Zum letzten Spieltag standen gestern noch
interessante Entscheidungen an und so versprach der Sonntag ein interessanter
Tag zu werden. In der Früh war ich erst einmal zu einer Diskussionssendung bei
Radio CBN eingeladen. Gemeinsam mit Kollegen aus England, Spanien, Italien und
Frankreich diskutierte ich die Auslosung der WM-Gruppen. Das war sehr spaßig,
denn der Moderator räumte auch Themen wie Nachhaltigkeit, Tourismus und den
Massenprotesten viel Platz ein. Zum Schluss der Sendung wurden wir gefragt, wer
wohl in der brasilianischen Meisterschaft absteigen würde. Die Meinung war
einstimmig: die Cariocas Vasco da Gama und Fluminense.
Mit dieser trüben Aussicht traf ich meinen Besuch
aus München: Steffi (60!) und Tina und wir machten uns in Richtung Maracanã
auf, wo das Spiel Botafogo – Criciúma auf dem Programm stand. Der Gastgeber
Botafogo musste das Spiel gewinnen und gleichzeitig auf eine Niederlage von
Goiás in Santos hoffen, um noch auf den vierten Platz zu kommen, der die Chance
zur Teilnahme an der Copa Libertadores aufrecht erhält. Am Mittwoch wird es das
Finale der Copa Sulamericana (eine Art UEFA-Cup) zwischen Ponte Preta und Lanús
aus Argentinien geben. Sollte Ponte Preta gewinnen werden sie und nicht Botafogo
in die Copa Libertadores einziehen. Criciúma, ein kleiner Verein aus Santa
Catarina in Südbrasilien, hingegen durfte nicht verlieren, um dem Abstieg
sicher zu entfliehen.
Die wahre Dramatik spielte sich aber in Parallelspielen
ab. Fluminense musste in Salvador gegen Bahia gewinnen und war gleichzeitig auf
Niederlagen von Vasco gegen Atlético-PR und Coritiba gegen São Paulo angewiesen,
um nicht abzusteigen. Sowohl Atlético-PR, als auch São Paulo waren mit
Platzsperren belegt und mussten so ihre Heimspiele in den kleinen Orten
Joinville in Santa Catarina bzw Itú im Hinterland von São Paulo bestreiten.
Wir kauften unsere Eintrittskarten und beobachteten die
Torcida Organizada von Botafogo, wie sie ihre Fahnen anlieferten. Es wurde eine
Choreo in Gedenken an das kürzlich verstorbene Klubidol Nilton Santos vorbereitet.
Dann gingen wir unseren Durst im „Gestiefelten Kater“ (Gato de Botas) stillen.
In Rio ist es jetzt Sommer und so kann es bis zu 40 Grad heiß werden. Nach der
Stärkung kamen wir zurück ins Stadion und stellten uns auf die Seite der
Heimfans.
34.000 gut gelaunte Botafogofans waren gekommen, um ihre Mannschaft anzufeuern – eigentlich zu wenig für so ein entscheidendes Spiel. Botafogo zeigte von Anfang an, wer Herr im Hause ist und baute durchgehend Druck auf. Criciúma gelang nur einige wenige Entlastungsangriffe, aber schon in der 9. Minute traf Lodeiro zum 1:0 für Botafogo. Nach unzähligen versuchen erhöhten gegen Ende der zweiten Halbzeit Elias und Seedorf schließlich zum 3:0. Bei Criciúma wurde auch noch João Vitor vom Platz gestellt.
Gleichzeitig wurden immer wieder die Tore von Santos über Goiás vermeldet, insgesamt drei. Damit hatte Botafogo den vierten Platz sicher und die Stimmung der Fans wurde immer besser. Nach Spielende wurden folgende Endergebnisse vermeldet: Bahia – Fluminense 1:2 und São Paulo – Coritiba 0:1. Damit war Coritiba gerettet und Fluminense, der Meister von 2012, abgestiegen. Für Criciúma war nun das Ergebnis von Vasco wichtig. Aber der Stadionsprecher vermeldete: 1. Halbzeit: Atlético-PR – Vasco 2:1. Das Spiel war noch lange nicht zu Ende.
Was war das los? Sollten am letzten Spieltag nicht
alle Spiele zeitgleich sein? Warum war dann das Spiel in Joinville noch in der
ersten Halbzeit? Als ich daheim war, konnte ich die Nachrichten im Internet
nachlesen Vasco verlor 5:1 und ist somit auch abgestiegen. Das Spiel wurde für
über eine Stunde wegen Fanausschreitungen unterbrochen. Die Fernsehbilder sind
tatsächlich schockierend. Leider ergießt sich die Presse wieder einmal in
leeren Worthülsen über die Rowdies, Verbrecher usw und erklärt nicht wirklich
was der Auslöser war.
Soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann,
spielte sich Folgendes ab. Atlético-PR wurde mit einer Platzsperre belegt und
wich deswegen nach Joinville aus, eine Stadt, die auch in Südbrasilien liegt.
Dort wurde vor wenigen Jahren ein neues Stadion gebaut, das aber brach liegt,
da die Vereine aus Joinville nicht die Erwartungen erfüllen. Das kleine Stadion
ist aus sicherheitstechnischen Aspekten ungenügend ausgestattet. Scheinbar ist
man auf die Situation eines Erstligaspiels nicht vorbereitet und hat keinen Sicherheitsdienst
zur Hand. Zu allem Überfluss hat sich dann auch die Polizei geweigert die
Sicherheitsaufgaben im Stadion zu übernehmen. Mir scheint es so, dass dieses
Verhalten Ähnlichkeiten zu einem Streik hatte, bei dem die Polizei von Stadt
und Verein entlohnt werden wollte.
Es gibt hier also handfeste Interessenskonflikte,
die fern der Fans sind. Es kommt mir fast so vor, als ob die Polizei auf die
Ausschreitungen vertraut hat, um dann als Retter in der Not zu erscheinen. Wichtig
erscheint mir dabei auch, dass Atlético-PR aus dem Bundesstaat Paraná kommt,
während Joinville in Santa Catarina liegt. Da liegt die Vermutung nahe, dass die
Catarinenses etwas Geld von ihrem Nachbarn erpressen wollten.
Die Auseinandersetzungen wurden im Fernsehen
übertragen. Die Vasco Fans werden in einem Augenblick an ein Gitter
zurückgedrängt und können kaum fliehen. Man sieht, dass viele gerne fliehen
würden und es nicht schaffen. Das Video ist wieder einmal eine Werbung gegen
Gitter im Stadion. Man sieht tatsächlich minutenlang keine Polizei oder
Sicherheitsdienst. Vier Personen wurden ins Krankenhaus gebracht und drei festgenommen.
Alle sind aber außer Lebensgefahr.
Jetzt geht natürlich wieder die Diskussion los, was
das für die WM bedeutet. Aus meiner Sicht hat eines nichts mit dem anderen zu
tun. Das Stadion in Joinville ist kaum mit den WM-Stadien vergleichbar. Das
Publikum wird komplett anders sein und die Frage der Aufgabenverteilung der
Sicherheitsdienste ist auch geklärt. Es zeigt sich aber auch wieder einmal wie
schlecht die brasilianische Polizei vorbereitet ist und nach welchen Gesichtspunkten
entschieden wird: Sicherlich nicht fanfreundlich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen