Dienstag, 29. April 2014

Stadionsnacks im WM-Land Brasilien

Bei dem folgende Text handelt es sich um einen Gastbeitrag von mir, der auf: http://www.calcio-culinaria.de/ erschienen ist. Guten Appetit!


Wer durch Brasiliens Straßen schlendert oder in einer Eckkneipe ein Bier trinkt kennt die Salgadinhos. Es handelt sich um kleine salzige Snacks, wie Teigtaschen, Pasteten oder Bällchen, für den kleinen Hunger zwischendurch, die von den Portugiesen erfunden wurden. Das Erbe der Kolonialherren übt weiterhin großen Einfluss auf die Kultur ihrer ehemaligen Kolonie aus. Eines der bekanntesten Salgadinhos ist „Bolinho de Bacalhau“, also Kabeljaubällchen, die aus einer frittierten Stockfisch-Kartoffel-Masse gemacht werden.


Diese Salgadinhos eignen sich perfekt als Stadionsnack, denn sie können in großen Mengen vor dem Spiel hergestellt werden und in den Stadionkneipen warm gehalten werden. Für den Fan sind sie dann ein perfekter Snack zum Bier. Somit verwundert es nicht, dass man die Salgadinhos in allen Stadien Brasilien findet. Ein absoluter Stadionklassiker dieser Salgadinhos ist in Rio „Coxinha de Galinha“, Hähnchenschlegel. Seine Entstehungsgeschichte ist, dass früher tatsächlich Hähnchenschlegel paniert und frittiert und dann verkauft wurden. Später versuchte man günstigere Versionen zu produzieren, deswegen wurde begonnen nur wenig Fleisch in einer Kartoffelmasse zu frittieren. Diese hat bis heute die Form eines Hähnchenschlegels. 


Aber leider habe ich noch nie wirklich gute Salgadinhos in einem Stadion gegessen. Scheinbar tut ihnen die lange Ruhezeit nicht gut. Frisch frittiert sind sie einfach besser. Außerdem werden in den neuen WM-Stadien die alten Kneipenbesitzer gegen neue gesichts- und geschmacklose Imbissketten ausgetauscht. Ein weiteres Problem in Zeiten der Megaevents ist, dass zurzeit ein Alkoholverbot in brasilianischen Stadien herrscht. Wie soll denn bitte ein fetttriefendes Kabeljaubällchen ohne Bier schmecken?


Wer in Rio de Janeiro richtig gute Salgadinhos probieren möchte, dem seien in der Nähe des Maracanã die „Botequins“ (Kneipen) „Gato de Botas“ (Rua Torres Homem) und „Aconchego Carioca“ (Rua Barão de Iguatemi), empfohlen. Wer mehr Zeit hat, der sollte eine Fähre nach Niteroi nehmen und dort die Kneipe „Caneco Gelado do Mario“ (Rua Visconde de Uruguai) besuchen. Besitzer Mario macht die besten Kabeljaubällchen und Krebspasteten (Pastel de Siri) Rios, Brasiliens, der Welt.



Außer den Salgadinhos gibt es in manchen Gegenden Brasiliens aber regionale Spezialitäten, die vom Stadionbesuch nicht wegzudenken sind. Ich möchte im Folgenden die drei berühmtesten vorstellen.
Da ist erst einmal das Schweinshaxensandwich in São Paulo. Traditionell stellen die Verkäufer ihre Zelte oder Imbisswagen in den Zufahrtsstraßen vor den Stadien auf. Ihr größter Verkaufsschlager sind die Schweinshaxen, die schon vorgebraten wurde. An Spieltagen legen die Verkäufer diese dann im Ganzen auf die Theke und schneiden bei Bestellung dünne Scheiben ab. Diese Scheiben werden dann auf einer heißen Platte erhitzt und in einem Brötchen gereicht. Das Sandwich kann mit Käse, Salat und Saucen angereichert werden. Leider werden die Verkäufer zunehmend aus dem Stadionumfeld vertrieben.


In der WM-Stadt Belo Horizonte ist „Feijão Tropeiro“ ein fester Teil des Stadionbesuchs. Diese Mischung aus Bohnen, Maniokmehl, Kohl und Speck wird oft mit Reis, Steak und einem Ei angeboten. Traditionell wird der „Tropeiro“ direkt in den Stadionkneipen verkauft. Die FIFA wollte den „Tropeiro“-Verkauf während der WM verbieten. Das führte aber zu so starken Reaktionen in der lokalen Bevölkerung, dass der Verkauf gesichert ist. Übrigens kostet eine Portion weiterhin sozialverträgliche R$10 (€3). „Tropeiros“ waren die Goldtransporter in der Kolonialzeit, die die Zutaten dieses Gerichts mit sich schleppten und so „Feijão Tropeiro“ erfanden.


