Ich bin gerade aus beruflichen Gründen in São Paulo angekommen. Ich werde die Woche nutzen, um so viele Fußballspiele wie möglich zu sehen. Ich nutze die Gelegenheit, um etwas über die Stadt zu erzählen.
Die Stadt
São Paulo lebt mit dem Widerspruch, zum
einen eine hässliche und zum anderen eine faszinierende Stadt zu sein. Die
11-Millionen-Metropole ist nicht nur die größte Stadt Brasiliens sondern auch
eine der größten der Welt. Im Großraum São Paulos leben inzwischen fast 20
Millionen Einwohner. Dabei war São Paulo vor 150 Jahren noch ein Dorf, das um
die Jahrhundertwende im Zuge des Kaffeebooms rasant anwuchs. Heute ist die
Stadt das wirtschaftliche, finanzielle und kulturelle Zentrum Südamerikas.
Darauf baut sich das touristische
Interesse auf, denn die Stadt ist rund um die Uhr aktiv. Sei es die Modewoche,
die Kunstbiennale, die Gay-Parade oder das Formel-1-Rennen, in São Paulo ist
immer etwas los. Idealer Ausgangspunkt zur Stadterkundung ist die Avenida
Paulista, eine Prunkmeile im Zentrum, an der sich Banken, Galerien,
Ausstellungsräume und das Kunstmuseum finden. Nördlich der Avenida Paulista
liegt das historische Zentrum mit dem Theater, diversen Kirchen und den ersten
Wolkenkratzern Brasiliens. Südlich davon befindet sich mit Jardins eines der
schicksten Stadtviertel des Landes. Hier locken Fünf-Sterne-Restaurants,
Modeboutiquen und prunkvolle Villen. Jardins ist eine grüne Oase mitten in der
Betonwüste.
Die Paulistanos, wie die Einwohner genannt
werden, treffen sich gerne im Ibirapuera Park, der mit dem Central Park in New
York zu vergleichen ist. Sie sind stolz auf ihre Skyline, denn diese steht für
Modernität. Hier befinden sich auch die Pavillons der Biennale, die von Oscar
Niemeyer erbaut wurden. Der 2012 verstorbene Architekt errichtete auch den
Copan-Wolkenkratzer und das Lateinamerika-Monument.
São Paulo wird von italienischen Migranten
geprägt. Andere wichtige Einwanderernationalitäten sind Araber (Syrer und
Libanesen) sowie Japaner. Letztere haben mit Liberdade sogar ihr eigenes
Viertel erbaut, das immer einen Besuch wert ist. Es gibt mehrere Museen, die
die Migration dokumentieren. In São Paulo stehen mit dem Museum der
portugiesischen Sprache und dem Fußballmuseum die beiden meistbesuchtesten
Museen Brasiliens. Herausragend sind auch die Pinakothek und das
Reptilienmuseum im Butantan Institut.
Das Nachtleben tobt zwar in allen Teilen
der Stadt, besonders zu empfehlen ist aber das Viertel Vila Madalena in der
Südzone. Hier residiert die Bohème mit ihren Kneipen, Theatern und Ateliers.
Eine der berühmtesten Bars ist São Cristóvão mit über 3.000 Fußballsouvenirs an
den Wänden.
Während der WM ist vermutlich wärmere
Kleidung angesagt, denn im Juli ist es häufig ziemlich kühl. Außerdem ist São
Paulo für seinen ständigen Nieselregen berühmt.
Die Küche São Paulos zu probieren ist eines der spannendsten Erlebnisse eines
Brasilienbesuches. Allerdings ist es schwierig zu definieren, was eigentlich
ein typisches Gericht der Stadt ist, denn die vielen Einwanderer aus ganz
Brasilien und der Welt brachten allerhand eigene Spezialitäten mit. Natürlich
muss man ein italienisches Restaurant in Bixiga und ein japanisches in
Liberdade besuchen. Aber die arabischen, portugiesischen, deutschen und
jüdischen Gastwirtschaften sind auch nicht zu verachten. Ganz abgesehen davon,
dass es auch noch Armenier, Peruaner oder Koreaner gibt. Nicht vergessen darf
man die Restaurants der brasilianischen Migranten, die ebenso ihre sehr
unterschiedlichen Spezialitäten aus dem Amazonas, dem Nordosten, Minas Gerais
oder Porto Alegre mitgebracht haben. Mit anderen Worten: São Paulo ist eine
kulinarische Entdeckungsreise.
