Fluminense
ist der älteste Verein Rio de Janeiros. Er wurde am 21. Juli 1902 von
aristokratischen Bürgern, viele englischer Abstammung, in Rios feiner Südzone gegründet.
Bis heute behält der Verein die englische Schreibweise „Football Club“ bei.
Noch im selben Jahr gelang es Fluminense einen Fußballplatz im Stadtteil
Laranjeiras anzumieten, wo der Verein bis heute seinen Sitz hat. Das
wunderschöne Stadion Laranjeiras wurde 1918 zu seiner heutigen Größe im
neokolonialen Stil ausgebaut. Prunkstück ist der Ballsaal mit seinen
Prachtfenstern im Gebäude der Haupttribüne. Die Vereinsfarben sind
grün-weiß-rot, deshalb werden seine Anhänger Tricolores genannt.
1911 trat eine komplette Mannschaft im Streit
bei Fluminense aus und gründete die Fußballabteilung bei Flamengo. Damit wurde
das berühmte Stadtderby Fla-Flu, quasi als Vater-Sohn Duell geschaffen. Das
Spiel bannt die Massen und hat einige denkwürdige Partien erlebt. Eines der
berühmtesten ist das Fla-Flu der Lagune, bei dem die Spieler von Fluminense so
lange die Bälle aus dem Stadion Flamengos in die Lagune droschen, bis sie den
Sieg über die Zeit gerettet hatten. 1995 wurde die Riomeisterschaft durch das
Bauchtor von Renato Gaúcho im strömenden Regen vor 112.000 Zuschauern zu
Gunsten Fluminenses entschieden. Das kuriose Tor fiel in der 86. Minute,
nachdem Fluminense schon drei rote Karten bekommen hatte.
Heute, 30. Oktober 2012, ereignete sich dieses Derby zum
390. Mal. Es symbolisiert in der Stadt Rio de Janeiro das Aufeinandertreffen
von Arm (Flamengo) gegen Reich (Fluminense). Aber es ist auch das Duell der mächtigen
breiten Masse (Flamengo), gegen eine numerisch unterlegene Elite (Fluminense).
Während Fluminense in diesem Duell in der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts
dominierte, spricht die Statistik in der zweiten Hälfte eindeutig für Flamengo.
Im XXI. Jahrhundert beschloss der Besitzer einer großen brasilianischen
Krankenkasse sein Geld, nicht immer ganz rational, in Fluminense zu
investieren. Seitdem dreht sich das Pendel wieder leicht zu Gunsten
Fluminenses.
Dies zeigt sich auch in der aktuellen Tabelle, denn
während Fluminense Spitzenreiter ist, hat sich Flamengo erst diese Woche Luft
im Abstiegskampf verschafft. Beide Vereine haben im Moment in Europa bekannte
Spieler im Kader, bei Fluminense: Deco (Barcelona), Thiago Neves (HSV), Rafael
Sobis (Betis) und Fred (Lyon), bei Flamengo: Vagner Love (ZSKA Moskau), Liedson
(Sporting). Diese Situation führte auch zu einem guten Publikum: etwa 30.000
Fans waren gekommen, um das ewig junge Derby zu sehen. Als ich am Engenhão
ankomme ist schon viel los in den engen Gassen.
Als noch etwa 15 Minuten bis zum Anpfiff fehlten, bahnte
sich eine tanzende und laut singende Gruppe den Weg durch die Massen: die Young
Flu, wichtigste Ultra-Gruppierung von Fluminense. Diesen Moment habe ich
gefilmt:
Ich dachte, dass die Situation schon vorbei wäre und
beendete die Aufnahme. Doch es dauerte nur etwa drei Sekunden, bis ein Polizist
mitten im Getümmel einen Warnschuss in die Luft abgab. Die Menge stob
auseinander und der Polizist schrie laut herum. Die Szene ist hier zu sehen:
Was war geschehen? Die Polizei wollte den Fans nur das
Tanzen verbieten. Sie sollten doch bitteschön ruhig und gesittet zum Spiel
gehen. Ich dachte mir nur, dass das eine seltsame Vorstellung von Fußball ist.
Aber leider werden in Brasilien im Moment viele Maßnahmen ergriffen, die
angeblich dazu beitragen die Fans zu erziehen.
Aber nun zum Spiel: das 390. Derby war voller Aufregung
und Brisanz. ES fehlte eigentlich nichts, außer eventuell ein oder zwei Tore
mehr. Die erste Halbzeit wurde von Fluminense dominiert. Flamengo mühte sich
sein Angriffsspiel aufzubauen, aber der Spitzenreiter stürmte blitzschnell
dazwischen und hätte mit seiner wirbelnden Angriffsraute aus Fred, Wellington
Nem, Deco und Thiago Neves schon früh in Führung gehen müssen. In der 18.
Minute war es dann endlich so weit: Fred netzt mit einem wunderschönen
Fallrückzieher, nach einer Flanke von Deco in den Rücken der Abwehr, ein.
Die zweite Halbzeit hätte kaum unterschiedlicher sein
können. Ich hatte das Gefühlt, dass besonders der Sturm von Fluminense der Atem
ausging und einbrach. Flamengo kam zu unglaublichen Chancen, die klarste ein
Elfmeter in der 85. Minute, der aber von Diego Cavalieri abgewehrt wurde. Kurz
zuvor wurde schon ein Schuss aus fünf Metern über Latte gedroschen. Fluminense
war nur noch auf Spielzerstörung und Zeitspiel aus, als in der 95. Minute
endlich der rettende Schlusspfiff kam. Gestern hatte der Verfolger Atlético –
MG schon gegen die Portuguesa in São Paulo unentschieden gespielt und so hat
Fluminense jetzt einen Vorsprung von sechs Punkten. Wäre da nicht dieser
mysteriöse Leistungseinbruch der zweiten Halbzeit, würde ich sagen, dass
Fluminense mit Meilenstiefeln auf die vierte Meisterschaft zuläuft.
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