An dem Tag, an dem der FC Bayern München seine 23.
Meisterschaft gewinnt, fahre ich mit dem Bus auf die Gouverneursinsel, um das
Spiel der dort beheimateten Portuguesa zu verfolgen. Somit begebe ich mich in
die Niederungen der zweiten Liga Rio de Janeiros. Die Portuguesa ist, wie der
Name andeutet, der Verein der portugiesischen Gemeinde und wurde schon 1927
gegründet. Damit handelt es sich um einen der ältesten Klubs in Rio, der auf
eine reiche Geschichte und viele Jahre in der ersten Liga zurückblicken kann,
wie seine Fans immer wieder betonen. Hier die Doku von ESPN zu Portuguesa:
Mir war klar, dass wohl kaum mehr als 100 Zuschauer
zu einem Zweitligaspiel zu erwarten wären, aber eine gewisse Präsenz der
Fanklubs vor dem Stadion hatte ich schon erwartet. Als ich jedoch die Straße
zum Stadion hinunterlaufe kommt mir diese verdächtig leer und ausgestorben vor.
Da meine Begleiterinnen Leda und Carol noch nicht eingetroffen waren,
beschließe ich allein ins Stadion zu gehen.
Doch ich stoße auf verschlossene Tore. Nach kurzem
Rütteln an den Toren erscheint eine freundliche junge Dame und erklärt mir:
„Das Spiel wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit
stattfinden, da die Feuerwehr aus Brandschutzgründen das Stadion nicht für
Publikum freigegeben hat. Es ist schon das vierte Spiel hinter verschlossenen
Türen.“
Mit meinem Presseausweiß bekomme ich dann doch
Zutritt, aber Leda und Carol werden wohl draußen bleiben müssen.
Solange die Mädels nicht eintreffen schaue ich mir
das Stadion an. Es handelt sich um einen kuriosen Betonbau mit langen klaren
Linien, im Niemeyer-Stil der 60er Jahre. Das Stadion Luso-Brasileiro wurde 1965
eingeweiht. Zuvor war der Klub im Stadtzentrum beheimatet, musste aber der
Erweiterung der Presidente-Vargas-Allee weichen und fand auf der Insel eine
neue Heimat. Man betritt das Stadion über eine Sporthalle, in der mehrere
Basketballfelder eingezeichnet sind. Hier befindet sich auch eine Kantine mit
einem Abbild der Maria von Fatima und Logen für Musikveranstaltungen. Insgesamt
erinnert die Halle an die Infrastruktur von Sambaschulen.
Die Rückseite der Halle öffnet sich dann zur doch
beachtlichen Haupttribüne mit seinem geschwungenen Dach. Da das Stadion sich
auf einer Insel befindet pfeifen heftige Winde über den Platz hinweg, die in
den Bögen des Daches ein heulendes Geräusch erzeugen. Deswegen ist das
Luso-Brasileiro auch als „Stadion der heulenden Winde“ bekannt. Im
Vereinsgelände befinden sich noch ein Restaurant, ein Schwimmbad und eine
Turnhalle. Rund um den Fußballplatz gibt es noch verschiedene Nebenplätze, von
denen einer als Parkplatz genutzt wird. Hier wurden 2005 Stahlrohrtribünen
errichtet, um einige Spiel der ersten brasilianischen Liga auszutragen.
Als ich die fast leere Tribüne betrete, sehe ich
dort mehrere heulende Spieler der Jugendmannschaft des heutigen Gegners
Americano aus Campos im nördlichen Bundesstaat Rio de Janeiro. Als die Mannschaften
einlaufen gibt es zunächst eine Schweigeminute, bevor das Spiel beginnt. Ich
beschließe jemanden von Americano zu fragen, was der Grund dafür sei. Er
antwortet mir:
„Hier hat schon das Spiel der Jugendmannschaften
stattgefunden. Der Supervisor des Jugendteams ist dabei auf dem Platz wegen
eines Herzinfarkts zusammengebrochen. Wir wurden informiert, dass er im
Krankenhaus verstorben ist.“
Ich weiß nicht, ob ich nach so einer Nachricht noch spielen
könnte, aber der Schiedsrichter bittet zum Spiel. Kurz darauf ruft mich Leda an
und bittet um Hilfe am Eingang. Ich hatte erwartet, dass ihr der Zutritt
verwehrt würde. Die Dame von Portuguesa erklärt mir, dass nur der
Vereinspräsident João den Zutritt gestatten könnte.
Das Spiel ist sowieso grottenschlecht und bis zur
Halbzeit fällt kein Tor, also mache ich mich auf die Suche des João. Aber weder
auf der Presse- noch auf der Ehrentribüne finde ich ihn. Auf den normalen
Plätzen wird mir zumindest ein Präsidiumsmitglied vorgestellt. Da ich nicht mit
der Tür ins Haus fallen will, beginne ich zunächst ein Gespräch über das
Feuerwehrgutachten:
„Warum
findet das Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt?“
„Weil die
Feuerwehr uns nicht das Brandschutzgutachten gegeben hat.“
„Aber was
wurde beanstandet?“
„Das wir
das Brandschutzgutachten nicht haben.“
„Und warum
haben sie es nicht bekommen?“
„Weil die
Feuerwehr es uns nicht geben wollte. Entschuldigen sie, ich muss jetzt schnell
mit jemandem sprechen. In fünf Minuten bin ich zurück.“
Und verschwunden
war er. Das kann man nicht gerade gesprächsbereit nennen. Somit bin ich auch
gar nicht dazu gekommen, um Einlass für Leda zu bitten. Ich gehe zum Tor zurück
und wir beschließen das Stadion zu verlassen, um unser traditionelles gut
bürgerliches Essen zu genießen. Ledas Bekannte Simone ist auf der Insel
aufgewachsen und kennt hier jeden Winkel. Sie macht mit uns eine Rundfahrt und
zeigt uns die Strände. Dann kehren wir in der Kneipe „Pontapé” ein. Hier kann
man schön im Freien sitzen und den Ausblick auf die Guanabara-Bucht genießen.
Wir bestellen die lokale Version der
Kabeljaubällchen. Statt der traditionellen Kartoffelmasse verwendet der Chef
eine Reis-Brokkoli-Masse, dazu gibt es eine warme Knoblauch-Oliven-Sauce.
Lecker! Sehr gelungen. Außerdem bestellen wir eine Portion Pommes mit
Cream-Cheese, Speck und Knoblauch, ganz schön Trash und gar nicht gesund.
Insgesamt war die „Pontapé“ eine hervorragende Option, aber leider
müssen wir wieder in die Stadt zurück. Im Auto macht Leda das Radio an, um die
Übertragung des Fluminensespiels zu hören. Plötzlich ertönt ein schallendes
„Halleluja, Halleluja, Halleluja“. Was war passiert? Rhayner, der 83 Spiele
ohne Torerfolg war, hatte endlich getroffen und die Radiostation war so wach
und gut vorbereitet, dass sie den Halleluja-Jingle einspielten. Später sagte
Rhayner, dass er eigentlich flanken wollte und das Tor eher versehentlich
geschah. Was für ein ereignisreicher Tag!
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