Die Meisterschaft neigt sich dem Ende zu und die
Nerven liegen blank. Zum Sündenbock wurden wie so oft die Schiedsrichter
ausgewählt, besonders die Mannschaften, die die gesteckten Ziele verpassen
drohen, meckern immer intensiver. Das führt zu absurden Situationen. Palmeiras aus
São Paulo hat in der Hinrunde, im Vertrauen darauf, dass man sich in der
Rückrunde der Abstiegszone entledigen würde, alle seine Kräfte darauf
konzentriert den brasilianischen Pokal zu gewinnen.
Der Plan geht wahrscheinlich nicht auf. Fünf
Spieltage vor Saisonende ist Palmeiras fünf Punkte vom rettenden Ufer entfernt.
Am Samstag verlor man erneut, diesmal gegen Internacional in Porto Alegre mit
2:1. In der zweiten Halbzeit kam es, schon beim Stand von 2:1 zu einer kuriosen
Szene. Der Stürmer Barcos von Palmeiras drückte einen Abpraller mit der Hand
über die Torlinie und begann seinen Treffer zu bejubeln. Der Schiedsrichter
hatte die Unregelmäßigkeit nicht erkannt und wollte das Tor geben. Das führte
zu etwa fünf Minuten heftigsten Protesten der Inter-Spieler. Zeit genug für den
vierten Unparteiischen sich die Wiederholung am TV anzusehen und seinen
Kollegen zu informieren, der daraufhin das Tor nicht gab.
Palmeiras hat jetzt Einspruch gegen die Wertung des
Spiels eingelegt, da der TV-Beweis verboten wäre und der Schiedsrichter auf
irregulärem Weg zu Informationen und zu seiner Entscheidung gekommen wäre. Der
Verein handelt nach dem Motto, wenn die anderen betrügen (was weder bewiesen
noch glaubhaft ist), dann haben wir auch das Recht dazu. Es soll von
gerichtlicher Seite aus, ein irreguläres Tor anerkannt werden!
Ein anderes Beispiel ist, dass sich bei allen
Verfolgerteams die Meinung festsetzt, dass Fluminense nur aufgrund von
gutmütigen Schiedsrichterentscheidungen auf dem ersten Platz stehen würde. Die
Satireseite Kibe Loco kommentiert die Situation so:
Am gestrigen Mittwoch stand noch das Nachholspiel
des Tabellenzweiten Atlético – MG gegen Flamengo aus. Da das Spiel in Belo
Horizonte stattfand, beschloss ich mit einigen Freunden in die Kneipe BG im
Stadtteil Gávea in der der Südzone zu gehen. Flamengo musste versuchen Punkte
zu gewinnen, um dem Abstieg zu entfliehen. Die Fans des Lokalrivalen Fluminense
unterstützten dieses Vorhaben ausnahmsweise, da jeder Punktverlust von Atlético
– MG ihrem Team zum Vorteil wäre.
Die Kneipe BG befindet sich an einem Platz voller
Bars in dem schicken Upper-Class-Viertel Gávea, indem man eigentlich keine Fans
des Arbeitervereins Flamengo erwartet. Aber BG ist eine typische brasilianische
Fußballkneipe, die aus einem kleinen Raum besteht, dessen Frontseite zur Straße
hin komplett geöffnet ist. An der Rückwand hängt ein Fernseher, darunter stehen
die Kühlschränke für das Bier. Die Gäste kaufen ein Bier am Tresen und
verfolgen in kleinen Gruppen das Spiel im Stehen auf der Straße. Somit hat die
Kneipe einen Unterklassenstil, aber das Publikum bestand auch gestern wieder
aus den gutsituierten Nachbarn der Südzone. Image und Wirklichkeit klaffen bei
Flamengo einfach weit auseinander.
In der ersten Halbzeit war Atlético – MG weit
überlegen, aber Flamengo erziehlte in der 26. Minute das 1:0. Jetzt machten
sich auch die anwesenden Fluminensefans mit ihren langgezogenen
„Neeeenseeeee!“-Rufen bemerkbar, die im Gegensatz zu den Flamenguistas „zivil“
gekleidet waren. Kurz darauf wurde ein Flamengospieler nach einer, aus meiner
Sicht, zweifelhaften Entscheidung vom Platz gestellt. Hinter mir diskutierte
eine Gruppe das Thema des Tages: die Schiedsrichter. „Die Typen von Atético –
MG haben jetzt solange über die Schiris gemeckert, dass ihnen auf jedem Schritt
und Tritt geholfen wird!“ Zum Ende der Halbzeit gibt der Unparteiische fünf
Minuten Nachspielzeit, was erneut zu Meckereien führt.
In der zweiten Halbzeit ändert sich das Bild kaum:
Atlético – MG drückt und Flamengo verteidigt mit zehn Mann. In der 57. Minute
kommt Atlético – MG zum Ausgleich, aber trotz weiteren fünf Minuten
Nachspielzeit rettet Flamengo den Punkt. Um mich herum ertönen erneut die
„Neeeenseeeee!“-Rufe. Die Tricolores feiern mehr als die Flamenguistas, denn
ihnen kann man jetzt bei acht Punkten Vorsprung die Meisterschaft kaum noch
nehmen.
Nach dem Spiel meckerte der Trainer von Atlético –
MG erneut über die Leistung des Schiris. „Kurios“, denke ich mir, „eigentlich
dachte ich, dass Flamengo benachteiligt wurde“. Während des Spiels habe ich den
Anthropologen Édison Gastaldo interviewet, der über das Erlebnis des
Fußballschauens in Kneipen spricht.
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