Die deutsche Nationalmannschaft wird ihr Auftaktspiel in Salvador haben. Salvador ist neben Belo Horizonte und Belém (das leider keinen WM-Zuschlag bekam), eine von drei kulinarischen Hauptstädten Brasiliens. Die stark von afrikanischen Einflüssen bestimmte regionale Küche ist eine der Sensationen Brasiliens. Aushängeschild sind die Bohnenbällchen Acarajé, die auch in den Stadien verkauft werden. Die Bohnenbällchen werden frittiert und dann halbiert. Daraufhin bekommen sie eine Füllung aus der Okrapaste Carurú, der Erdnusscreme Vatapá, getrockneten Garnelen, Tomaten, Zwiebeln und Chili. In Salvador ist der Chili viel schärfer als in anderen Gegenden Brasiliens und kann auch abgelehnt werden. Auch hier wollte die FIFA den Verkauf während der WM verbieten und erntete starken Wiederstand, so dass Acarajés jetzt erlaubt sind.



Die brasilianische Küche ist insgesamt sehr reichhaltig, interessant und hochwertig. Ehrlich gesagt können die Stadionimbisse dieses Qualitätsniveau meist nicht halten. Man muss sich dann halt ein Restaurant suchen und dort auf Entdeckungsreise gehen. Es lohnt sich!

Samstag, 26. April 2014

Die Kirche im Dorf lassen

Man merkt, dass die WM in knapp 1,5 Monaten beginnt. Verschwitzte europäische Journalisten jagen durch Rios Straßen, um verzweifelt irgendwelche Missstände aufzudecken. Mit aller Macht wird die sensationelle Schlagzeile gesucht, die Ländern, wie Brasilien das Recht der WM-Austragung absprechen soll und die WM am besten wieder nach Deutschland verlegt. Da schwirren Killer-Mücken durch die Luft, Schlangen und Kaimane erscheinen vor den Stadien und Krieg herrscht auf den Straßen von Rio. Eine „Terrormeldung“ nach der anderen. Leute, lassen wir mal dir Kirche im Dorf!
Hier werden die immer gleichen Stereotypen bedient: Brasilien ein tropisches Land zwischen Gewalt und Sex (denn die Bikinimädchen werden auch nicht vergessen), zwischen Gefahr und Vergnügen. Da dürfen eben auch die Moskitos, die Tropenkrankheiten übertragen, nicht fehlen. Das ist genauso, wie wenn wir Deutschen ständig mit dem Nazivorurteil leben müssen. Wir wissen doch ganz genau, wie das nervt. Ich glaube, es ist an der Zeit etwas Grundsätzliches zu sagen.
Veranstalter von Sportgroßereignissen versprechen den Bewohnern des gewünschten Standortes immer ein Vermächtnis für alle. Das ist meist so vollmundig, dass dadurch eine sehr hohe Erwartungshaltung wächst. Man hat bei diesen Versprechen das Gefühl, dass eine WM die Kraft hätte ein Land komplett zu verändern. Ich muss enttäuschen: die WM hat diese Kraft nicht!
Deutschland hatte schon vor der WM ein ICE- und ein Autobahnnetz und Städte, wie Hamburg, Nürnberg oder Leverkusen hatten ihre Stadien schon lang vor der WM erbaut. Die Infrastrukturellen Bauarbeiten wären sowieso passiert. In Deutschland hat eine deutsche WM mit deutschen Rahmenbedingungen stattgefunden, in Südafrika eine südafrikanische und in Brasilien wird es eine brasilianische.
Das bedeutet auch, dass man mit den brasilianischen Rahmenbedingungen fertig werden muss. Jedes Jahr zwischen Januar und Mai kämpft Brasilien mit einer Dengueepidemie, da in dieser heißen Regenzeit sich die Moskitos, die die Viren übertragen am besten vermehren. Diese Mücken fliegen in Brasilien einfach so herum und sind schwer zu bekämpfen. Eine langfristige Maßnahme wäre eine Investition in medizinische Forschungsprogramme und nicht in die WM.
Kaimane und Schlangen gibt es auch immer, aber selten im Fußballstadion. Außerdem sind sie nicht wirklich ein Problem. Im Gegenteil, es ist sehr schön diese Natur zu haben. Das hat nichts mit der WM zu tun.
Den Bau von Straßen und Zuglinien an eine WM zu koppeln ist absurd. Ein Staat sollte immer versuchen das Transportsystem zu verbessern. Das Transportsystem ist nicht nur für die WM-Touristen da, sondern in erster Linie für die Einheimischen. Brasilianer stehen oft im Stau, nicht nur bei der WM.  
Schließlich berichtet man im Moment verstärkt über gewaltsame Zwischefälle in brasilianischen Elendsvierteln, wie diese Woche mit dem Tod des Tänzers in der Favela Pavão-Pavãzinho wieder geschehen. Davor gab es die Räumung eines kürzlich besetzten Fabrikareals und die Besetzung der Favela Maré durch Befriedungstruppen. Diese Zwischenfälle führen oft zu Protestaktionen der Bewohner, aufgrund der brutalen Einsatzart der brasilianischen Polizei. Ich habe bemerkt, dass deutsche Zeitungen gerne eine Verbindung zwischen den Protesten des letzten Jahres und den aktuellen Protesten herstellen. Ich muss enttäuschen: eines hat mit dem anderen nichts oder wenig zu tun.
Die Zwischenfälle haben auch nur bedingt mit der WM zu tun. So schlimm es ist, aber Schießereien und Polizeigewalt ist nichts Neues in Brasilien und wird auch nach der WM existieren. Jetzt wird es für ein paar Monate im Ausland bemerkt, aber dann wieder vergessen. Wer hier wirklich was tun will müsste langfristig in die Ausbildung und Ausrüstung der Polizei investieren.
Die aktuellen Unruhen sind die ganz normalen Schikanen gegen untere Bevölkerungsschichten. Die aber durchaus, als eine Art Warnschuss, vor Sportereignissen zunehmen. So war das schon vor den Panamerikanischen Spielen 2007. Die Demos 2013 hingegen waren von Studenten der Mittelschicht und ihren Themen bestimmt. Diese haben tatsächlich das Sportereignis für ihre Anliegen genutzt. Die Bevölkerung in der Favela hingegen wird von der Polizei schikaniert. Wir reden hier von zwei völlig unterschiedlichen Situationen.
2013 hatte auch die Mittelschicht das Vergnügen von der Polizei schikaniert zu werden. Deshalb reflektiert heute die brasilianische Gesellschaft mehr darüber, welche Polizei man haben will und welche Strategie und Aufgaben sie haben sollte. Wenn da was in Gang kommt, dann würde tatsächlich ein Vermächtnis für Brasilien bleiben. Das wäre ein langfristiger Gewinn. Aber solche Veränderungen geschehen in kleinen Schritten und nicht in sieben Jahren WM-Vorbereitung.
Somit ist das einzige Vermächtnis, das ein Gastgeberland erarbeiten kann, ein Imagegewinn, also eine Frage des Marketings. Hier hat Deutschland, denke ich, sehr gut gearbeitet. Ich habe das Gefühl, dass das Image Deutschland mit dem „Sommermärchen“ tatsächlich verbessert wurde. Der Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ hatte Erfolg. Er hatte aber auch Erfolg, weil sich die Gäste darauf eingelassen haben. Jetzt ist es auch an der Zeit, dass wir uns darauf einlassen Gäste in Brasilien zu sein. 
Brasilien arbeitet viel mit seinem Image eines freundlichen und feierfreudigen Landes, deshalb der Slogan: „Alle in einem Rhythmus“. Jetzt müssen wir in den Rhythmus einstimmen. Damit will ich die Probleme nicht herunterspielen. Ich will nur klar machen, dass die Probleme nichts mit der WM zu tun haben. Wer helfen will, muss langfristig und weit über die WM hinaus helfen.
Man fragt sich manchmal, was die Kommentare erwarten: Das Brasilien die Sicherheit und die Party der Fans der 31 Gastmannschaften garantiert? Ist das das Vermächtnis einer WM? Ich glaube kaum. Jetzt wird manch einer sagen: und was macht die FIFA. Richtig, die FIFA sollte sich auch an dem Vermächtnis beteiligen und zwar nicht nur mit Streetsoccer-Turnieren und Antirassismus-Plakaten, sondern mit Investitionen in Transport, Bildung und Gesundheit in bedürftigen Gegenden. Also nicht in den reichen Stadtteilen, aus denen die Demonstranten von 2013 waren, sondern in der Peripherie. Und ich möchte noch ein wichtiges Projekt mit einschließen: Brasilien braucht unbedingt eine besser ausgebildete und ausgerüstete Polizei.