Mit Alex Atala, dem Chef von D.O.M., dem siebtbesten Restaurant der Welt,
lebt einer der international renommiertesten Köche in der Stadt. Atala
konzentriert sich auf die Vielfalt der brasilianischen Küche. Typisch
„paulistano“ sind dagegen die Grillrestaurants Churrascarias, die in einem
ständigen Qualitätswettbewerb mit denen von Porto Alegre stehen. In São Paulo werden allerdings teilweise andere
Fleischarten verwendet; in erster Linie viel weniger Schwein. Außerdem wird das
Fleisch am Vortag mariniert. Ebenfalls zum Stadtbild gehören die italienischen
Bäckereien mit ihren Stehcafés.
Der Fußball
São Paulo ist die wichtigste Fußballstadt
Brasiliens. In 56 Jahren gingen 28 mal
Mannschaften aus São Paulo als Sieger aus der brasilianischen Meisterschaft
hervor. Das lag sicherlich wesentlich an der Finanzkraft der ortsansässigen
Vereine. Zugleich hat der brasilianische Fußball aber in São Paulo auch seine
ersten Schritte gemacht. Charles Miller gilt gemeinhin als Vater des
brasilianischen Fußballs, weil er im Jahr 1894 Bälle und ein Regelwerk aus
Europa nach São Paulo brachte. Schon zuvor hatten allerdings britische Matrosen
und englische Arbeiter in der für die englische Wirtschaft damals wichtigen
Stadt informelle Spiele ausgetragen.
Die offizielle Fußballgeschichte wurde
jedoch von Vereinen der Oberschicht und verschiedener Einwanderergruppen
geschrieben. Einige Engländer um Charles Miller gründeten eine Fußballabteilung
im São Paulo Athletic Club,
Italiener, Spanier und Portugiesen formten den SC Internacional, Deutsche den SC
Germania und Brasilianer den AC
Paulistano. Interessant ist, dass keiner dieser aus der Pionierzeit
stammenden Klubs als Profiverein überlebt hat. Weil sie als Klubs der
gesellschaftlichen Elite das Profitum nicht akzeptieren konnten, zogen sie ihre
Mannschaften in den 1930er aus den Wettbewerben zurück.
Mit diesem Rückzug begann die erfolgreiche
Zeit der Vereine proletarischen Ursprungs, die man heute kennt. Der erste war
der SC Corinthians, der nach einer
berühmten englischen Mannschaft aus den Pioniertagen des Fußballs benannt
worden war. Der Arbeiterverein wurde zu einem der beliebtesten Klubs Brasiliens
und konnte alles gewinnen, was es zu gewinnen gab. Anfang der 1980er Jahre
übernahmen Spieler wie Sócrates und
Casagrande sogar wichtige Rollen im Redemokratisierungsprozess Brasiliens, als
sie mit Protestslogans auf ihren Trikots spielten. Eines der größten Probleme
der Corinthians - die Suche nach
einem eigenen Stadion - wird mit der WM gelöst, denn sie werden Hausherrn des
neuerbauten WM-Stadions Itaquerão.
1914 bekamen sie ihren wichtigsten
Rivalen: SE Palmeiras, der unter dem
Namen Palestra Italia gegründet wurde. Dieser Verein repräsentierte die
italienische Bevölkerung São Paulos. Im Jahr
1942 erfolgte die Umbenennung in Palmeiras, nachdem Brasilien Italien (ebenso
wie Deutschland) den Krieg erklärt hatte. Palmeiras trägt seine Heimspiele im
Parque Antártica aus, der von der gleichnamigen Brauerei übernommen werden konnte.
Die Rivalität mit Corinthians war
bereits mehrfach Thema von Kinofilmen, zuletzt in einer brasilianischen Version
von ‚Romeo und Julia‘.
Schließlich wurde 1930 der São Paulo FC von mehreren heimatlos gewordenen
Spielern der geschlossenen Amateurvereine gegründet. Bis heute repräsentiert er
die Oberschicht der Stadt und konnte so auch sein Stadion in dem schicken
Viertel Morumbi errichten. Das Stadion galt aufgrund seiner Größe lange gesetzt
als WM-Stadion, wurde dann aber unter nebulösen Umständen noch gegen das
Itaquerão getauscht. Der São Paulo FC
ist mit sechs brasilianischen Meisterschaften, drei Copa Libertadores-Siegen
und drei Weltpokalen der erfolgreichste Verein Brasiliens.
