Sonntag, 28. Oktober 2012

Bürgermeisterwahl São Paulo


Heute standen die Stichwahlen in verschiedenen brasilianischen Kommunen an. Deshalb wurden die Partien der Serie A auf einen Salamispieltag verteilt. Aber zunächst möchte ich noch nachtragen, dass Sampaio Corrêa aus São Luís in Maranhão schon am vergangenen Sonntag Meister der vierten Liga geworden ist. Im Finale konnte der Klub aus dem Norden CRAC aus Goiás besiegen.
In der dritten Liga sind dieses Wochenende wichtige Entscheidungen gefallen, denn es wurde der letzte Spieltag der Gruppenfase ausgetragen. Die Play-Offs lauten nun:

Fortaleza – Oeste
Luverdense – Chapecoense
Icasa – Duque de Caxias
Paysandu – Macaé

Jetzt aber zur ersten Liga: Schon am Donnerstag konnte Fluminense seine Tabellenführung durch ein 2:1 über Coritiba verteidigen. Der Verfolger Atlético – MG wird erst am Mittwoch gegen Flamengo den Spieltag vervollständigen.
Wie gesagt, der Grund für diesen Salamispieltag waren die heutigen Bürgermeisterwahlen. Die wichtigste war sicherlich die Entscheidung in Brasiliens größter Stadt São Paulo. Gegenüber standen sich die Kandidaten Fernando Haddad von Lulas Arbeiterpartei PT und José Serra, ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Sozialdemokraten PSDB. Das Ergebnis lautet:

Fernando Haddad: 55,6%
 José Serra: 44,4%

Noch etwa eine Woche vor dem ersten Wahlgang lag Haddad auf dem dritten Platz und wäre damit nicht einmal in die Stichwahl gekommen. Jetzt ist er Bürgermeister. Diese Entwicklung ist sicherlich überraschend. PT und PSDB sind in São Paulo traditionelle und fest verankerte Parteien. Wobei erstere traditionell in den armen Vororten gewählt wird und letztere in den schicken zentralen Stadtvierteln.
Auf dem Kongress für Sozialwissenschaften letzte Woche haben mir zwei Doktoranten aus São Paulo Enrico Spaggiari und Giancarlo Machado mehr über den Wahlkampf in São Paulo erzählt. Sie berichteten, dass beide Kandidaten Sport als Werbemittel nutzten. Dabei baute José Serra, als Kandidat der Situation, auf die Struktur des Sportsekretariats und organisierte Sportevents. Sein Team konzentrierte sich in erster Linie auf Skateboarding und andere als jugendlich wahrgenommene Sportarten, um dieses Publikum zu erreichen. Es wurde explizit nicht über Fußball gesprochen. Aber Enrico und Giancarlo waren auf einem dieser Events und sahen eine etwas widersprüchliche Rede von José Serra, in der er nur über Fußball sprach und alle anderen Sportarten ignorierte.
Serra ist berühmt für peinliche Auftritte. So ließ er bei den letzten Präsidentschaftswahlen Heiligenbildchen mit seinem Konterfei verteilen. Dann richtete er sich gegen die Homo-Ehe und Abtreibung. Später wurde öffentlich bekannt, dass seine Frau schon abgetrieben hatte. Diesmal wollte er sich sportlich-jugendlich darstellen und versuchte sich sowohl mit dem Skatebord, als auch beim Fußball. Es folgen die Fotos dieser missglückten Auftritte:



Wer den Schaden hat, muss sich bekanntlich nicht um den Spott sorgen. In kürzester Zeit begannen Photoshop-Versionen der Bilder im Internet zu zirkulieren. Hier einige Beispiele:






Im Gegensatz dazu konzentrierte sich sein Kontrahent Haddad auf den Profifußball und es gelang ihm sogar eine Wahlveranstaltung mit den Präsidenten der drei großen Vereine São Paulos (Corinthians, São Paulo FC, Palmeiras,) zu organisieren. Die Kampagne von Haddad (links) war einfach viel geschickter:


Ich möchte Enrico Spaggiari und Giancarlo Machado für die Informationen und Fotos danken. 

