Sonntag, 31. März 2013

Die Olympische Stadt


Wir haben unser Fußballseminar genutzt, um mit einigen geladenen Professoren eine Stadtrundfahrt, auf den Spuren der Olympia- und WM-Vorbereitungen, zu machen. Zur Orientierung sei der Post vom 14.12.2012 empfohlen:
http://imlanddesfussballs.blogspot.com.br/2012/12/olympiavorbereitungen-in-rio.html . Hier findet ihr Landkarten.

1.      Stop: Maracanã
Außer den protestierenden Indios konnten wir frenetische Bauarbeiten in  der gesamten Umgebung des Stadions beobachten. Der Verkehr ist dadurch im Moment stark beeinträchtigt. Das Dach des Stadions ist schon fast fertig, außerdem wurde ein Großteil der Sitze angebracht. Einen Rasen gibt es auch schon. Fazit: Das Stadion wird sicher bis zum ersten Testspiel am 02.06.13 zwischen Brasilien und England fertig. Die Anfahrtswege aber wohl kaum, da muss man sich dann auf die WM vertrösten.



2.      Stop: Olympiapark


Am zukünftigen Olympiapark im weit entfernten Jacarepaguá konnten wir auch geschäftiges Treiben feststellen. Bisher ist aber nicht viel, außer Baggern und Sandbergen zu sehen. Der Olympiapark wird in der ehemaligen Formel-1-Strecke errichtet, die eine Mauer hat und so sieht man wenig.
Die große Frage ist hier, ob die „Vila Autódromo“, ein Fischerdorf, dass direkt an dieser Mauer klebt bleiben kann oder nicht.


Hier eine Reportage in englischer Sprache von Al Jazeera zum Thema Vila Autódromo:


3.      Stop: Porto Maravilha

Die Hafengegend im Stadtzentrum wird komplett umgebaut. Hier befindet sich auch mit dem „Morro da Conceição“ ein historisches Arbeiterviertel auf einem Hügel. In Rio wohnen die Armen auf Hügeln und deswegen werden diese Gegenden von der Mittel- und Oberschicht gemieden. Aber der „Morro da Conceição“ ist keine Favela und eigentlich ganz romantisch. Es gibt dort sogar eine historische Festung. Besonders wegen seiner Aussicht wird er jetzt für den Tourismus entdeckt. Wir haben also in einem dortigen Restaurant zu Mittag gegessen und dann den Ausblick aus dem Atelier des Malers Paulo Dallier genossen. Danach sind wir vorbei am „Pedra do Sal“ zum Besucherzentrum gegangen. Alles sehr beeindruckend.




4.      Stop: Rua Carioca

Auf dem Heimweg ist mir dann aufgefallen, dass es auch in der Rua Carioca einen Protest gibt. Scheinbar sollen die dortigen Ladenbesitzer in den historischen Gebäuden enteignet werden. 


5. Stop: Transcarioca

Es werden insgesamt drei neue Schnellbahnen gebaut: die Transcarioca, Transolimpica und Transoeste. Im Bild seht ihr die Transcarioca, die den Flughafen auf der Governeursinsel direkt mit dem Olympiapark verbinden wird. Die ersten Stützsäulen ragen schon aus dem Meer. 



Mittwoch, 27. März 2013

Fußballseminar



Letzte Woche hat meine Forschungsgruppe (http://nepess.blogspot.com.br/) an der Uni ein Seminar zum Thema „Confed-Cup“ veranstaltet. Wir konnten also ausgiebig über Fußball sprechen. Es gab vier Runde Tische, fünf Arbeitsgruppen und eine Videosession. Ich konnte einige der geladenen Professoren für kurze Interviews gewinnen, die ich euch nicht vorenthalten will.  
Den Anfang macht der Anthropologe Pablo Alabarces von der Universität Buenos Aires. Er spricht über das Fußballverhältnis Argentinien-Brasilien und die argentinischen Erwartungen zur WM 2014. (Englisch)