Der Santos FC kommt streng
genommen nicht aus São Paulo sondern aus der nahe gelegenen Hafenstadt Santos.
Im Allgemeinen gilt er jedoch als der vierte große „Paulista“. Der Verein wurde
1912 gegründet und ging vor allem aufgrund eines Namens in die
Weltfußballgeschichte ein: Pelé. Der größte Fußballspieler aller Zeiten wurde
1956 bei Santos entdeckt und gewann während seiner Zeit bis 1974 unzählige
Titel. Nachdem er 1975 zu Cosmos New York
gewechselt war, geriet Santos in eine
lange Krise und konnte erst ab 2000 wieder wichtige Titel gewinnen – nicht
zuletzt dank Talenten wie Robinho, Diego und Neymar. Santos trägt seine Heimspiele zumeist in der Vila Belmiro aus ist
aber manchmal auch im Pacaembu Stadion von São Paulo zu Gast.
In São Paulo gibt es ein ausgezeichnet strukturiertes Ligasystem mit vielen
Traditionsvereinen in unteren Klassen. Genannt werden muss Portuguesa, der Verein der portugiesischen Bevölkerung, aber auch Nacional und Juventus. Letzterer genießt absoluten Kultstatus. Er wurde von
Turiner Migranten im Arbeiterviertel Mooca gegründet und übernahm den Namen des
einen (Juventus) und die Farbe (Granatrot) des anderen Turiner Vereins. Sein
Stadion in der Rua Javari ist eine Sehenswürdigkeit, da es noch immer quasi im
Originalzustand von der Eröffnung im Jahr 1924 ist. Deshalb wird es auch gerne
als Drehort für historische Kinofilme mit Fußballszenen genutzt.
Sport Club Corinthians Paulista
Gegründet: 1. September 1910
Trikots: weiße Hemden, schwarze Hosen
Titel:
Staatsmeisterschaft: 27 Mal
Brasilianischer Meister: 1990, 1998, 1999, 2005, 2011
Brasilianischer Pokal: 1995, 2002, 2009
Copa Libertadores: 2012
FIFA- Klub-WM: 2000, 2012
Wichtige Spieler: Sócrates, Casagrande,
Biro-Biro, Vampeta
Internet: www.corinthians.com.br
Sociedade Esportiva Palmeiras
Gegründet: 26. August 1914 (Gründung als
Palestra Italia)
Trikots: grüne Hemden, weiße Hosen
Titel:
Staatsmeisterschaft: 22 Mal
Brasilianischer Meister: 1960, 1967, 1969, 1972, 1973, 1993, 1994
Brasilianischer Pokal: 1998, 2012
Copa Libertadores: 1999
Weltpokal: 1951
Wichtige Spieler: Marcos, Djalma Santos,
Ademir da Guia, Rivaldo, Luiz Felipe Scolari
Internet: www.palmeiras.com.br
São Paulo Futebol Clube
Gegründet: 25. Januar 1930
Trikots: rot-weiß-schwarze Hemden, weiße Hosen
Titel:
Staatsmeisterschaft: 21 Mal
Brasilianischer Meister: 1977, 1986, 1991, 2006, 2007, 2008
Copa Libertadores: 1992, 1993, 2005
Weltpokal: 1992, 1993, 2005
Wichtige Spieler: Friedenreich, Leônidas, Raí, Cafu, Kaká, Grafite, França
Internet: www.saopaulofc.net
Santos Futebol Clube
Gegründet: 14. April 1912
Trikots: weiße Hemden, weiße Hosen
Titel:
Staatsmeisterschaft: 20 Mal
Brasilianischer Meister: 1961, 1962, 1963, 1964, 1965, 1968, 2002, 2004
Brasilianischer Pokal: 2010
Copa Libertadores: 1962, 1963, 2011
Weltpokal: 1962, 1963
Wichtige Spieler: Pelé, Pepe, Clodoaldo,
Diego, Elano, Robinho, Neymar, Ganso
Internet: www.santosfc.com.br
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