Sehnsucht nach dem Winter? Dann muss man einfach
Mitten im Juli einen Flug nach Argentinien buchen. Buenos Aires hat mich mit kühlen
fünf Grad empfangen. Bitterkalt für meinen Geschmack. Aber Buenos Aires hat
auch viel zu bieten, zum Beispiel saftige Steaks und schöne Architektur. Leider
wurde die argentinische Fußballmeisterschaft am letzten Wochenende beendet.
Meister wurde Velez mit einem 1:0 im Finale gegen Newells.
Aber Argentinien ist nicht so eine Sportmonokultur
wie Brasilien und so kann man hier auch Tennis, Polo und Rugby bewundern. Also
habe ich mich gestern bei wolkenbedecktem Himmel mit dem Zug nach San Isidro aufgemacht,
um dort das Spitzenspiel der ersten Liga von Buenos Aires (http://www.urba.org.ar) zwischen San Isidro
Club (CIS) und Club Universitario de Buenos Aires (CUBA) zu sehen.
Rugby ist in Argentinien der Sport der gehobenen
Mittelschicht. Er wird in den Klubs in den Vororten der Provinz Buenos Aires
oder auf dem Land ausgeübt, wo diese Gesellschaftsschicht ihre Wochenendhäuser
hat. Deshalb fährt man mit dem Zug über eine Stunde, um zu den Stadien zu
kommen. Man kann auch nicht wirklich von Stadien sprechen. In Argentinien
spricht man von den Countries, das sind geschlossene Viertel in deren Mitte ein
Sportklub liegt, der normalerweise Rugby, Hockey und Golf anbietet. Die Vereine
verfügen über ein Sportheim, in dem man sich gesellig zum Grillen oder zum
Kaffee trifft.
Der Ort San Isidro ist eine Hochburg des
argentinischen Rugbys. Hier befinden sich mit dem Club Atletico San Isidro
(CASI) und dem SIC, zwei der wichtigsten Rugbyvereine des Landes. SIC hatte
gestern ein Heimspiel gegen einen weiteren Titelaspiranten: CUBA. Um genauer zu
sein: Es handelt sich um eine Regionalliga von Buenos Aires. Die nationale
Meisterschaft findet erst gegen Ende des Jahres statt.
Ich komme mit dem Zug in San Isidro an und erwische
sofort den Bus 333, der mich mit freundlicher Hilfe des Fahrers an das Tor des
Clubs bringt. Dort musste ich 50 Pesos (etwa €10) berappen, was im Preisgefüge
Argentiniens teuer ist. Die Nationalmannschaft – Los Pumas – hat sich
inzwischen in der Weltspitze zwischen Südafrika, Neuseeland, Australien,
England und Frankreich etabliert. Trotzdem ist die Vereinsstruktur noch sehr
amateurhaft. Was auch zum Klassenethos der Rugbyspieler passt.
Ein Spieltag ist praktisch ein Treffen der beiden
Klubs. Während die Jungs Rugby spielen, üben sich die Mädels im Hockey nebenan.
Die Eltern treffen sich zum Kaffee im Klubheim. Als ich ankommen finden gerade
die Spiele der dritten und vierten Mannschaften statt. Ich hole mir erst mal ein
Steaksandwich und ein Bier und setze mich auf die Holztribüne. Als dann die
zweite Mannschaft einläuft bauen einige Frauen einen Kuchenstand auf und ich gönne
mir eine Schokoladentorte mit „Dulce de Leche“ (Karamel) und viel Schlagsahne. So
verbringt man gut den Nachmittag in geselliger Runde.
Bedenkt man den Amateurstatus dieses Sports, so
überrascht es doch, dass ESPN das Spiel live übertragen hat. Witziger Weise
wird SIC von Direct TV, also einem Konkurrenten von ESPN gesponsert. Während
des Spiels der ersten Mannschaften wurden die TV-Kameras mehrfach für den
Videobeweis benutzt.
Rugby ist ein sehr schönes Spiel, das meines
Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit in Deutschland erfährt. Es ist faszinierend
wie die Mannschaften mit viel Teamgeist ihre Spielzüge aufbauen müssen, da man
nur rückwärts passen darf. Ebenso beeindrucken die „Kampszenen“, in denen sich
die kräftigen Leiber gegeneinander werfen, um den Punkt zu erzwingen. Die
Regeln sind nicht ganz einfach und die Zuschauer erkennen oft nicht, was im
Gewühl geschieht.
Schon die Zählweise ist komplex: 5 Punkte für eine
Try, der zu einem Conversion-Schuss führt (2 Punkte) und Penaltys zählen drei
Punkte. Gestern haben beide Mannschaften je zwei Trys erzielt (vergleichbar mit
dem Touch Down im American Football), konnten aber keinen einzigen Conversion
verwerten. So fiel die Entscheidung mit den verwerteten Penaltys: SIC erzielte einen
und CUBA drei, Endergebnis: SIC 13, CUBA 19.
Das Hauptspiel war sehr gut besucht, ich würde um
die 2.000 Zuschauer schätzen. Ich hatte auch das Gefühl, dass mehr Fans von
CUBA, als von SIC anwesend waren. Gegen Ende sangen sie sogar Lieder, was eher
ungewöhnlich ist. Es gibt einige sehr überraschende Dinge im Rugby. Dazu
gehört, dass es keine Fankultur im Sinne von Musik und Gesang gibt. Immer wieder
beeindruckend ist, wie kommentarlos Schiedsrichterentscheidungen hingenommen
werden. Man muss sich an den Spruch: „Rugby ist ein Hooligan-Sport, der von Gentleman
ausgeübt wird und Fußball ist ein Gentlemansport, der von Hooligans ausgeübt
wird.“, erinnern. Gestern wurde sogar überraschend ein Spieler von SIC vom
Platz gestellt, was den Auswärtssieg von CUBA ermöglichte. CUBA eroberte damit
die Tabellenspitze und jubelte dementsprechend ausgelassen.
Eine andere Eigenheit ist, das oftmals Leute auf das
Spielfeld kommen, während das Spiel weiterläuft. So betreten die Ärzte, um
einen verletzten Spieler zu behandeln, den Platz. Deswegen wird aber das Spiel
nicht unterbrochen. Bei Penaltys bringen Kinder die Stütze für den Ball in
Eiform. Insgesamt war das Spiel schön ausgeglichen und somit sehr dramatisch.
Es ist sehr gut zwei Mannschaften auf ähnlichem Niveau zu sehen. Somit konnte
ich nach meinem Tag in San Isidro zufrieden meine Heimreise ins Zentrum von
Buenos Aires antreten.
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