Der Soziologe João Sedas Nunes von der Neuen Universität Lissabon spricht über die portugiesische Sichtweise zur brasilianischen Nationalmannschaft und die WM 2014. (Englisch)


Die Präsidentin der brasilianischen Anthropologenvereinigung Carmen Rial von der Bundesuniversität Santa Catarina in Florianópolis stellt ihre beeindruckende Forschungsarbeit mit brasilianischen Profifußballern in Europa und den USA vor. (Englisch)


Schließlich spricht der Literaturwissenschaftler Elcio Cornelsen von der Bundesuniversität Minas Gerais in Belo Horizonte über die Vereinshymnen brasilianischer Fußballklubs. (Deutsch!)


Engenhão



Folgende Meldung erschütterte heute den Fuball Rio de Janeiros: Es wurden so schwere Sicherheitsmängel an der Dachkonstruktion des Engenhão-Stadions in Rio festgestellt, dass das Stadion vorläufig geschlossen wird. Laut Stadtverwaltung wird die Analyse und Behebung der Mängel mindestens zwei Monate dauern. In der Zwischenzeit müssen sich die Klubs ein anderes Stadion suchen, was nicht einfach ist, da das Maracanã noch nicht fertig ist. Es bleibt noch das São Januário oder ein Stadion außerhalb Rios.



Angeblich sind die Bögen, die das Dach tragen nicht ordnungsgemäß in den Säulen verankert. Bei Sturmböen könnte somit das Dach herab brechen. Gerade der Nutzer Botafogo sucht jetzt natürlich Schuldige, da er einen Verdienstausfall erleiden wird. Aber das ist nicht einfach, denn das Projekt und die Planung wurde von einem Unternehmen geleistet, der erste Teil des Baus von einem anderen. Diese Baufirma wurde, dann aber nach Schwierigkeiten von einer anderen abgelöst. Schließlich haben Stadtverwaltung, Botafogo und Olympisches Komitee das Stadion abgenommen und genutzt. 

Sonntag, 24. März 2013

CEPE/Duque de Caxias – São José, 2:3



Betrachtet man die prekären Verhältnisse des brasilianischen Frauenfußballs, so kann man sich die Erfolge der Nationalmannschaft um Marta kaum erklären. Erst vor wenigen Jahren konnte sich der CBF durchringen eine Frauenmeisterschaft zu organisieren. Aus Finanzgründen wird diese Meisterschaft nicht im Ligasystem, sondern im Pokalmodus ausgetragen. So sind weniger Reisen und weniger Spieltage nötig, außerdem kann man die ersten Runden nach regionalen Gesichtspunkten einteilen.
An diesem Wochende stand das Hinspiel im Viertelfinale an. Rio de Janeiro hat mit CEPE aus Duque de Caxias einen sehr erfolgreichen Vertreter in dieser Meisterschaft. 2011 wurden die Mädchen um den Trainer Edson sogar brasilianischer Meister. Grund genug für Leda, Carol und mich den Weg nach Xerém ins Marrentão-Stadion, am Fuß des Gebirges von Petrópolis, einzuschlagen. Es ist fast unmöglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln in diese entlegene Region zu kommen. Mit dem Auto waren wir fast eine Stunde unterwegs.


Xerém ist bekannt für seine vielen Regenfälle und tatsächlich, kurz vor der Mautstation beginnt es zu regnen. Die Station ist natürlich so gebaut, dass einem kurz vor der Ausfahrt noch R$8 abgezwickt werden. Von dort sind es nur noch wenige Meter durch eine schon sehr grüne Gegend zwischen den ersten Hügeln des Gebirges zum Stadion.
Am Stadion angekommen merken wir, wie sehr der Frauenfußball ignoriert wird, denn auf der Tribüne tummeln sich eigentlich nur eine Hand voll Freunde und Familienangehörige der Spielerinnen und nicht einmal die Snackbude hat geöffnet. Der Eintritt beträgt auch günstige R$5. Als wir ankommen, sind die Spielerinnen schon auf dem Platz und grüßen die leeren Ränge. Aber das Spiel kann nicht beginnen, denn, wie bei meinem letzten Besuch in Xerém bei der Herrenmannschaft, fehlt auch heute der Krankenwagen. Die Spielerinnen müssen versuchen sich im Regen warm zu halten.


