Ich versuche meinen São Paulo Aufenthalt zu nutzen,
um so viel Fußball wie nur möglich zu sehen. Den Anfang mache ich am
Mittwochmittag mit einem Besuch zur Baustelle des neuen Stadions von Palmeiras.
Nachdem der Stadtrivale Corinthians das neue WM-Stadion baut, kann der Verein
der italienischen Gemeinde, ehemals Palestra Italia auch nicht hinten an
stehen. Am Ort des alten Parque Antartica wird deshalb eine neue Arena
errichtet.
Die Bauarbeiten sind schon gut vorangeschritten und
es ist wahrscheinlich, dass das Stadion von Palmeiras schneller fertiggestellt
wird, als das Itaquerão von Corinthians. Neben der Arena erhebt sich schon
jetzt eine neue Turnhalle für andere Sportarten. Es scheint, dass mehr Geld in
Gebäude, als in die Mannschaft gesteckt wurde, denn Palmeiras ist in die zweite
Liga abgestiegen.
Eröffnet ist auch schon ein neuer Fanshop am alten
Haupteingang. In der Vitrine werden die neuen Retro-Trikots, die gewaltig an
die grünen Trikots der deutschen Nationalmannschaft erinnern. Im Shop erblicke
ich ein Poster, dass der Vereinsikone, dem Torwart (São) Marcos, WM 2002,
gewidmet ist.
Kurios ist auch, dass an derselben Straßenecke
Fanartikel in verschiedenen Modalitäten angeboten werden. Gegenüber gibt es
einen zweiten, privaten, Fanshop, auf der Straße werden Piratenprodukte offen
angeboten und in der Seitenstrasse hat der Fanklub Mancha Verde seinen Laden.
Davor hängt ein Protestplakat: „Eintritt R$60, Fußball R$0.“.
Ich treffe meinen Bekannten Enrico und wir gehen zum
Mittagessen, natürlich Italienisch. São Paulo gilt als größte italienische
Stadt der Welt und nicht nur Palmeiras, sondern auch Corinthians und Juventus
wurden von italienischen Einwanderern gegründet. Der Dialekt São Paulos
erinnert auch stark an das Italienische mit seinen langgezogenen Es. Enrico bestellt
eine Portion Polpettone, eine Art Frikadelle, und ich Capeletti Di Brodi, eine
starke Nudelsuppe. Beides Klasse.
Enrico schlägt vor den Bolzverein Santa Marina zu
besuchen. In São Paulo gibt es die Tradition der Auenmannschaften, die in den
Auen der Flüsse Tiete oder Pinheiros kicken. Es handelt sich um Freizeitkicker,
oftmals an Fabriken gegliedert. Der Klub Santa Marina wurde von Arbeitern einer
Glasfabrik in Barra Funda gegründet und wird heuer 100jähriges Bestehen feiern.
Das Gelände befindet sich inmitten eines Industriegebietes und sogar der alte
Schornstein der Glasfabrik existiert noch.
Wir treffen einen der Verantwortlichen, Francisco.
„Wir sind hier seit 100 Jahren und jetzt wollen sie uns hier weg haben“,
beklagt er sich. Die Gegend erlebt eine Aufwertung und da wurde das
Vereinsgelände zu einem begehrten Grundstück. Das Gelände hat einen Rasenplatz,
eine kleine Halle und sogar ein paar Büros und Trophäensammlung. Das ist
kurios, denn in Brasilien sind die Amateurvereine nicht im Verband CBF
organisiert. Hier wird also alles selbstverwaltet. Man kommt sich vor wie auf
einer faszinierenden Reise in die Fußballgeschichte São Paulos.
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