In den letzten Wochen erschienen in brasilianischen
Zeitungen mehrfach Berichte über die Rolle des aktuellen Präsidenten des
Fußballverbandes CBF José Maria Marin während der Militärdiktatur. Ich halte
das Thema Diktatur für sehr sensibel und sperrig in einem Blog über Fußball.
Aber das Ausmaß der Anschuldigungen und die Diskussionen, die sie erzeugten,
führen dazu, dass ich beschlossen habe über das Thema zu schreiben.
Mir erscheint es oft so, dass das Thema
Militärdiktatur (1964 – 1985) in der brasilianischen Öffentlichkeit
totgeschwiegen wird. Während Nachbarländer, wie Argentinien, Uruguay oder
Chile, begonnen haben nach Verantwortlichen zu suchen und ihre Diktatoren vor
Gericht zu bringen, gilt in Brasilien ein Amnestiegesetzt, dass es verbietet
sowohl Mitglieder der Militärregierung, als auch Mitglieder von
paramilitärischen Oppositionsgruppen, anzuklagen. Ich habe oft den Eindruck,
dass das dazu führt, dass oberflächlich der öffentliche Frieden hergestellt ist,
aber unter der Oberfläche brodelt es gewaltig, denn die Wunden schmerzen noch.
Mit Fernando
Henrique Cardoso, Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff stammen die drei
letzten Präsidenten aus der Oppositionsbewegung der Diktaturzeit, wobei sie
ganz verschiedene Schicksale und Rollen ausfüllten. Die aktuelle Präsidentin
war 1969 – 70 in der Guerilla-Gruppe VAR-Palmares aktiv und wurde 1970
festgenommen. Sie selbst schweigt öffentlich über das was mit ihr im Gefängnis
geschehen ist, aber andere Zelleninsassen sagten aus, dass sie brutal gefoltert
wurde, unter anderem mit Elektroschocks an den Genitalien.
Am Tag ihrer Vereidigung als Präsidentin lud sie
demonstrativ ehemalige Zellenkolleginnen zum Tee ein. Dilma redet nicht über
die Diktatur, aber still und leise handelt sie konkret. Die bekannteste
Maßnahme ist die „Kommission der Wahrheit“, die die Zeit der Diktatur dokumentieren
und aufarbeiten soll. Sie nötigte Vertreter der Militärdiktatur zu öffentlichen
Protesten, in denen das Amnestiegesetzt verteidigt wurde. In einem sehr
schockierenden Interview bei TV Globo bezweifelte ein ehemaliger General sogar
öffentlich, dass Dilma tatsächlich gefoltert wurde.
Dilmas
Gefängnisfoto.
In diesem
Kontext muss man die Vorkommnisse um José Maria Marin beobachten. Als
er 2012 zum Nachfolger von Ricardo Teixeira an der CBF-Spitze ernannt wurde,
kannte ihn niemand. Marin hat es geschafft in den letzten 30 Jahren immer ganz
nah am Zentrum der Macht des Fußballverbandes zu sein, aber nie öffentlich
aufzufallen. Aber Dilma erinnerte sich an ihn aus der Zeit der Militärdiktatur
und hat ihn noch nie offiziell empfangen.
Teile der brasilianischen Presse versuchen nun
Marins Vergangenheit in Erfahrung zu bringen. Marin war für die Einheitspartei der
Diktatur ARENA Stadtrat (1964 – 70), Abgeordneter (1971 – 79) und (Vize-) Gouverneur
(1979 – 83) von São Paulo. Damit war er immer nah am Machtzentrum und somit an
den Entscheidungsfindungen. Die Zeitung „Folha de São Paulo“ berichtet nun,
dass sie Zugang zu den Archiven den Militärdiktatur gehabt habe und diese ausgewertet
hat. Der Geheimdienst hat nämlich nicht nur seine Gegner, sondern auch
Parteimitglieder überwacht, um sie auf Linientreue zu prüfen. Marin bestand
diesen Test mit Bravour.
Natürlich kann man keine Dokumente finden, in denen Marin
tatsächlich eine Hinrichtung befohlen hätte oder gar Anzeichen auf eine direkte
persönliche Beteiligung bei einem Mord. Schon damals gelang es ihm nah an der
Macht, aber unverdächtig und dezent in der zweiten Reihe zu stehen.
Marin (Vizegouverneur) rechts.
Die klarsten Beweise für seine Verstrickungen in die
Diktatur und ihre Menschenrechtsverletzungen existieren im Zusammenhang mit dem
Fall „Vladimir Herzog“. Herzog war bis 1975 Direktor für Journalismus bei TV
Cultura in São Paulo. Marin beklagte damals in einer Brandrede im Landtag von São
Paulo, dass TV Cultura nicht über Ereignisse der Partei ARENA berichten würde
und dass dies die öffentliche Ordnung bedrohen würde. Damit liegt nahe, dass er
die darauf folgenden Repressionsmaßnahmen gegen TV Cultura zumindest
unterstütze, wenn nicht sogar initiierte.
Eine der Maßnahmen war die Festnahme des Direktors
für Journalismus Vladimir Herzog, Mitglied der verbotenen Kommunistischen
Partei, und seine Folterung bis zum Tod in den Gebäuden des Geheimdienstes
DOI-CODI. Die Geheimpolizei gab damals an, Herzog hätte Selbstmord begangen.
Das Foto des angeblich Erhängten rief aber erhebliche Zweifel hervor, da seine
Füße den Boden berührten.
Herzog wurde zu einem Symbol der
Redemokratisierungsbewegung, besonders weil er eben nicht Teil der Guerilla,
sondern ein Vertreter der Presse war. Die Frage ist nun, wie man mit diesen
Informationen umgeht, denn es kann keine direkte Verbindung zwischen Marin und
dem Tod von Herzog nachgewiesen werden.
Der Bundestagabgeordnete Romario hat gemeinsam mit
Herzogs Sohn Ivo insgesamt 50.000 Unterschriften gesammelt, die den Rücktritt
Marins sowohl als Präsident des CBF und besonders als Chef des OK der WM
fordern. Die Problematik wurde auch an die FIFA in der Schweiz weitergeleitet -
bisher ohne Antwort. Der Pressesprecher der FIFA in Brasilien antwortete, dass sich
die FIFA nicht in innerbrasilianische Angelegenheiten einmischen kann und die
Zusammenarbeit im Bezug auf die WM-Organisation gut verläuft.
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