CEPE ist ein kurioser Verein, denn er ist der Klub der Fabrikarbeiter der staatlichen Ölgesellschaft Petrobras und hat sein Gelände an der Ölrafinerie in Duque de Caxias. Das Gelände dient in erster Linie für Freizeitaktivitäten der Mitarbeiter, wie Schwimmbad, Sauna oder Grillen und ist nicht auf Hochleistungssport ausgerichtet. Aber der Trainer Edson sah die Chance in diesem Ambiente eine Vorzeigemannschaft für den Frauenfußball zu gründen.
Heute ist die Frauenabteilung von CEPE ein Aushängeschild für Brasilien. Die Mädchen werden - zwar schlecht – aber immerhin, bezahlt. Ein Gemisch aus Sponsorengeldern und Studienstipendien an Sportunis ermöglicht die Finanzierung. Edson geht in ganz Brasilien auf Talentsichtung. Die meist aus armen Verhältnissen stammenden Mädchen stehen dann vor dem Problem einer Bleibe in Duque de Caxias. Auch dafür fand Edson eine „Do it yourself“ Lösung: 12 Spielerinnen wohnen in seinem Haus!


Als der Krankenwagen endlich eintrifft, hört es auf zu regnen und das Spiel kann beginnen. Leider läuft es nicht besonders gut für CEPE. Die Gäste aus São José im Bundesstaat São Paulo sind durchgehend überlegen und kommen noch in der ersten Halbzeit zum 0:1. In der Halbzeitpause beginnt es wieder zu regnen und die Zuschauer flüchten sich in den Zugangstunnel, in dem sogar eine Bank steht.


Aber pünktlich zur zweiten Halbzeit hört es wieder auf zu regnen. São José kommt nach einem fürchterlichen Torwartfehler zum 0:2, aber CEPE kann überraschend ausgleichen. São José mobilisiert noch einmal zusätzliche Kräfte und erzielt schließlich das verdiente 2:3. Die Spielerinnen nehmen es aber gelassen und kommen an den Zaun oder sogar auf die Tribüne, um mit ihren Familien und Freunden zu plaudern.


Leda, Carol und ich nehmen das Auto, um uns wieder auf den Weg zurück nach Rio zu machen. Für unser schon traditionelles Abendessen haben wir diesmal die Tasca do Edgar im Stadtteil Laranjeiras, gleich um die Ecke von Fluminense, ausgewählt. Dort gibt es eine sensationelle Leão Veloso-Suppe aus Meeresfrüchten. Bei Edgars Rezept wird sie mit Rahm gemacht, was der Suppe das gewisse Etwas verleiht. Danach gibt es noch angemachten Oktopus und Garnelen-Geschnetzeltes, eine Abwandlung eines traditionellen brasilianischen Rezeptes. 


Museu do Índio




Die Bauarbeiten rund um das Maracanã laufen auf Hochtouren. Es ist geplant mehrere Gebäude einzureisen, um so Platz für Parkplätze und andere Einrichtungen für die WM zu schaffen. Eines der meistdiskutierten Gebäude ist das ehemalige Indianermuseum. Ein schönes Haus, das leider sich selbst überlassen wurde uns so kurz vor dem Einsturz steht.


Es wurde etwa 2006 von Indianern besetzt, die seitdem dort in Zelten wohnen. Diese Indianersiedlung wurde jahrelang nicht bemerkt, bis die Pläne bekannt wurden, dass das Indianermuseum für die WM eingerissen werden soll und somit die Indianer dort weichen müssen. Der Versuch einer Zwangsräumung durch die Polizei vor ein paar Wochen scheiterte, unter anderem wegen dem enormen Medieninteresse.