Samstag, 27. Oktober 2012

ANPOCS, Águas de Lindóia, 21. – 25.10.2012


Ich habe auf dem brasilianische Kongress für Sozialwissenschaften an einer Arbeitsgruppe zum Thema „Sport und Gesellschaft“ teilgenommen. Diese Gelegenheit habe ich genutzt, um einige Kollegen zu ihrer Arbeit zu interviewen. Diese Videos wollte ich eigentlich noch in dem kleinen Wasserkurort Águas de Lindóia posten. Aber die Internetverbindung in meinem Hotel war so schlecht, dass mir dies nicht gelungen ist. Deshalb hole ich jetzt diesen Post nach.
Den Anfang macht die Historikerin Courtney Campbell von der Vanderbilt Universität in Nashville/Tennessee. Die Amerikanerin interessiert sich für die historischen Zusammenhänge des Baus des Ilha de Retiro Stadions in Recife zur WM 1950.  
Interview in Englischer Sprache:


Der Soziologe Jorge Ventura von der Universität in Recife berichtet über den Stand der WM-Vorbereitungen in Recife. Dort wird gerade ein neues Stadion gebaut, obwohl die Stadt schon drei hat.
Interview in Englischer Sprache:


Weiter geht es mit dem Anthropologen Luiz Henrique de Toledo von der Universität São Carlos bei São Paulo. Er beschreibt die Stimmung rund um die WM und das neue Stadion Itaquerão, in dem einmal die Corinthians spielen werden. Überraschend wurde entschieden, dass nicht das eigentlich schon gut geeignete Morumbi für die WM genutzt wird.
Interview in Portugiesischer Sprache:


Schließlich berichtet der Anthropologe Arlei Damo von der Universität in Porto Alegre über den Stand der WM-Vorbereitungen in seiner Stadt. Dort werden die WM-Spiele im Beira Rio Stadion des Vereins Internacional stattfinden. Der Lokalrivale Grêmio konnte da nicht hintenan stehen und baute sein eigenes Stadion, das sogar früher fertig wird.
Interview in Portugiesischer Sprache:



In den bisherigen Interviews waren immer die WM-Vorbereitungen das Thema. Zum Schluss habe ich noch mit dem Anthropologen Wagner Camargo von der Universität Florianópolis gesprochen, der zum Thema Sport und Homosexualität forscht.
Interview in Deutscher Sprache:


Montag, 22. Oktober 2012

Ponte Preta – Santos, 1:0



Alle Jahre im Oktober findet in einem kleinen Ort im Hinterland der brasilianische Kongress für Sozialwissenschaften statt. Heuer wurde der Wasserkurort Águas de Lindóia bei Campinas im Bundesstaat Sao Paulo ausgewählt. Ich nutzte meine Anreise, um in Campinas das Spiel der heimischen Ponte Preta gegen Santos mit Neymar zu sehen. Vom Flughafen aus teilte ich mir mit meiner Kollegin Leda ein Taxi zum Moisés Lucarelli Stadion, das in einem beschaulichen Wohnviertel liegt. An Spieltagen ist hier jeder Zentimeter zugeparkt.
Leda kauft sich eine Eintrittskarte und wir suchen uns ein Lokal um zu Mittag zu essen. Das ist gar nicht so einfach, denn da es sich um ein Wohnviertel handelt gibt es fast keine Bars ums Stadion. Endlich finden wir etwas entfernt eine Eckneipe, in der wir ein Steak und Pommes mit Bier genießen. Im Fernsehen läuft Flamengo gegen Sao Paulo 1:0. Viel wichtiger wäre jedoch Atlético-MG : Fluminense, das in einer dramatischen Schlussphase 3:2 endet. Der Abstand zwischen beiden verkürzt sich somit auf 6 Punkte und hält die Meisterschaft spannend. Wir zahlen und gehen zum Stadion zurück.
Dort hat sich eine riesige Schlange vor dem Kassenhäuschen gebildet. Ich bemerke mehrere Ponte Preta Fans mit roten Clownnasen und spreche Rafael darauf an: „Heute wird es einen Protest der Fans geben,“ erklärt er mir. „Unser Klub ist klein und finanzschwach, deshalb werden wir in den Spielen gegen die Großen  immer  wieder von den Schiris benachteiligt. Das ist absurd!“.
„Erzähl mir mehr von deinem Verein!“, bitte ich ihn. „Wir haben noch nie einen Titel gewonnen, deshalb wirst du hier die leidenschaftlichsten Fans treffen. Hier findest du nur Emotionen, keine Erfolge. Deshalb ist unser Derby gegen Guarani auch das heftigste Brasiliens. So eine Rivalität gibt es kein zweites Mal. Und, Ponte Preta ist der älteste Verein Brasiliens.“
Da hört man sicherlich viele Emotionen in der Beschreibung Rafaels. Trotzdem ist Ponte Preta nicht der älteste Fußballverein Brasiliens. Das nämlich der SC Rio Grande, ganz aus dem Süden Brasiliens. Der wurde nämlich am 19.07.1900 und somit 23 Tage vor Ponte Preta, im Übrigen on Deutschen, gegründet. Inklusive ist dieses Datum alljährlich, der Tag des Fußballs in Brasilien.  


Ich gehe ins Stadion, wo mir auf der Haupttribüne eine hübsche junge Dame mit Schärpe auffällt. Auf der Schärpe steht „Muse Ponte Pretas“.
„Wie heißt du?“
„Natalia.“
„Wie wird man zur Muse Ponte Pretas?“, frage ich.
„Es gab eine Ausschreibung, da habe ich teilgenommen. Die Fans haben dann abgestimmt. Die Wahl fiel auf mich.“ Neben Natalia sitzt ihre Freundin Taiana, die in der Marketingabteilung von Ponte Preta arbeitet. In diesem Augenblick rattert ein Zug über die Brücke direkt hinterm Stadion.
„Das ist die Brücke, die unserem Verein den Namen gegeben hat.“, erklärt mitr Taiana. „Die Mannschaft spielte schon 1900 hier, hatte aber noch keinen Namen. Die Gegner nannten sie dann das Team von der schwarzen Brücke (Ponte Preta).“
Ich wünsche Natalia Glück und wende mich dem Spielfeld zu, denn die Mannschaften laufen ein. Die Spieler von Ponte Preta werden von dem Maskottchen, einer Äffin, begleitet. Das war einmal das gehässige und rassistische Schimpfwort, das die bürgerlichen Fans von Guarani gegen ihren populären Rivalen nutzten. Heute trägt Ponte Preta das Schimpfwort mit Stolz.
Ponte Preta muss unbedingt noch ein paar Punkte gegen den Abstieg gewinnen. Santos steht trotz Neymar nur im Niemandsland des Tabellenmittelfelds. Ponte Preta dominiert das Spiel und es gelingt noch in der ersten Halbzeit nach einer Ecke ein Abstaubertor. Weitere hochkarätige Chacen folgen, bleiben aber ungenutzt. Insgesamt ist die Vorstellung von Santos eher verhalten und Neymar kommt kaum an den Ball.
Die etwa 15.000 Fans von Ponte Preta sind am Ende froh über das 1:0. Das Stadion ist eines dieser Traditionellen in denen es noch kleine Blocktrennung gibt. Die Stimmung ist erstklassig. Ich sehe mehrere Fans, die sich am Zaun festklammern und wilde Beschimpfungen loslassen.  Mir hat es gut gefallen bei Ponte Preta.
Aus Santos waren auch etwa 5.000 Fans angereist. Der Bundesstaat São Paulo ist in Brasilien das Land der Derbys. Sechs Mannschaften aus dem Bundesstaat sind im Moment in der ersten Liga und ich erinnere mich an vier weitere, die schon in der Serie A gespielt haben seit ich in Brasilien lebe. Da gibt es oft Derbys und die Weg sind nicht ganz so weit. Ganz abgesehen davon, dass Santos, als der Verein Péles, auch in Campinas viele Anhänger haben dürfte.
Vom Stadion nehmen Leda und ich wieder ein Taxi, um zum Busbahnhof zu fahren. Vor uns stehen noch drei Stunden Busfahrt bis Águas de Lindóia.



Donnerstag, 18. Oktober 2012

Fluminense – Grêmio, 2:2



Wie schon erwähnt wird die brasilianische Meisterschaft nicht wegen so einer Lappalie wie der WM-Qualifikation unterbrochen. Noch dazu, wenn Brasilien schon qualifiziert ist. Das brasilianische Fernsehen schafft es sogar die WM-Quali aus Europa, Asien und Nordamerika zu übertragen, zeigt aber kein einziges Spiel aus den Nachbarländern. Als ich am Dienstagabend den Knüller Chile – Argentinien genießen wollte, musste ich mit Klinsis US-Boys gegen Guatemala vorlieb nehmen.
Die Argentinier kamen auch ohne meine wachsamen Augen zurecht und führen die südamerikanische Qualifikation souverän an. Kolumbien, Ekuador und besonders Venezuela präsentieren sich ebenfalls überraschend stark. Uruguay hingegen zeigt ungewohnte Schwächen. Die Enttäuschung ist jedoch bisher das schwache Abschneiden der paraguayischen Nationalelf.
Während sich die südamerikanischen Rivalen erst noch auf heimischen Äckern qualifizieren müssen, kann die brasilianische Auswahl lockere Freundschaftsspiele in modernen Fußballarenen genießen. Am Dienstag stand man der japanischen Nationalmannschaft im EM-Stadion von Breslau gegenüber. Der europäische Spielort wird gewählt, um 1. vom Veranstalter dafür bezahlt zu werden (Ja, der brasilianische Verband verkauft die Spiele seiner Nationalmannschaft) und 2. um den in Europa tätigen Profis lange Wege zu ersparen.
Der Glamour der Seleção scheint aber auf dem 14. Platz der FIFA-Rangliste zu verblassen, denn das Stadion blieb halb leer. Dabei war das Spiel gar nicht so schlecht. Man kann langsam ein Gerüst für die Mannschaft erkennen, die 2014 auflaufen soll. Brasilien hat mit Thiago Silva und David Luiz eine Betonabwehr und vorne dirigiert jetzt Kaká wieder die Angriffsraute mit den filigranen Oscar und Neymar und dem Brecher Hulk. Das Ergebnis war ein 4:0 über den 23. der FIFA-Rangliste, also ein deutlich ernst zu nehmender Gegner als China oder der Irak.
Schon einen Tag danach fand der 31. Spieltag der brasilianischen Meisterschaft statt, der stark unter dem Eindruck der Länderspiele stand. Im Engenhão in Rio de Janeiro wurde das Spitzenspiel zwischen Fluminense und Grêmio ausgetragen. Grêmio mit Zé Roberto war zum Sieg verdammt, wenn man nochmal in den Meisterschaftskampf eingreifen wollte. Beide Mannschaften mussten zunächst auf ihre Nationalspieler Thiago Neves (Fluminense, Brasilien), Fernando (Grêmio, Brasilien) und Marcelo Moreno (Grêmio, Bolivien) verzichten, die aber schon auf der Bank saßen.  
Die Brisanz des Spiels und der gesenkte Eintrittspreis führten zu einer guten Kulisse von 35.000 Zuschauern. Diese sahen ein exzellentes, sehr taktisches Spiel, das von den Abwehrreihen geprägt war. Während Grêmio kommen musste, war ein Unentschieden für Fluminense genug. In der ersten Halbzeit neutralisierten sich die vorsichtig agierenden Kräfte und man ging mit 0:0 in die Kabinen.
Die zweite Halbzeit wurde atemberaubend. Zunächst gelang Elano (Ex-Nationalspieler und Shaktar) ein fantastisches Freistoßtor, indem er einen flachen Ball sanft unter der Mauer ins lange Eck schoss. Aber schon drei Minuten später konnte Fluminense durch Digão nach einer Ecke ausgleichen. Es war, als ob der Riese gereizt wurde und jetzt zurückschlägt. Rafael Sóbis schnappte sich im Mittelfeld den Ball und ballerte aus etwa 30m eine Rakete zum 2:1 für die Hausherren ins gegnerische Tor.
Direkt im Anschluss kam es zu einer kuriosen Szene. Der gerade aus La Paz zurückgekehrte bolivianische Nationalstürmer Marcelo Moreno wurde von Grêmios Trainer Wanderley Luxemburgo eingewechselt, um das Spiel doch noch zu drehen. Moreno kam aufs Feld, verpasste Rafael Sóbis einen Ellbogencheck und sah Rot dafür. Mit knapp einer Minute Spielzeit und ohne den Ball berührt zu haben war er schon wieder runter vom Platz.  
Die Fans von Fluminense waren dem Delirium nahe, denn mit einem Mann mehr auf dem Platz schien der Sieg sicher. Auch Fluminense brachte mit Thiago Neves einen Spieler, der wohl direkt vom Flughafen ins Stadion gekommen war, nachdem er gestern noch kurz gegen Japan gespielt hatte. Er brachte gute Akzente, konnte aber trotzdem das 2:2 Abstaubertor von Zé Roberto nach einem Freistoss nicht verhindern. Zeitgleich spielt Atlético – MG 2:2 in Santos und so konnte Fluminense seinen neun Punkte Vorsprung halten.
Am Sonntag kommt es zum direkten Aufeinandertreffen der beiden Erstplatzierten. Ich werde in den Wasserkurort Águas de Lindóia verreisen und versuchen von dem Spiel Ponte Preta – Santos in Campinas zu berichten.


Aufstellung Brasilien:

Diego Alves; Adriano, Thiago Silva, David Luiz, Leandro Castan; Ramires, Paulinho, Oscar, Kaká; Hulk, Neymar.

Sonntag, 14. Oktober 2012

Madureira – Vila Nova, 3:1



In der dritten Liga Brasiliens „Serie C“ sind im Moment drei Vertreter aus Rio de Janeiro: Macaé, Duque de Caxias und Madureira. Letzterer ist ein Tradionsverein aus den Vororten Rios und von den drei Klubs für mich am leichtesten zu erreichen. Also habe ich mich gestern mit einigen Freunden auf den Weg gemacht, um Madureira im Abstiegskampf zu unterstützen.
Die Stadtteile in Rios Norden sind in der Südzone, wo die berühmten Strände von Copacabana und Ipanema liegen, als gefährlich und rückständig verschrien. So mutet es immer wie ein Abenteuer an, wenn man sich am Hauptbahnhof Central trifft, um einen Zug in die Vororte zu nehmen. Wer diesen Schritt aber wagt kann eine ganze neue Welt entdecken. Gerade Madureira ist ein bekanntes Viertel, denn dort wurde der afrobrasilianische Tanz Jongo erfunden und bis heute gepflegt, es gibt zwei große Sambaschulen (Império Serrano und Portela) und es gibt Rios größten populären Markt, den Mercadão, auf dem man Lebensmittel, Kleidung und Religionsartikel kaufen kann. Und dort befindet sich eben der Madureira EC, dessen Vereinsgelände direkt an die Markthallen angrenzt.


Unsere Zugfahrt führt uns aber zunächst mitten durch eine der größten Favelas der Stadt „Jacarezinho“. Von unserem Fenster aus sehen wir schauerliche Holzhütten, die den Schienen gefährlich nahe kommen. Die Gleisanlagen unter den Brücken sind einer der berüchtigtsten Drogenumschlagplätze. Wir atmen auf, als wir diesen Bereich hinter uns gelassen haben. Die Vororte werden von der unteren Mittelklasse Brasiliens bewohnt und sind meist sehr idyllisch. Hier gibt es weniger Hochhäuser und mehr kleine Einfamilienhäuser im Kolonialstil mit Garten. Am Bahnhof in Madureira ist die Hölle los. Es scheint als ob ganz Rio de Janeiro zum Shoppen gekommen ist. Auch wir lassen uns einen kurzen Bummel durch den Mercadão nicht nehmen und essen ein Steak zu Mittag. 


Doch jetzt kommt der eigentliche Höhepunkt: das Spiel von Madureira gegen Vila Nova aus Goiás. Der Madureira EC ist ein sympathischer Stadtteilklub, der seinen Mitgliedern nicht nur Fußball, sondern auch ein Schwimmbad, Bauchtanz und sogar einen Frisör anbietet. Zu den Spielen kommen selten mehr als 200 – 300 älteren Herren aus der Nachbarschaft, die hier ihren Samstagnachmittag verbringen. So war das auch gestern. Wobei ich sogar eine kleine Torcida (Ultragruppe) aus etwa 10 Jugendlichen getroffen habe. Hinter dem Tor steht einsam Diego, ein Hardcorefan von Madureira.
„Ich ziehe es vor entscheidende Spiele alleine hinter dem Tor zu verfolgen. Da kann ich mich besser konzentrieren. Und heute geht es um viel. Die Mannschaft ist in letzter Zeit sehr verunsichert. Ich hoffe sie gewinnen heute.“, erklärt mir Diego. Die Lage von Madureira ist tatsächlich nicht rosig. Am vorvorletzten Spieltag befindet man sich auf einem Abstiegsplatz und braucht verzweifelt die drei Punkte, um überhaupt noch eine Chance zu haben.
Vila Nova hingegen hat noch eine Chance in die Play-offs um den Aufstieg zu gelangen. Die dritte Liga ist in Brasilien zweigleisig in Nord und Süd aufgeteilt, um zu lange Reise zu vermeiden. Die vier Bestplazierten der beiden Ligen spielen dann den Aufstieg in Play-offs unter sich aus. Aus Vila Nova war sogar ein stimmgewaltiger Fan angereist, der hier sein Liedgut zum Besten gibt:


In der ersten Halbzeit kam Madureira kaum vor das Tor von Vila Nova. Die Gäste drückten mehr und kamen zur großen Chance dieser Halbzeit. Doch der Stürmer von Vila Nova vergab freistehen vor dem Torwart. Der Platz in Madureira ist ein Acker, der kein filigranes Spiel zulässt. Es war klar, dass nur ein Zufallstreffer das Spiel entscheiden konnte.


Madureira kam in der zweiten Halbzeit besser ins Spiel und erarbeitete sich Chancen. Vila Nova versuchte nun den Spielrythmus durch brutale Fouls zu unterbrechen. Dies führte zu Verletzungen und zwei frühen Auswechslungen bei Madureira. So bekam der junge Stürmer Derlei seine unerwartete Chance und nutzte sie. Zu Beginn der zweiten Halbzeit tankte er sich über links durch und zog zum 1:0 ab:


Kurz darauf versuchte ein Spieler von Vila Nova mit seinen Stollen das Gesicht eines Gegenspielers zu durchbohren und wurde dafür zu Recht vom Platz gestellt:


Die Fans von Madureira fühlten sich jetzt schon auf der sicheren Seite, doch Vila Nova nutzte eine Unaufmerksamkeit und kam zum Ausgleich. Aber Madureira drückte nun, um den Sieg einzufahren. Dem ehemaligen Spieler von Flamengo Jean gelang dann auch das 2:1, das er fast ins Tor trug. Er ließ es sich nicht nehmen die Fans am Gitter hinterm Tor zu umarmen. Kurz darauf machte Derlei mit seinem zweiten Tor durch einen Heber über den Torwart alles klar. Die Fans in der Gegengerade organisierten spontan eine Polonaise. Madureira hat seinen ersten Schritt aus der Abstiegszone heraus gemacht, aber, um wirklich sicher zu sein, müssen eigentlich die letzten zwei Spiele auch noch gewonnen werden.

Derlei wird von seiner Tochter nach dem Spiel beglückwünscht.


Nachtrag: Diese Woche strahlt der brasilianische Sportsender ESPN Brasil eine Dokumentationsreihe über die Vereine aus den Vororten Rios aus. Hier der Trailer:


Donnerstag, 11. Oktober 2012

Vasco da Gama – São Paulo, 0:2



Vasco da Gama – São Paulo FC ist das Duell des Viert- gegen den Fünft-Plazierten und somit ein direktes Aufeinandertreffen im Kampf um einen der begehrten Libertadores-Startplätze (Südamerikanische Champions League). Mein Nachbar und Vascaino Camilo bot mir diesmal eine Mitfahrgelegenheit an und so durchkreuzten wir mit dem Auto an einem Mittwochabend die engen Gassen von São Cristóvão, um zum Spiel zu gelangen.
Camilo zeigte sich ziemlich enttäuscht von seinem Team: „Die Mannschaft ist eigentlich Scheiße. In der Hinrunde hatten wir noch Spieler wie Diego Souza oder Fagner (jetzt Wolfsburg), aber dann hat das Präsidium entschieden diese zu verkaufen, da die Schulden des Vereins zu groß sind. Heute ist es ein Wunder, dass wir noch auf dem vierten Platz sind.“
Ein anderes Problem ist, dass die brasilianische Meisterschaft an FIFA-Daten keine Pause einlegt. Somit musste Vasco auf Dedé, aber auch São Paulo auf Lucas (was schwerwiegender sein dürfte), die in Malmö weilten, um gegen den Irak zu spielen, verzichten. Sicherlich handelt es sich hierbei nur um Freundschaftsspiele, trotzdem werden einige Mannschaften durch diese Praktik zu sehr geschwächt. Hauptleidtragender der aktuellen Saison dürfte Santos sein, der Neymar ständig abstellen musste.
Vor dem Stadion schauen wir uns an den Bierständen die eigentliche Nachricht des Tages an: Fluminense gewinnt 2:0 gegen Bahia und Atlético – MG verliert 3:0 gegen Internacional. Damit erkämpfen sich die Tricolores einen 9 Punkte Vorsprung, bei verbleibenden 9 Spieltagen. Die Vascainos äußern sich abfällig über den Stadtrivalen und versuchen sich mit Bier und Smalltalk aufzuheitern.
Fluminense, Flamengo und Botafogo haben in den letzten Tagen schon ihre Eintrittspreise gesenkt und konnten so wenigstens etwas ihre Zuschauerzahlen anheben. Vasco hat das noch nicht getan, aber eigentlich ist das Duell, zumindest auf dem Papier ein Knüller. Der normale günstigste Eintrittspreis in Brasilien beträgt im Moment 50 Real (€20). Der günstigste Platz beim FC Bayern München kostet €15! Somit ist Brasilien im Moment teurer, als Deutschland und das ohne Spieler wie Ribery, Schweinsteiger, Lahm oder Reus, Götze, Huntelaar usw zu haben.
Ein Problem ist in Brasilien sicherlich das Gesetz des halben Preises, denn alle Studenten und andere Inhaber mit Ermäßigungkarten haben das Recht nur die Hälfte zu zahlen. Da man diese Ausweise relativ leicht fälschen kann, hat fast jeder so eine Ermäßigungkarten. Somit wird der ermäßigte Preis zum Normalpreis. Wer keinen Studentenausweis hat wird zum Idioten (zu denen meist Ausländer gehören). Das Gesetz des halben Preises ist sicherlich schlecht gemacht und sollte geändert werden.
Fest steht, dass Fußball in Brasilien zu teuer geworden ist. Sobald ein Verein beschließt die Preise zu senken, gehen die Zuschauerzahlen nach oben. Ich bin mir sicher, dass das ökonomisch sinnvoller wäre. Gegen São Paulo kamen immerhin etwa 11.000 Zuschauer, die ein ziemlich schlechtes Spiel ihrer Mannschaft sahen. Vasco war mit dem einen Treffer von Luís Fabiano noch gut bedient. In der ersten Halbzeit hätte es schon 2:0 oder 3:0 stehen können. In der Halbzeitpause wurde ausgewechselt (auch wenn Camilo damit sehr unzufrieden war) und Vasco kam mit mehr Elan zurück aufs Feld. Die Fans feuerten ihre Mannschaft an und Vasco konnte eine erste Angriffswelle aufbauen.
Aber genau in diese Drangphase hinein gelang São Paulo ein Konter, der zum 2:0 führte. „Hab ich es nicht gesagt? Die Auswechslung war falsch. Da bringt der Trainer einen neuen Spieler und der wird in der ersten Aktion ausgetanzt. Das wars!“, ereifert sich Camilo. Vasco spielt in der zweiten Halbzeit deutlich besser, scheiterte aber ein ums andere Mal an einem hervorragend aufgelegten Rogério Ceni. Der Torwart von São Paulo war eindeutig der beste Mann auf dem Platz und durfte sogar einen Freistoss treten:


Auch dazu hat Camilo eine Geschichte: „Der Ex-Präsident von Vasco, Eurico Miranda, hat einmal gesagt, dass bei São Paulo alle schwul wären. Rogério Ceni war darüber so erbost, dass er schwor gegen Vasco seine besten Spiele zu machen.“ Ich weiß nicht, ob das wahr ist, aber es ist zumindest gut erzählt. Rogério Ceni konnte seinen Kasten sauber halten. Wenn Vasco so weiter spielt werden sie sich nicht für den Libertadores qualifizieren. São Paulo hingegen ist gut drauf und hat gute Chancen.


Die Fans von São Paulo singen im Video:
„Ich habe den Libertadores,
Ich brauche kein Stadion mieten,
Ich bin sechsfacher Meister,
Ich bin nie abgestiegen.“
Der Adressat ist sicherlich der Stadtrivale Corinthians.


Am Donnerstag Nachmittag kam es dann in Malmö noch zu dem Freundschaftsspiel von Brasilien gegen den Irak, der von Zico trainiert wird. Man muss sich fragen welchen Wert solche Tests haben. Brasilien gewann ohne Probleme 6:0. Bis auf Paulinho und Neymar wurde keiner der in Brasilien aktiven Spieler berücksichtigt. Die große Neuigkeit war die Rückkehr Kakás in die Seleção.

Aufstellung Brasilien:
Diego Alves; Adriano, Thiago Silva, David Luiz, Marcelo;
Paulinho, Ramires, Kaká, Oscar; Neymar, Hulk. 

Montag, 8. Oktober 2012

Kommunalwahlen in Brasilien


In Brasilien ist es üblich, dass sich Berühmtheiten, besonders aus dem Sport, für politische Ämter bewerben. Auch gestern gab es wieder mehrere solcher Kandidaten, diesmal mit wenig Erfolg. Hier eine Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Kandidat
Sportart
Stadt
Bundesstaat
Status
Marcelinho Carioca (PSB)
Fußball
São Paulo
SP
Nicht gewählt
Dinei (PDT)
Fußball
São Paulo
SP
Nicht gewählt
Chico Lang (PDT)
Fußball-
kommentator
São Paulo
SP
Nicht gewählt
Vovó da Fiel (PSD)
[die treue Oma]
Kultfan von Corinthians
São Paulo
SP
Nicht gewählt
Ademir da Guia (PR)
Fußball
São Paulo
SP
Nicht gewählt
Velloso (PDT)
Fußball
Araras
SP
Nicht gewählt
Robert (PSB)
Fußball
Santos
SP
Nicht gewählt
Marolla (PT)
Fußball
Jaú
SP
Nicht gewählt
Patrícia Amorim (PMDB)
Schwimmen
Rio de Janeiro
RJ
Nicht gewählt
Donizete (PSDB)
Fußball
Volta Redonda
RJ
Nicht gewählt
Gonçalves (DEM)
Fußball
Rio de Janeiro
RJ
Nicht gewählt
Andrade (PSDB)
Fußball
Rio de Janeiro
RJ
Nicht gewählt
Carlos Germano (PMDB)
Fußball
Cachoeiras de Macacu
RJ
Nicht gewählt
Roger (PCdoB)
Fußball
Cantagalo
RJ
Nicht gewählt
Fabiano (PCdoB)
Fußball
Porto Alegre
RS
Nicht gewählt
Dinho (DEM)
Fußball
Porto Alegre
RS
Nicht gewählt
Jair Gonçalves Prates (DEM)
Fußball
Porto Alegre
RS
Nicht gewählt
Carlos Miguel (PMN)
Fußball
Cachoeirinhas
RS
Nicht gewählt
João Derly (PCdoB)
Judo
Porto Alegre
RS
Gewählt
Washington (PDT)
Fußball
Caxias do Sul
RS
Gewählt
Paulo Rink (PPS)
Fußball
Curitiba
PR
Gewählt
Tarciso Flecha Negra (PSD)
Fußball
Porto Alegre
RS
Gewählt
Aurélio Miguel (PR)
Judo
São Paulo
SP
Gewählt
 Tupãzinho (PSB)
Fußball
Tupã
SP
Gewählt
Marco Aurélio Cunha (PSD)
Präsidium São Paulo FC
São Paulo
SP
Gewählt
Hugo Duppre (PSDB)
Schwimmen
Santos
SP
Gewählt

Hervorheben möchte ich Paulo Rink in Curitiba, der schon 23 Mal (drei Tore) für die deutsche Nationalmannschaft gekickt hat und ab Januar Stadtrat in Curitiba sein wird.