Das sind langfristige Projekte, die Brasilien größtenteils selbst in die Hand nehmen muss. Der kurzfristige Gewinn kann nur ein Imagegewinn sein und dazu braucht man die Hilfe der ausländischen Journalisten. Sie dürfen nicht nur hysterisch auf bekannten Stereotypen rumhacken, sondern müssen auch Neues akzeptieren können und darüber kritisch, aber fair, berichten. Und man muss eben auch die Eigenheiten anderer Länder akzeptieren und sich darauf einlassen können. 

Mittwoch, 23. April 2014

50 Tage bis zur WM: Brasiliens Straßen


In der Woche vor Karneval hatte ich einen Event mit einer deutschen Journalistengruppe. Diese fragten mich ganz erstaunt, warum man noch keine Hinweise, wie Fahnen oder Poster, auf die WM sehen würde. Einer der Gründe war damals sicherlich, dass sich Brasilien noch auf den Karneval konzentrierte. Ein anderer ist aber die angespannte Lage in Brasilien.
Die Leute freuen sich zwar auf die WM und wollen natürlich ihre Seleção anfeuern, aber FIFA-Symbole sind weiterhin nicht gerne gesehen. Ein Indiz dafür ist, dass vor vier Jahren in Südafrika 50 Tage vor der WM der WM-Song in einem öffentlichen Event präsentiert wurde. Das hat man in Brasilien gestrichen.


Aber inzwischen laufen Werbungen im Fernsehen und auf den Straßen im Zusammenhang mit der WM auf Hochtouren. Das hat sich ganz klar geändert. Dabei wird natürlich wieder stark an das Nationalgefühl appelliert.


Ich habe diese Woche aber auch einen Protestmarsch der Ladenbesitzer der Rua Carioca im Zentrum von Rio gesehen. Die historische Straße wurde scheinbar komplett an Investoren verkauft. Dagegen wehren sich die lokalen Händler. Rios Zentrum wurde im Zuge der Olympiainvestitionen zu einem Spekulationsobjekt.



Ebenfalls im Zentrum liegen die Straßen der Ramschläden. Dieser Bereich wird wegen der arabischen Händler „Sahara“ genannt. Hier läuft der Fanartikelverkauf für die WM auf Volldampf. Kaum ein Geschäft ist nicht in gelb und grün gehüllt. Im Fernsehen gab es eine Reportage, die zeigte, dass diese Händler sehr zufrieden sind. Brasilien bereitet sich auf die Spiele seiner Nationalmannschaft vor. Man rechnet mit Partys.

Dienstag, 22. April 2014

Erster Spieltag

Ufa! Entwarnung! Der erste Spieltag der ersten und zweiten brasilianischen Liga wurde gespielt. Zumindest fanden fast alle Spiele komplett statt. In der ersten Liga hat Fluminense sein Heimspiel gegen Figueirense mit 3:0 gewonnen und Flamengo 0:0 gegen Goiás gespielt. Die Ausnahme ist das Spiel der Portuguesa in der zweiten Liga. Das Team trat bei seinem Auswärtsspiel in Joinville an, verließ den Platz aber nach 17 Minuten.
Grund dafür war eine Eilverfügung eines Richters, die das Spiel für ungültig erklärte. Angeblich würde das Spiel in ein laufendes Verfahren eingreifen. Portuguesa kämpft vor Gericht um seine Rückkehr in die erste Liga, was wohl zum Abstieg von Fluminense oder Flamengo führen würde. Mit den Spielen wurden jetzt aber neue Tatsachen geschaffen, die wohl kaum umkehrbar sind.
Vertreter von Portuguesa haben zwar zunächst gesagt, dass die Eilverfügung die Ausführung des Spieles untersagt hätte. Dem ist aber scheinbar nicht so. Es wäre wohl für Portuguesa besser gewesen das Spiel auszutragen und zu versuchen Punkte mitzunehmen. Jetzt wird man die Punkte sicher verlieren und beginnt die Meisterschaft als Schlusslicht. Der Prozess um den Verbleib in der ersten Liga scheint inzwischen auch juristisch verloren zu sein.

Es scheint viel mehr, dass Portuguesa mit dem Spielabbruch noch versucht hat Verwirrung zu stiften, um so doch noch positive Gerichtsurteile oder eine Entschädigung des Verbands zu erreichen. Die Logik hätte aber verlangt, dass Fluminense und Flamengo auch nicht hätten spielen dürfen. Hier gab es aber kein juristisches Eingreifen. Somit gehe ich jetzt davon aus, dass Portuguesa seine gerichtlichen Bemühungen einstellt und die Meisterschaft in der aktuellen Form gespielt wird. 

Mittwoch, 16. April 2014

Vorschau: Brasilianische Meisterschaft 2014

Am kommenden Osterwochenende scheint die brasilianische Meisterschaft 2014 zu beginnen. Scheint? Ja, so 100% sicher bin ich mir noch nicht, denn es sind noch Prozesse vor Gericht am Laufen. Erinnern wir uns: Am letzten Spieltag 2013 war Fluminense abgestiegen. Doch schon wenige Stunden, nachdem die Teams die Rasen verlassen haben, wurde bekannt, dass sowohl Flamengo, als auch Portuguesa am letzten Spieltag gesperrte Spieler eingesetzt haben. Nach Ligareglement bedeutet das Punktabzüge, die Fluminense retteten und Portuguesa in die zweite Liga versetzten. Das war dann auch genau die Entscheidung der Sportgerichtsbarkeit.
Doch einige Fans von Portuguesa zogen vor Zivilgerichte, was der Verein selber Anfang April auch tat. Dort bekam Portuguesa seine Punkte zurück. Da Flamengo diesen Schritt nicht wagte, war zu diesem Zeitpunkt Flamengo abgestiegen. Der Grund dafür ist, dass sowohl die FIFA, als auch der CBF zivile Gerichte in sportlichen Fragen nicht anerkennt. Deswegen führte der CBF Portuguesa bei der Spielplanverkündung immer in der zweiten Liga. Inzwischen gab es auch zivilgerichtliche Entscheidungen, die die Position der CBF stützen. Deshalb geht man davon aus, dass am Wochenende Flamengo und Fluminense in der ersten und Portuguesa in der zweiten Liga spielen werden. Es könnte aber auch noch eine kurzfristige Gerichtsentscheidung geben, die das unterbindet und dann werden wir wohl keine Spiele haben.
 Fluminense hat sein Auftakspiel für Samstag gegen Figueirense und Flamengo für Sonntag gegen Goiás angesetzt. Portuguesa soll hingegen schon am Freitag in Joinville spielen. Wenn Portuguesa am Freitag aufläuft, dann ist die Sache geregelt. Bis dahin wird es wohl noch viele Verhandlungen geben. Ich glaube, dass die Spielpläne so wie von der CBF vorgeschlagen stattfinden werden. Aber es gibt eben noch eine kleine Unsicherheit.
Da 2014 ein WM-Jahr ist, wird die Meisterschaft mal wieder für sechs Wochen unterbrochen. Bis zum 01.06. werden die ersten neun Spieltage ausgetragen und ab 16.07. folgen die restlichen 29. Diese Unterbrechung ist oft ein Stolperstein für die Favoriten, denn in sie fällt das Transferfenster. Mannschaften, die zu Beginn der Meisterschaft gut spielen, verlieren oft ihre besten Spieler an europäische Klubs und stürzen dann ab.
Es ist auch schwierig Favoriten auszumachen. Die Mannschaften aus Rio sind in einem bemitleidenswerten Zustand. Vasco ist in der zweiten Liga, Fluminense ein Abstiegskandidat. Flamengo und Botafogo haben sich schon in der Vorrunde im Libertadorespokal blamiert. Ich sehe keine dieser Mannschaften als Meisterkandidat. In São Paulo hat sich kein Team für den Libertadorespokal qualifiziert und in der Landesmeisterschaft wurden die vier großen von dem Provinzverein Itu vorgeführt.

Bleiben noch die Klubs aus Belo Horizonte und Porto Alegre. Cruzeiro und Atlético-MG spielen gut und sind weiter im Libertadores vertreten. Die Doppelbelastung macht aber oft zu schaffen. In Porto Alegre hat Internacional die Landesmeisterschaft gewonnen und Grêmio ist weiter im Libertadores vertreten. Ich glaube Grêmio ist mein Favorit. Oder wird es ein Außenseitersieg einer Mannschaft aus dem Nordosten oder Santa Catarina? Lassen wir uns überraschen!

Dienstag, 15. April 2014

Meister der Landesligen 2014

Am Sonntag endeten die meisten der 27 Landesligen Brasiliens. Die größte Überraschung war sicher der Titelgewinn von Itu in São Paulo. Hier eine Auswahl der Titelträger.

Bundesstaat
Meister 2014
Bahia
Bahia
Goiás
Atlético – GO
Maranhão
Sampaio Corrêa
Mato Grosso
Cuiabá
Mato Grosso do Sul
CENE
Minas Gerais
Cruzeiro
Paraná
Londrina
Rio de Janeiro
Flamengo
Rio Grande do Sul
Internacional
Santa Catarina
Figueirense
São Paulo
Itu


Seit 2013 gibt es wieder einen Pokal des Nordostens. Dieser wurde von Sport Recife gewonnen. Im Finale konnte die Mannschaft aus Pernambuco Ceará aus Fortaleza mit 2:0 und 1:1 besiegen.

Montag, 14. April 2014

Flamengo – Vasco, 1:1


Dann war die Woche doch nicht so rabenschwarz für Flamengo, wie erwartet. Der Klub aus der Gavea hätte in sieben Tagen drei Titel verlieren können. Aber das 1:1 im Finalrückspiel gegen Vasco war genug, um die 33. Riomeisterschaft zu gewinnen. Knapp 50.000 Zuschauer wollten den Kampf der Giganten sehen. Somit ist vieles wie gehabt: selbst ein Finale ist nicht ausverkauft. Das Spiel war schlecht und wurde mit unglaublichen acht gelben und zwei roten Karten gekrönt.


Nach den Platzverweisen öffneten sich wenigstens die Räume und das Spiel wurde besser. In der 75. Minute bekam Vasco einen Elfmeter zugesprochen und verwandelte diesen. Nach der schlechten Darbietung Flamengos bis zu diesem Zeitpunkt wähnten sich die Fans mit dem Malteser Kreuz schon am Ziel ihrer Träume. Kurz vor Schluss gab es sogar eine Pitchinvasion. Der Fan wollte klar das Spiel unterbrechen und so Flamengo aus dem Rhythmus bringen. Aber der Schiedsrichter bemerkte den Zwischenfall gar nicht.


Die Aktion verpuffte und in der 91. Minute gelang Flamengo ein, wegen Abseits, irregulärer Treffer. Der Schiedsrichter bemerkte das Abseits nicht und gab den Treffer. Die letzten vier Minuten konnte Flamengo dann über die Zeit retten.
Vor mir auf den teuren Plätzen kam es wieder ein Mal zu Handgreiflichkeiten unter Flamengofans. Man sagt immer die Fanklubs und die billigen Stehplätze wären an der Gewalt Schuld und ich habe noch nie so viele Schlägereien, wie auf der neuen Haupttribüne gesehen. Schon witzig.



Das wars mit der Riomeisterschaft 2014. An Ostern geht die brasilianische Meisterschaft los.

Mittwoch, 9. April 2014

Niemand verliert so schön, wie Flamengo


Flamenguistas reißen immer die Klappe auf, um Allen zu erklären wie toll Flamengo ist. Man meint sie würden alljährlich viele tolle Titel gewinnen. Die Wahrheit ist eine andere. Der letzte internationale Titel datiert von 1981! Die letzten Libertadoresteilnahmen wurden immer von homerischen Niederlagen gekrönt. Da war zum Beispiel 2008 der 4:2 Sieg gegen America aus Mexico, um dann im Maracanã 0:3 zu verlieren.


Ich kann mich auch an eine erst kürzliche Last-Minute-Niederlage in der Gruppenphase erinner, bei der die Frage der Qualifikation aufgrund der Kombination der Ergebnisse in der Nachspielzeit des letzten Spieltags sich mehrfach änderte.


Heute musste Flamengo sein Heimspiel gegen Leon aus Mexiko gewinnen und hat 2:3 verloren. Noch letzte Woche wurde ein glorreicher Auswärtssieg gegen Emelec in Equador gefeiert, aber daheim wird die Qualifikation wieder versemmelt. Erster in der Gruppe wurde völlig überraschen Bolivar aus Bolivien.




Aber ein Unglück kommt selten Allein. Bis gestern war die brasilianische Meisterschaft von 1987 nicht entschieden. Sport Recife und Flamengo fühlten sich als Meister. Gestern hat ein Gericht entschieden, dass Sport Meister ist. Damit hat Flamengo nur 5 Meisterschaften und Sao Paulo FC darf mit 6 Meisterschaften sich als Rekordmeister fühlen. (Und den sogenannten Kugelpokal behalten, den Flamengo wollte). 

Freitag, 4. April 2014

Garrincha: : „Die Krone ist auf dem falschen Haupt.“


Schon vor zwei Wochen war ich in Pau Grande, komme aber erst jetzt dazu die Erlebnisse aufzuschreiben. In dem Dorf Pau Grande, am Fuß des Gebirges von Petropolis wurde Garrincha geboren. Grund genug für Wolfgang, Anja und mich aufs Land zu fahren. Im Auto sprachen wir über unsere Erwartungen, die eigentlich nicht besonders groß waren. Wir wussten, das Pau Grande wegen einer englischen Textilfabrik gegründet wurde (in der Garrincha und seine Familie gearbeitet hat), die sich strategisch an der Eisenbahnlinie und der alten Straße nach Petropolis angesiedelt hatte. Der Ort soll weiterhin idyllisch und dörflich sein, aber wegen seiner Abgeschiedenheit kann man nicht wirklich Referenzen an Garrincha erwarten.


An der Mautstelle des Autobahnrings fragen wir nach dem Weg, der nicht einfach ist, denn man muss eine Ausfahrt nehmen, um auf der anderen Spur wieder in Gegenrichtung die eigentliche Abfahrt zu erreichen. So kommen wir in Pau Grande an. Der Ort ist so verschlafen, wie wir es uns vorgestellt hatten. Er wird von einer Avenida durchquert, die direkt auf die Fabrik führt. Links und rechts davon stehen die typischen Arbeiterhäuschen in einheitlichem Stil.


Wir parken und werden schon kritisch beäugt. Die erste Person, mit der wir sprechen – Rodrigo – erzählt uns alle Einzelheiten aus dem Leben von Garrincha und führt uns zum sehr schönen Bolzplatz der Stadt. Die Textilfabrik wurde verkauft und produziert jetzt Limonade aus dem Bergwasser. Das ganze Dorf arbeitet dort – wie früher. Dann zählt uns Rodrigo noch alle Nachfahren von Garrincha auf und entlässt uns am Haus seiner Enkelin Sandra.


Es sticht zwischen den anderen Häusern hervor, da es knallgelb angestrichen ist und Bilder von Garrincha an ihm angebracht sind. Wir sprechen mit Sandras Mann, der uns erklärt, dass ihr Haus von einer TV-Sendung hergerichtet wurde, die die Garage zu einer Sportsbar umgebaut haben. Wir besuchen die Bar, die sehr fremd in Pau Grande wirkt, und bestellen Getränke und Pasteten. Dann kommt Sandra: „Die Krone ist auf dem falschen Haupt.“, erklärt sie uns. Damit will sie sagen, dass, ihrer Meinung nach,  nicht Pele, sondern Garrincha der König des Fußball sei. Danach beklagt sie sich, dass die Regierung nicht mehr in Pau Grande investiert, dass es kein Garrinchamuseum gibt und, dass die wenigen Gäste nur Fotos von ihrer Bar machen und nichts konsumieren.


Immerhin versucht sie ein Business aufzuziehen und damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihre Mutter und Tanten hatten da eine andere Einstellung. Sie wollten, als Töchter Garrinchas Geld verdienen und stellten Interviews in Rechnung. Die meisten von Garrinchas direkten Nachkommen leben in sehr schwierigen Lebensverhältnissen.


Wir ziehen weiter und sehen das örtliche Stadion, die Turnhalle, die Garrincha-Grundschule und eine Büste. Es ist schon witzig, dass die Schule nach Garrincha benannt wurde, das Stadion aber nicht. Die Lampen der Straßenbeleuchtung sind in Form von Fußbällen gemacht. Irgendwie atmet das Dorf den Geist von Garrincha, die direkte Spurensuche gestaltet sich aber trotzdem schwierig. Wir hören noch mehrfach die Klagen, über das Vergessen der Regierung und dass nicht in Pau Grande investiert wird.


Auf der Rückfahrt überlegen wir, was wirklich gemacht werden könnte. Würde es Sinn machen ein staatliches Garrinchamuseum in Pau Grande zu errichten? Die ernüchternde Antwort ist: Wohl kaum. Die Anfahrt war extrem schwierig und nur machbar, weil wir ein Auto haben und Portugiesisch sprechen. Es gäbe eine Zuglinie in der Nähe, die aber als gefährlich und verwahrlost gilt. Außerdem: wenn man das Museum gesehen hat, was macht man dann? Im Gegensatz zu den oberen Städten des Gebirges ist Pau Grande unglaublich heiß und stickig. Es gibt nicht einmal eine Pension oder Hotel. Das angrenzende Mage ist sogar geradezu hässlich. Warum sollte also ein ausländischer Tourist hierher fahren? Für Brasilianer ist wohl am schwierigsten, dass der Ortsname „großer Stock“, aber eben auch „großer Penis“ bedeutet.


Hier folgt noch der Auszug über Garrincha aus meinem Buch, was eine Antwort auf die Tese von Alex Bellos darstellt:  

Garrincha, eine der großen mythischen Gestalten des Weltfußballs, wurde 1933 als Manoel Francisco dos Santos in Pau Grande, im Hinterland von Rio de Janeiro, geboren. Hauptarbeitgeber in seinem Geburtsort, dessen Name mit „Großer Penis“ übersetzt werden könnte, war eine englische Textilfabrik, in der fast alle Männer des Dorfes arbeiteten. Auch Garrincha unterschrieb dort mit 14 Jahren seinen ersten Arbeitsvertrag und kickte bald in der Betriebself. Dort wurde man auf sein Talent aufmerksam und so bekam er Arbeitserleichterungen, um seine Kräfte für die Spiele zu schonen. Er wird oft als der unbekümmerte Junge vom Land beschrieben, der seine freie Zeit damit verbrachte, dem Ball oder den Tieren des tropischen Regenwalds nachzujagen. Daher auch sein Spitzname Garrincha: Strohschwanzschlüpfer, ein kleiner, brasilianischer Vogel. Bald fand der junge Fabrikarbeiter aber auch Gefallen an der Jagd auf das andere Geschlecht. Seine Eroberungen wurden legendär.
Garrincha wird gerne mit Curupira, einer Figur der indianischen Mythologie verglichen. Dieser Pumuckel-ähnliche Waldkobold blickt nach vorne, während seine Füße nach hinten verdreht sind. So kann er unkontrollierbare und unvorhersehbare Haken schlagen. Garrincha wurde mit zwei gegensätzlich verdrehten Säbelbeinen geboren, die jegliche sportliche Betätigung unwahrscheinlich machen. Doch gerade diese O-Beine ermöglichten ihm die unvorhersehbaren Dribblings, die seine Karriere bestimmten und ihn berühmt machten.
Mit 19 Jahren wurde er von dem Verein Botafogo in Rio de Janeiro entdeckt und verpflichtet. Die Legende erzählt, er habe alle seine Verträge blanco unterschrieben und wurde von dem Verein, bei dem er fast seine gesamte Karriere blieb, ausgenutzt. Bei Botafogo traf er auf Spieler wie Didi, Zagallo und vor allem Nilton Santos, dem Rückgrat der Nationalmannschaft, die 1958 nach Schweden zur WM fuhr.
Nach den Enttäuschungen bei den Turnieren in Brasilien und der Schweiz wollte Brasilien 1958 unbedingt den Titel gewinnen. Trainer Vicente Feola wurde mit fast unbeschränkten Mitteln und Befugnissen ausgestattet. Ein zwölfköpfiger Trainerstab mit Ärzten, Psychologen und Assistenten wurde ihm zur Seite gestellt. Wie schon 1938 begann die Vorbereitung Monate vor der WM mit einem Trainingslager, diesmal in Poços de Caldas. Ein Gesundheitscheck offenbarte den erschreckenden Gesundheitszustand, in dem sich die Nationalspieler befanden: 470 zu behandelnde Zähne, von denen 32 gezogen werden mussten, Würmer, Parasiten und sogar Syphilis. In dem dazugehörigen Intelligenztest schnitt Garrincha schlecht ab: mit dem bei ihm ermittelten IQ hätte er in Brasilien nicht einmal Bus fahren dürfen.
Schon zwei Wochen vor dem ersten WM-Spiel kam die Seleção nach Europa, um sich mit Testspielen in Italien vorzubereiten. An dem Mythos Garrincha wurde dann auch in Schweden fleißig weitergestrickt. Zum einen zeugte Garrincha in Schweden einen Sohn namens Ulf, zum anderen wurde er überall als naiv und geistig beschränkt dargestellt. So kursiert die Geschichte, er habe in Schweden ein Radio gekauft. Doch nachdem ihm ein Mitspieler sagte, dass dieses ja nur Schwedisch sprechen würde, habe Garrincha das Radio weggeworfen.
Nebenbei wurde auch noch Fußball gespielt. Für die Partien gegen Österreich (3:0) und England (0:0) wurde Garrincha nicht berücksichtigt. Dafür zeigte er im letzten Vorrundenspiel gegen die Sowjetunion (2:0) sein ganzes Können und wurde zu einem festen Bestandteil der Nationalmannschaft. Brasilien besiegte anschließend Wales (1:0), Frankreich (5:2) und im Finale Schweden (5:2). Der unbekümmerte, naive und verspielte Stil Garrinchas war mitentscheidend für den ersten Titel des Fußballriesen Brasilien. Fortan wollte sich das Land exakt mit jenen Eigenschaften identifizieren, die João Lyra den Brasilianern zuvor negativ zugeschrieben hatte. Man wollte die Curupira des Weltfußballs sein.
Doch der Höhepunkt in Garrinchas Karriere sollte noch folgen - und gleichzeitig seinen Niedergang einleiten. Garrincha war seinerzeit mit seiner Jugendliebe Nair verheiratet, mit der er insgesamt neun Kinder hatte. 1961 lernte er die berühmte Sambasängerin Elza Soares kennen und begann eine Beziehung mit ihr. Seine erste Ehe wurde geschieden. Just zur selben Zeit stürmte Elza mit dem Titel „Ich bin die Andere“ die Charts. Zuvor hatte die brasilianische Öffentlichkeit stets den Mantel des Schweigens über frühere Eskapaden gedeckt. Die nun öffentlich zur Schau gestellte Untreue aber war zu viel, und das Paar wurde schwer angegriffen.
Im Vorfeld der WM 1962 beruhigten sich die Dinge. Erneut bereitete der Fußballverband alles akribisch vor. Es wurden sogar chilenische Prostituierte ausgewählt und einem Gesundheitscheck unterworfen, damit sie den Spielern gefahrlos zur Verfügung standen. Das Weltturnier 1962 wurde zum großen Schaulaufen Garrinchas. Er gewann den Titel quasi im Alleingang und erzielte vier Tore. Die Vorrunde überstand Brasilien mit Siegen gegen Mexiko (2:0) und Spanien (2:1) und einem Unentschieden gegen die Tschechoslowakei (0:0). In der K.o.-Runde besiegte man im Viertelfinale England (3:1) und im Halbfinale Gastgeber Chile (4:2). In diesem Spiel wurde Garrincha wegen eines Revanchefouls, das nur der Linienrichter gesehen hatte, vom Platz gestellt. Für das Finale gegen die Tschechoslowakei wäre er damit eigentlich gesperrt gewesen.
Zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung befand sich der französische Schiedsrichterassistent jedoch schon wieder zuhause, und der Schiedsrichter konnte nur wiederholen, dass er das Foul nicht gesehen habe. Die Sperre gegen Garrincha wurde daraufhin aufgehoben. Brasilien konnte das Finale also in Bestbesetzung bestreiten und sicherte sich mit einem ungefährdeten 3:1-Sieg den zweiten WM-Titel. Nach dem Schlusspfiff stürmte Elza Soares in einem grün-gelben Kleid in die Duschen der Umkleidekabine und bedeckte Garrincha inmitten seiner nackten Mitspieler mit Küssen.
Die Weltmeisterschaft 1962 in Chile gilt als die WM Garrinchas. Er befand sich auf seinem Karrierehöhepunkt. Nach der Rückkehr nach Rio de Janeiro spielte er eine brillante Saison in der Stadtmeisterschaft von Rio de Janeiro. Das Finale gegen Flamengo gilt als das beste Spiel seiner Laufbahn und läutete zugleich das Ende seiner Karriere ein. Die krummen Beine belasteten die Knie zu sehr und er musste operiert werden. Anschließend fand er nie mehr zu alter Form zurück.
Gleichzeitig wuchsen seine Probleme außerhalb des Spielfeldes. Noch heute gilt Garrincha in Brasilien als das Schmuddelkind des Fußballs und wird eher kritisch beurteilt, ja oft sogar in den Bestenlisten vergessen. Mit seiner naiven und unbekümmerten Art verkörpert er die ungebildete und instinktgetriebene Seite Brasiliens, die von Lyra so kritisiert wurde. Seine Frauenaffären, besonders die mit Elza Soares, wurden ihm zum Verhängnis. Nach dem Militärputsch 1964 wurde das Paar vom Geheimdienst beobachtet, später durchsuchte man sogar ihr Haus. 1970 sahen sich beide gezwungen, zwei Jahre in Rom zu verbringen, um dem Rummel zu entfliehen.
Dazu kam Garrinchas Alkoholismus-Krankheit, mit der er quasi aufgewachsen war, denn seine Eltern gaben ihren Kindern Schnuller, die mit Honig und Schnaps gefüllt waren. Nach einem von Garrincha verschuldeten Autounfall, bei dem Elzas Mutter starb, fiel er in Depression. An Fußballspielen war nicht mehr zu denken. In den frühen 1980er Jahren wurde er mehrfach volltrunken auf der Straße gefunden und verstarb am 20. Januar 1983 nach einer letzten durchzechten Nacht.

Damit verfügte das Leben Garrinchas über sämtliche Elemente, die ihn als exotischen Vertreter des südamerikanischen Fußballs interessant machen. Diese Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn mag für Europäer attraktiv sein, für Brasilianer ist sie Ausdruck von Unprofessionalität und Unsportlichkeit und wird als primitiv abgelehnt. Garrincha wurde für seine Landsleute zu einem neuen Barbosa. Ein Mann, der vom Ruhm in die Asche gefallen ist.