Alle Jahre im Oktober findet in einem kleinen Ort im
Hinterland der brasilianische Kongress für Sozialwissenschaften statt. Heuer
wurde der Wasserkurort Águas de Lindóia bei Campinas im Bundesstaat Sao Paulo
ausgewählt. Ich nutzte meine Anreise, um in Campinas das Spiel der heimischen
Ponte Preta gegen Santos mit Neymar zu sehen. Vom Flughafen aus teilte ich mir
mit meiner Kollegin Leda ein Taxi zum Moisés Lucarelli Stadion, das in einem
beschaulichen Wohnviertel liegt. An Spieltagen ist hier jeder Zentimeter
zugeparkt.
Leda kauft sich eine Eintrittskarte und wir suchen
uns ein Lokal um zu Mittag zu essen. Das ist gar nicht so einfach, denn da es
sich um ein Wohnviertel handelt gibt es fast keine Bars ums Stadion. Endlich
finden wir etwas entfernt eine Eckneipe, in der wir ein Steak und Pommes mit
Bier genießen. Im Fernsehen läuft Flamengo gegen Sao Paulo 1:0. Viel wichtiger
wäre jedoch Atlético-MG : Fluminense, das in einer dramatischen Schlussphase
3:2 endet. Der Abstand zwischen beiden verkürzt sich somit auf 6 Punkte und
hält die Meisterschaft spannend. Wir zahlen und gehen zum Stadion zurück.
Dort hat sich eine riesige Schlange vor dem
Kassenhäuschen gebildet. Ich bemerke mehrere Ponte Preta Fans mit roten
Clownnasen und spreche Rafael darauf an: „Heute wird es einen Protest der Fans
geben,“ erklärt er mir. „Unser Klub ist klein und finanzschwach, deshalb werden
wir in den Spielen gegen die Großen
immer wieder von den Schiris
benachteiligt. Das ist absurd!“.
„Erzähl mir mehr von deinem Verein!“, bitte ich ihn.
„Wir haben noch nie einen Titel gewonnen, deshalb wirst du hier die
leidenschaftlichsten Fans treffen. Hier findest du nur Emotionen, keine
Erfolge. Deshalb ist unser Derby gegen Guarani auch das heftigste Brasiliens.
So eine Rivalität gibt es kein zweites Mal. Und, Ponte Preta ist der älteste
Verein Brasiliens.“
Da hört man sicherlich viele Emotionen in der
Beschreibung Rafaels. Trotzdem ist Ponte Preta nicht der älteste Fußballverein
Brasiliens. Das nämlich der SC Rio Grande, ganz aus dem Süden Brasiliens. Der
wurde nämlich am 19.07.1900 und somit 23 Tage vor Ponte Preta, im Übrigen on
Deutschen, gegründet. Inklusive ist dieses Datum alljährlich, der Tag des
Fußballs in Brasilien.
Ich gehe ins Stadion, wo mir auf der Haupttribüne
eine hübsche junge Dame mit Schärpe auffällt. Auf der Schärpe steht „Muse Ponte
Pretas“.
„Wie heißt du?“
„Natalia.“
„Wie wird man zur Muse Ponte Pretas?“, frage ich.
„Es gab eine Ausschreibung, da habe ich teilgenommen.
Die Fans haben dann abgestimmt. Die Wahl fiel auf mich.“ Neben Natalia sitzt
ihre Freundin Taiana, die in der Marketingabteilung von Ponte Preta arbeitet.
In diesem Augenblick rattert ein Zug über die Brücke direkt hinterm Stadion.
„Das ist die Brücke, die unserem Verein den Namen
gegeben hat.“, erklärt mitr Taiana. „Die Mannschaft spielte schon 1900 hier,
hatte aber noch keinen Namen. Die Gegner nannten sie dann das Team von der
schwarzen Brücke (Ponte Preta).“
Ich wünsche Natalia Glück und wende mich dem
Spielfeld zu, denn die Mannschaften laufen ein. Die Spieler von Ponte Preta
werden von dem Maskottchen, einer Äffin, begleitet. Das war einmal das
gehässige und rassistische Schimpfwort, das die bürgerlichen Fans von Guarani
gegen ihren populären Rivalen nutzten. Heute trägt Ponte Preta das Schimpfwort
mit Stolz.
Ponte Preta muss unbedingt noch ein paar Punkte
gegen den Abstieg gewinnen. Santos steht trotz Neymar nur im Niemandsland des
Tabellenmittelfelds. Ponte Preta dominiert das Spiel und es gelingt noch in der
ersten Halbzeit nach einer Ecke ein Abstaubertor. Weitere hochkarätige Chacen
folgen, bleiben aber ungenutzt. Insgesamt ist die Vorstellung von Santos eher
verhalten und Neymar kommt kaum an den Ball.
Die etwa 15.000 Fans von Ponte Preta sind am Ende
froh über das 1:0. Das Stadion ist eines dieser Traditionellen in denen es noch
kleine Blocktrennung gibt. Die Stimmung ist erstklassig. Ich sehe mehrere Fans,
die sich am Zaun festklammern und wilde Beschimpfungen loslassen. Mir hat es gut gefallen bei Ponte Preta.
Aus Santos waren auch etwa 5.000 Fans angereist. Der
Bundesstaat São Paulo ist in Brasilien das Land der Derbys. Sechs Mannschaften
aus dem Bundesstaat sind im Moment in der ersten Liga und ich erinnere mich an
vier weitere, die schon in der Serie A gespielt haben seit ich in Brasilien
lebe. Da gibt es oft Derbys und die Weg sind nicht ganz so weit. Ganz abgesehen
davon, dass Santos, als der Verein Péles, auch in Campinas viele Anhänger haben
dürfte.
Vom Stadion nehmen Leda und ich wieder ein Taxi, um
zum Busbahnhof zu fahren. Vor uns stehen noch drei Stunden Busfahrt bis Águas
de Lindóia.
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