Der einzige echte Arbeiterverein unter den großen
vier Rio de Janeiros ist Vasco da Gama. Der Verein trägt seine Heimspiele seit
1927 im clubeigenen Stadion São Januário aus, das in der ärmeren Nordzone
liegt. Malerisch winden sich die engen Gassen durch den Stadtteil São Cristóvão
bis zum Vereinssitz. Vasco spielt heute gegen Palmeiras und ich komme etwa zwei
Stunden vor dem Spiel am Stadionvorplatz an. Wuchtig ragt die Fassade der
Haupttribüne mit ihren portugiesischen Fliesen zwischen den Einfamilienhäusern
hervor.
Um das Stadion herum gibt es unzählige Stände und
Kneipen, die Bier und Salziges verkaufen. An einem dieser Stände kaufe ich mir
Maniokbällchen und sehe das Spiel von Vascos Stadtrivalen Fluminense in São
Paulo gegen Portuguesa am TV an. Um mich herum trifft sich eine Gruppe älterer Herren,
die eine Tipprunde organisiert hat. Trotz der Rivalität haben die meisten auf
einen Sieg von Fluminense gesetzt, denn die „Dreifarbigen“ sind seit
vergangener Woche Tabellenführer. Fluminense gewinnt 2:0 und verteidigt so die
Spitze.
„Jetzt fehlt nur noch ein Sieg von Vasco!“ sagt Jorge
neben mir und wedelt aufgeregt mit seinen Tippzettel. „Wirst du das Spiel
sehen?“, frage ich ihn. „Na klar, ich bin auch zuversichtlich, trotz der Krise.“,
antwortet er. Mit Krise meint er, dass diese Woche der Trainer Cristóvão Borges
aufgrund schlechter Resultate zurückgetreten ist.
Die Karriere von Cristóvão ist kurios, denn er wurde
nur Cheftrainer, da im August 2011 der damalige Cheftrainer Ricardo Gomes
während eines Spiels einen Schlaganfall erlitten hat und für arbeitsunfähig
erklärt wurde. Der damalige Assistenztrainer Cristóvão Borges rückte von einer
Sekunde auf die andere vor laufender Kamera ins Rampenlicht. Wahrscheinlich war
das aber eine zu große Belastung für ihn, denn nach nur fünf Punkten in den
vergangenen neun Spielen kündigte er. Das ist überraschend, denn normalerweise kündigen
Trainer nicht, sie werden entlassen.
„Aber ich glaube der Trainerwechsel kommt zum richtigen Zeitpunkt. Cristóvão hat die Mannschaft nicht mehr erreicht. Ich
glaube sogar, dass er sie nicht mehr selber aufgestellt hat.“, fährt Jorge
fort. Dann wird er von einem Bekannten begrüßt, mit dem er in eine weitläufige
Debatte über den Tippzettel beginnt. Ich trinke mein Bier aus und begebe mich
ins Stadion.
Als die Mannschaften einlaufen organisieren die Fans
einen Protest, indem sie mehrere Spruchbänder hochhalten. Auf ihnen machen sie
ihrem Ärger über den Ausverkauf der Mannschaft Luft. Nach ihrer Meinung ist die
Kündigung des Trainers ein weiterer Teil des Zerfalls der Mannschaft. Wenn man
auf die Tabelle schaut, erscheint einem das Alles etwas übertrieben, denn Vasco
befindet sich auf dem vierten Platz, der zur Teilnahme an der Copa Libertadores
(Champions League Südamerikas) berechtigt. Damit befindet man sich weiterhin im
Kampf um die Meisterschaft.
Das heutige Spiel wird zu einem Sinnbild vieler
Probleme des brasilianischen Fußballs. Da ist erstens die niedrige
Zuschauerzahl. Ich schätze, dass etwa 2.000 Fans anwesend sind, bei einem Spiel
zweier Traditionsmannschaften. Ein Grund dafür kann die vermeintliche Krise von
Vasco sein, aber viel wahrscheinlicher ist, dass das Spiel um 22.00h beginnt
und die Anbindung des Stadions an den öffentlichen Nahverkehr äußerst prekär
ist. In einer Millionenstadt wie Rio de Janeiro riskiert der Fan, an einem
Mittwoch erst gegen 01.00h oder 02.00h heim zu kommen.
Das Spiel ist grottenschlecht. Palmeiras schießt das
erste Tor und Vasco gelingt es, ich weiß nicht wie, noch vor der Pause
auszugleichen. Ähnlich zufällig erzielt Vasco noch zwei weitere Tore in der
zweiten Halbzeit. Der neue Trainer Gaúcho hatte scheinbar ein glückliches Händchen.
In dem fast leeren Stadion kommt einfach keine Stimmung auf. Man muss sich
wirklich fragen warum man sich das antut. Trotzdem war es wieder gut Menschen
schimpfen und jubeln zu hören, ein Bier zu trinken und ein paar Worte mit
anderen Fans zu wechseln. Gerade in dem altehrwürdigen São Januário, mit seiner
fehlenden Infrastruktur, fühlt man sich schnell daheim.
Auf den Straßen rund um das Stadion befindet sich nach
dem Spiel fast kein Mensch und ich muss bis zur nächsten größeren Avenida
laufen, um einen Bus zu bekommen. Um 01.00h bin ich daheim.
Nachtrag: Palmeiras rutscht mit der Niederlage auf den vorletzten Platz. Heute wurde deshalb der Trainer Luiz Felipe Scolari, der 2002 Trainer der brasilianischen Weltmeistermannschaft war, entlassen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen