspiele haben
wird uns das Heimrecht entzogen, da die Flutlichtanlage den Anforderungen des
Fernsehens nicht entsprechen würde.“, ereifert sich Fabíola.
Das Spiel ist sehr spannend. Erst geht Bangu in
Führung, dann kann Caxias das Spiel drehen und schließlich kann Willen das Tor
zum Unentschieden erzielen. Scheinbar hat der Trainer die Bitten seiner Tante
erhört und ihn in der zweiten Halbzeit eingewechselt. Dann kam es in der
letzten Minute noch zu der sensationellen Spielszene, die ich schon im verherigen
Post beschrieben habe:
Ein Spieler von Bangu wurde hinter dem Tor
verletzungsbedingt behandelt. Bei einer brenzligen Situation kam er dann ohne
auf die Erlaubnis des Schiris zu warten zurück auf den Platz und verhinderte
ein Tor auf der Linie. Der Spieler wurde vom Platz gestellt. Das war zu
erwarten, aber wo wird das Spiel wieder aufgenommen und wie?
Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an
der der Spieler regelwidrig aufs Feld kam oder wo der Ball in diesem Moment
war? Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler den
Ball abgewehrt hat oder wo der Ball abgeschossen wurde? Der Schiedsrichter hat
auf „indirekten“ Elfmeter, also mit Mauer, entschieden. Fand ich seltsam und
weiß immer noch nicht was richtig wäre. Der Freistoß konnte abgewehrt werden
und das Spiel endete 2:2.
Die Mädels fuhren nach dem Spiel mit mir zurück in
Richtung Zentrum. Wir beschlossen in der Kneipe „Aconchego Carioca“ am Praça da
Bandeira zu Abend zu essen. Die Wirtschaft wurde in den letzten Monaten berühmt
für ihre ausgefeilten Versionen der Küche Rios. Wir wurden nicht enttäuscht,
als wir uns für folgendes Menü entschieden:
-
Feijoada-Bällchen: In einem
Bohnenreisteig befindet sich Kohl und Speck, wie bei dem traditionellen
Bohneneintopf.
-
Panierte
Chilischotten mit Fleischfüllung. Sensationell!
-
Getrocknetes Picanha (Rinderrücken) mit
Rosmarinbutter, dazu grüne Bohnen und eine Erdnussfarova (Maniokmehl).
-
Cachaçapudding. Göttlich!
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