In der dritten Liga Brasiliens „Serie C“ sind im
Moment drei Vertreter aus Rio de Janeiro: Macaé, Duque de Caxias und Madureira.
Letzterer ist ein Tradionsverein aus den Vororten Rios und von den drei Klubs für
mich am leichtesten zu erreichen. Also habe ich mich gestern mit einigen
Freunden auf den Weg gemacht, um Madureira im Abstiegskampf zu unterstützen.
Die Stadtteile in Rios Norden sind in der Südzone,
wo die berühmten Strände von Copacabana und Ipanema liegen, als gefährlich und
rückständig verschrien. So mutet es immer wie ein Abenteuer an, wenn man sich
am Hauptbahnhof Central trifft, um einen Zug in die Vororte zu nehmen. Wer
diesen Schritt aber wagt kann eine ganze neue Welt entdecken. Gerade Madureira
ist ein bekanntes Viertel, denn dort wurde der afrobrasilianische Tanz Jongo
erfunden und bis heute gepflegt, es gibt zwei große Sambaschulen (Império
Serrano und Portela) und es gibt Rios größten populären Markt, den Mercadão,
auf dem man Lebensmittel, Kleidung und Religionsartikel kaufen kann. Und dort befindet
sich eben der Madureira EC, dessen Vereinsgelände direkt an die Markthallen
angrenzt.
Unsere Zugfahrt führt uns aber zunächst mitten durch
eine der größten Favelas der Stadt „Jacarezinho“. Von unserem Fenster aus sehen
wir schauerliche Holzhütten, die den Schienen gefährlich nahe kommen. Die
Gleisanlagen unter den Brücken sind einer der berüchtigtsten
Drogenumschlagplätze. Wir atmen auf, als wir diesen Bereich hinter uns gelassen
haben. Die Vororte werden von der unteren Mittelklasse Brasiliens bewohnt und
sind meist sehr idyllisch. Hier gibt es weniger Hochhäuser und mehr kleine
Einfamilienhäuser im Kolonialstil mit Garten. Am Bahnhof in Madureira ist die Hölle los. Es
scheint als ob ganz Rio de Janeiro zum Shoppen gekommen ist. Auch wir lassen
uns einen kurzen Bummel durch den Mercadão nicht nehmen und essen ein Steak zu
Mittag.
Doch jetzt kommt der eigentliche Höhepunkt: das Spiel von Madureira
gegen Vila Nova aus Goiás. Der Madureira EC ist ein sympathischer
Stadtteilklub, der seinen Mitgliedern nicht nur Fußball, sondern auch ein
Schwimmbad, Bauchtanz und sogar einen Frisör anbietet. Zu den Spielen kommen
selten mehr als 200 – 300 älteren Herren aus der Nachbarschaft, die hier ihren
Samstagnachmittag verbringen. So war das auch gestern. Wobei ich sogar eine
kleine Torcida (Ultragruppe) aus etwa 10 Jugendlichen getroffen habe. Hinter
dem Tor steht einsam Diego, ein Hardcorefan von Madureira.
„Ich ziehe es vor entscheidende Spiele alleine
hinter dem Tor zu verfolgen. Da kann ich mich besser konzentrieren. Und heute
geht es um viel. Die Mannschaft ist in letzter Zeit sehr verunsichert. Ich
hoffe sie gewinnen heute.“, erklärt mir Diego. Die Lage von Madureira ist
tatsächlich nicht rosig. Am vorvorletzten Spieltag befindet man sich auf einem
Abstiegsplatz und braucht verzweifelt die drei Punkte, um überhaupt noch eine
Chance zu haben.
Vila Nova hingegen hat noch eine Chance in die
Play-offs um den Aufstieg zu gelangen. Die dritte Liga ist in Brasilien
zweigleisig in Nord und Süd aufgeteilt, um zu lange Reise zu vermeiden. Die
vier Bestplazierten der beiden Ligen spielen dann den Aufstieg in Play-offs
unter sich aus. Aus Vila Nova war sogar ein stimmgewaltiger Fan angereist, der
hier sein Liedgut zum Besten gibt:
In der ersten Halbzeit kam Madureira kaum vor das
Tor von Vila Nova. Die Gäste drückten mehr und kamen zur großen Chance dieser
Halbzeit. Doch der Stürmer von Vila Nova vergab freistehen vor dem Torwart. Der
Platz in Madureira ist ein Acker, der kein filigranes Spiel zulässt. Es war
klar, dass nur ein Zufallstreffer das Spiel entscheiden konnte.
Madureira kam in der zweiten Halbzeit besser ins
Spiel und erarbeitete sich Chancen. Vila Nova versuchte nun den Spielrythmus
durch brutale Fouls zu unterbrechen. Dies führte zu Verletzungen und zwei
frühen Auswechslungen bei Madureira. So bekam der junge Stürmer Derlei seine
unerwartete Chance und nutzte sie. Zu Beginn der zweiten Halbzeit tankte er
sich über links durch und zog zum 1:0 ab:
Kurz darauf versuchte ein Spieler von Vila Nova mit
seinen Stollen das Gesicht eines Gegenspielers zu durchbohren und wurde dafür zu
Recht vom Platz gestellt:
Die Fans von Madureira fühlten sich jetzt schon auf
der sicheren Seite, doch Vila Nova nutzte eine Unaufmerksamkeit und kam zum
Ausgleich. Aber Madureira drückte nun, um den Sieg einzufahren. Dem ehemaligen
Spieler von Flamengo Jean gelang dann auch das 2:1, das er fast ins Tor trug.
Er ließ es sich nicht nehmen die Fans am Gitter hinterm Tor zu umarmen. Kurz
darauf machte Derlei mit seinem zweiten Tor durch einen Heber über den Torwart
alles klar. Die Fans in der Gegengerade organisierten spontan eine Polonaise.
Madureira hat seinen ersten Schritt aus der Abstiegszone heraus gemacht, aber,
um wirklich sicher zu sein, müssen eigentlich die letzten zwei Spiele auch noch
gewonnen werden.
Derlei wird von
seiner Tochter nach dem Spiel beglückwünscht.
Nachtrag: Diese Woche strahlt der brasilianische Sportsender ESPN Brasil eine Dokumentationsreihe über die Vereine aus den Vororten Rios aus. Hier der Trailer:
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