Die Landesregierung reagierte auf die Proteste und beschloss das Gebäude wieder herzurichten. Es soll nun ein Olympiamuseum beherbergen. Die Indianer müssen trotzdem weichen. Ihnen wurde ein Ultimatum bis vergangenen Donnerstag gestellt, um das Gebäude freiwillig zu räumen. Freitag in der früh um 3.00h rückte dann erneut die Polizei an. Überraschenderweise hatten sie erneut größte Schwierigkeiten die Indianer aus dem Gebäude zu holen. Ich kam zufällig gegen 10.00h am Maracanã vorbei und die Aktion war noch nicht abgeschlossen.


Vor dem Museum hatte sich auf der einen Straßenseite eine Traube von protestierenden Studenten und Journalisten gebildet. Auf der anderen Straßenseite wurde ein kriegerisch anmutendes Szenario aus Militärpolizei und ihren Fahrzeugen errichtet. Die Polizei kam sogar mit zwei „Camburões“, das sind gepanzerte Fahrzeuge, mit denen normalerweise Aktionen in Favelas durchgeführt werden. Sie wurden im Südafrika der Apartheid erfunden und dann nach Brasilien exportiert. Direkt an der Mauer des Museums verhandelten auf der einen Seite die Indianer mit ihrem Federschmuck und auf der anderen Seite Autoritäten der Regierung.


Laut Medienberichten half der ganze Widerstand nichts. Das Indianermuseum wurde geräumt und die Indianer in Herbergen untergebracht. Sie können jetzt entweder eine finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen, um in ihre Stämme zurückzukehren, oder aber eine Sozialwohnung in Rio beziehen. 


Freitag, 22. März 2013

Drachen mit Sporen und Kamm



Gestern spielte Brasilien ein Freundschaftsspiel gegen Italien, das 2:2 endete. Diese Spielpaarung wird natürlich immer an die WM-Finalspiele 1970 und 1994 erinnern. Ich  nehme das zum Anlass, erneut eine der berühmtesten Chroniken von Nelson Rodrigues zu übersetzen und zwar die, die am Tag nach dem Finale 1970 veröffentlicht wurde. Es handelt sich schon um eine sehr reife Phase von Nelson, in der er alle seine stilistischen Elemente bereits entwickelt hatte. In der Chronik sehen wir die typischen Verdreifachungen, die Tiermetapher und die Referenzen an klassische Themen, wie Napoleon, die den sogenannten Neobarock von Nelson ausmachen. Ich weiß nicht, ob es sich, um eine der besten Chroniken handelt, der Text gewinnt seine Bedeutung vielmehr aus dem historischen Kontext, auf den er sich bezieht.
Für deutsche oder andere europäische Leser ist die Chronik wahrscheinlich erschreckend nationalistisch. Ich denke, man muss da etwas darüber hinweg sehen, denn Nelson wollte sicherlich nicht bierernst genommen werden und den Fußball eher fühlen, statt nüchtern analysieren. Natürlich trifft er mit seiner Beschreibung den Kern des brasilianischen Minderwertigkeitskomplexes, den er belächelt.
Einige Erklärungen:
-          Der Präsident war der Diktator General Médici.
-          Walther Moreira Salles ist der Besitzer einer Bank.
-          Vadinho Dolabela war ein Vertreter der Schickeria Rio de Janeiros.
-          Und das Finale 1938 war natürlich Italien x Ungarn und nicht Deutschland x Italien, wie Nelson fälschlicherweise annimmt.
Viel Spaß mit der Chronik:


Freunde, das war der schönste Sieg aller Zeiten im Weltfußball. Diesmal gibt es keine Entschuldigung, keinen Zweifel und keinen Trugschluss. Seit dem Paradies gab es keinen Fußball mehr, wie den unsren. Ihr erinnert euch, was unsere „Versteher“ über die europäischen Stars gesagt haben. Es war, als ob wir nur Holzfüße oder Fischköpfe wären. Wenn Napoleon die Buhrufe erlitten hätte, die unser Team gegeißelt haben, dann hätte er nicht einmal eine Schlacht mit Zinnsoldaten gewonnen.
Es war leichter eine Giraffe, als einen Optimisten in unseren Redaktionen zu finden. Der Optimist wurde wie ein geistig Beschränkter gesehen und bewertet. Als das Team hier abreiste, heulten die Hyänen, die Geier und die Schakale: - „Sie kommen nicht über das Viertelfinale hinaus!“ Es wurde eine Pessimismus-Kampagne angekurbelt. Und die „Versteher“ rieten: „Bescheidenheit, Bescheidenheit!“. Als ob der Brasilianer ein armer Teufel ohne Mutter und Vater wäre. Ich kann mich daran erinnern, als João Saldanha zum Nationaltrainer berufen wurde. Wir hatten eine Unterredung auf offenem Gelände. Und João sagte zu mir: - „Wir werden auf jeden Fall gewinnen! Der Pott gehört uns!“.
Die Wenigsten glaubten an Brasilien. Einer war der Präsident, der zu mir sagte: - „Wir werden gewinnen, wir werden gewinnen“ – und noch am Samstag gab er seinen Tip für das Finale ab: - „Brasilien, 4:1“. Aber die „Versteher“ schwuren, dass der brasilianische Fußball 30 Jahre Rückstand hätte. Und die berühmte europäische Geschwindigkeit? Diese Geschwindigkeit existierte unter ihnen und für sie. Aber Brasilien hat gegen Alle im Spaziergang, einfach im Spaziergang, gewonnen. Mit unserer genialen Langwierigkeit haben wir die dumme Geschwindigkeit unser Gegner begraben.
Ich habe immer geschrieben (Gott sei Dank verstehe ich nichts vom Fußball), aber ich habe geschrieben, dass das Finale von 1966 Antifußball, ja ich wiederhole, ein fürchterliches Gebolze, war. Aber wehe, wehe uns. Die „Versteher“, wenn sie nur von England oder Deutschland sprachen, dann sabberten sie schon in die Krawatte. Sie wollten die Genialität, die Magie, die Schönheit unseres Fußballs unterbinden. Aber, ohne es zu wollen, leisteten die „Versteher“ mit ihrem Schwachsinn und ihrer Unfähigkeit einen großen Dienst, denn sie ließen die Schnurrhaare unseres Teams wachsamer sein, als die Borsten des Wildschweins.
Kurios ist, dass die „Nicht-Versteher” an die Nationalmannschaft glaubten. Zum Beispiel: - Walther Moreira Salles. Er hat die Leitung einer Bewegung übernommen, die das Team finanziell unterstützt hat. Es hat nicht an Leuten gefehlt, die ihm sagten: - „Tu das nicht. Das ist eine Gurkentruppe.“ Aber kurios ist, dass Walther Moreira Salles in keinem Moment sein Vertrauen in die Nationalmannschaft verlor. Oft hat er mir gesagt: - „Ich weiß, dass wir gewinnen werden“.
Ich unterbreche das Schreiben, um ans Telefon zu gehen. Es ist Vadinho Dolabela, der letzte Bohemien, der letzte Romantiker Brasiliens. Er weint am Telefon: - „Nelson, wir haben gewonnen, Nelson! Der Pott gehört uns!“ Dass er uns gehören würde steht schon seit 6.000 Jahren fest. Noch nie hat eine Nationalmannschaft ein so perfektes Turnier gespielt, wie Brasilien 1970. Wir haben alle Pseudokobras besiegt. Alle Finale sind schwierig. Deutschland x Italien 1938 benötigte der Verlängerung. Als das Spiel vorbei war, legten sich die Spieler mehr tot als lebendig auf den Boden. Deutschland x England, erneut Verlängerung, sowohl 1966, als auch 1970. Brasilien hat keine Minute zusätzlich benötigt.
Gestern war es ein Spaziergang für uns. Das Tor für Italien, das franziskanische Tor Italiens, haben nicht die Italiener erzielt. Es war eine Spielerei von Clodoaldo. Dieser geachtete Dribbler aus Sergipe, 400-jährig, beschloss einen Absatzkick zu machen. So erhielt der Feind den Pass und das Tor als Geschenk, umsonst. Im Gegensatz dazu waren die brasilianischen Tore unveränderbare und ewige Kunstwerke. Der Kopfball von Pelé, zum ersten Zwischenstand, war etwas Überraschendes. Er stieg leicht auf, fast beflügelt, und versenkte den Ball im Eck.
Zusammengefasst: Jedes Tor der Unsrigen war ein Schatz. Schon am Vorabend erklärten die größten Autoritäten des Fußballs einstimmig, dass Brasilien das Spiel gewinnen müsse, weil es besser wäre. Das war das schreiend Offensichtliche, das die Welt erkannte, nur nicht die „Versteher“ hier. Bevor ich es vergesse, muss ich noch das Bewiesene beobachten: - Wir haben gewonnen und dabei dem Gegner ein Bad der Paulina Bonabarte gegeben. Man sagte, dass die Italiener hervorragend wären. Sie haben 4 x 1 gegen uns verloren und es hätte 4 x 0 ausgehen müssen. Oder besser: nicht 4 x 0, sonder 5 x 0 und ich erkläre es: - als Rivelino in der letzten Minute die ganze Mannschaft ausdribbelte, in den Strafraum kam und mit Ball und Körper ins Tor gekommen wäre, erlitt er den zynischsten, den offensichtlichsten Elfmeter. Es war ein sicheres Tor. Doch wir mussten auch noch gegen einen bösartigen Schiedsrichter antreten.
Freunde, ewiger Ruhm für den dreifachen Weltmeister. Dank sei dem Team, denn jetzt müssen die Brasilianer sich nicht mehr schämen Patrioten zu sein. Wir sind 90 Millionen Brasilianer, mit Sporen und Kamm, wie die Drachen des Pedro Américo.

Dienstag, 19. März 2013

Bangu

Ich habe inzwischen noch zwei Videos gefunden, die ich euch zeigen muss. Das erste hält die Situation zum Ende des Spiels vom Samstag fest. Man sieht den Spieler verletzt links vom Tor. Später erscheint er auf der Linie, um den Ball abzuwehren. Der Ball wurde aus etwa 20m abgeschossen, aber der Schiedsrichter gibt Freistoss aus etwa 11m. Seht selbst:

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http://youtu.be/_xnx4HIbYt8

Außerdem hat Bangu 1960 an einem internationalen Turnier in New York teilgenommen, bei dem auch Bayern München mitgespielt hat. Bangu hat das Turnier gewonnen und trägt deshalb stolz den Titel Weltmeister auf seinem Briefkopf. Davon gibt es einige Bilder:



Sonntag, 17. März 2013

Bangu – Duque de Caxias, 2:2



Bangu ist einer der wichtigsten Fußballklubs in Rio. Er wurde 1904 unter dem Namen „The Bangu Athletic Club“ von den Mitarbeitern einer englischen Textilfabrik in Bangu gegründet. Es handelt sich dabei um einen der westlichsten Vororte der Stadt. Mit dem Zug ist man ab Hauptbahnhof etwa eine Stunde in den beschaulichen und ländlich wirkenden Stadtteil unterwegs. Direkt am Bahnhof kann man dann die Textilfabrik bewundern, die heute zu einem Shopping Center umgebaut wurde. In ihm treffe ich Leda und Carol und wir gehen gemeinsam zum Stadion.


Man merkt sofort, dass der Verein Bangu etwas Besonderes ist. Wenn wir nach dem Weg fragten, bekamen wir fast euphorische Antworten. Der Klub war einer der Gründer der Fußballiga von Rio, einer der ersten Vereine, die dunkelhäutige Spieler zuließen und gewann zweimal die Riomeisterschaft. Laut dem Vereinshistoriker Carlos Molinari fand 1894 sogar das erste Fußballspiel Brasiliens in Bangu und nicht in São Paulo statt, wie oft angenommen wird. Aber darüber lässt sich streiten.


Das Stadion von Bangu wird allgemein „Moça Bonita“ – „Schönes Mädchen“ genannt. Nach kurzem Fußmarsch erblicken wir seine weiß-rot bestrichenen Mauern. Vor dem Stadion befindet sich ein großer Platz mit Fitnessgeräten, Hartplatz und Grillbuden für die Freizeitgestaltung der Anwohner. Wir gehen zur Grillbude der Torcida „Bangoró” und sprechen mit Nilton:


„Unser Fanklub wurde 2009 gegründet. Aber heute würde ich gar nicht mehr von Fanklub, sondern von einer Familie sprechen, denn wir treffen uns auch fernab der Spiele. Immer wieder in einer anderen Kneipe oder, wie heute, beim Grillen.“, erklärt er uns.
„Fahrt ihr auch zu Auswährtsspielen?“, will ich wissen.
„Aber natürlich! Leider spielt Bangu nur in der Riomeisterschaft und hat deshalb im zweiten Semester nie Spiele.“
„Und was bedeutet euer Name?“
„Goró ist eine umgangsspraliche Bezeichnung für ein alkoholisches Getränk, wie Schnaps. Das haben wir dann mit Bangu vermischt. Ach Übrigens, habt ihr von dem Fall gehört, dass einem Bangufan das Haus ausgeraubt wurde und dabei auch seine Sammlung von Bangutrikots geklaut wurde?“
Leda: „Ja, davon habe ich gehört!“
„Der ist hier. Wartet mal, ich stelle ihn euch vor.“
Nilton ruft Arílson, der uns seine Geschichte erzählt, die tatsächlich in den letzten Wochen durch die brasilianische Presse gegangen ist. (zum Beispiel hier: http://globoesporte.globo.com/futebol/times/bangu/noticia/2013/02/torcedor-tem-casa-roubada-e-faz-faixa-para-ladrao-devolver-blusa-do-bangu.html).


Wir verabschieden uns und gehen ins Stadion, das 1947 eingeweiht wurde und 10.000 Zuschauern Platz bietet. Es ist bei weitem nicht gefüllt, aber es tummeln sich einige sehr kuriose Gestalten. Da ist erst Mal ein älterer Herr, der einen Lautsprecher dabei hat, über den er traditionelle Märsche aus Rio spielt. In der Halbzeitpause gibt er die Hymne von Bangu zum Besten. Außerdem erblicke ich die Tante des Spielers Willen, die ein Poster mit seinem Portrait in die Höhe hält und lautstark seine Aufstellung fordert.


In der Kurve steht die Torcida „Die Bieber von Bangu“, in Anlehnung an einen wichtigen Mäzen des Vereins mit Namen Castor – Bieber. Es ist unglaublich, dass er so verehrt wird in Bangu, denn Castor ist eine zweifelhafte Persönlichkeit. Er hat sein Vermögen im Jogo do Bicho – dem Tierspiel, einer illegalen Lotterie, verdient. Castor ist 1997 während eines Heimurlaubs aus dem Gefängnis an einem Herzinfarkt gestorben. Der Bieber ziert bis heute das Trikot von Bangu. „Die Bieber von Bangu“ sind ein dutzend Jugendliche, die sich an argentinischen Fanklubs inspirieren. Sie hängen die typischen kurzen Spruchbänder auf, auf denen furchteinflößende Dinge stehen, wie: „Willkommen im Verlust der Kontrolle“, „Wir fürchten nichts, denn wir sind aus Bangu“, „Wer das Böse besingt, vertreibt es“, „Gegen den modernen Fußball“ und „ACAB“.



In der Gegengerade unterhalte ich mich mit Fabíola, die ein Spruchband, mit der Aufschrift „Stadion – Sofort“ aufgehängt hat. Was hat es damit auf sich?
„Ich vertrete die Guilherme da Silveira Gedächtnis-Vereinigung. Wir haben uns gegründet, um uns für den Erhalt eines historischen Hauses im Zentrum von Bangu, das Guilherme da Silveira, einer der Gründer des Vereins, dem Klub überlassen hat, einzusetzen. Das Haus fällt ein und wir könnten dort ein Museum für Bangu einrichten. Der Verein hat ja schließlich eine wichtige Geschichte.“


Erneut merke ich, wie wichtig der Klub Bangu für den Stadtteil ist. „Aber was ist mit dem Stadion?“
„Wir haben dann irgendwann bemerkt, dass wir uns auch für Verbesserungen im Stadion einsetzen könnten. Wir wollen keine Arena, aber hier liegt Vieles im Argen: Stadionessen, Toiletten, Sitze etc. Aber am wichtigsten wäre eine neue Flutlichtanlage. Denn wenn wir Abendspiele haben wird uns das Heimrecht entzogen, da die Flutlichtanlage den Anforderungen des Fernsehens nicht entsprechen würde.“, ereifert sich Fabíola.


Das Spiel ist sehr spannend. Erst geht Bangu in Führung, dann kann Caxias das Spiel drehen und schließlich kann Willen das Tor zum Unentschieden erzielen. Scheinbar hat der Trainer die Bitten seiner Tante erhört und ihn in der zweiten Halbzeit eingewechselt. Dann kam es in der letzten Minute noch zu der sensationellen Spielszene, die ich schon im verherigen Post beschrieben habe:


Ein Spieler von Bangu wurde hinter dem Tor verletzungsbedingt behandelt. Bei einer brenzligen Situation kam er dann ohne auf die Erlaubnis des Schiris zu warten zurück auf den Platz und verhinderte ein Tor auf der Linie. Der Spieler wurde vom Platz gestellt. Das war zu erwarten, aber wo wird das Spiel wieder aufgenommen und wie?


Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler regelwidrig aufs Feld kam oder wo der Ball in diesem Moment war? Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler den Ball abgewehrt hat oder wo der Ball abgeschossen wurde? Der Schiedsrichter hat auf „indirekten“ Elfmeter, also mit Mauer, entschieden. Fand ich seltsam und weiß immer noch nicht was richtig wäre. Der Freistoß konnte abgewehrt werden und das Spiel endete 2:2.



Die Mädels fuhren nach dem Spiel mit mir zurück in Richtung Zentrum. Wir beschlossen in der Kneipe „Aconchego Carioca“ am Praça da Bandeira zu Abend zu essen. Die Wirtschaft wurde in den letzten Monaten berühmt für ihre ausgefeilten Versionen der Küche Rios. Wir wurden nicht enttäuscht, als wir uns für folgendes Menü entschieden:
-          Feijoada-Bällchen: In einem Bohnenreisteig befindet sich Kohl und Speck, wie bei dem traditionellen Bohneneintopf.
-           Panierte Chilischotten mit Fleischfüllung. Sensationell!
-          Getrocknetes Picanha (Rinderrücken) mit Rosmarinbutter, dazu grüne Bohnen und eine Erdnussfarova (Maniokmehl).
-          Cachaçapudding. Göttlich! 


Regelfrage?


 Eine Frage an Regelkenner:
Gestern bei dem Spiel in Bangu wurde ein Spieler hinter dem Tor verletzungsbedingt behandelt. Bei einer brenzligen Situation kam er dann ohne auf die Erlaubnis des Schiris zu warten zurück auf den Platz und verhinderte ein Tor auf der Linie. Der Spieler wurde vom Platz gestellt. Das war zu erwarten, aber wo wird das Spiel wieder aufgenommen und wie?
Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler regelwidrig aufs Feld kam oder wo der Ball in diesem Moment war? Freistoß oder Schiedsrichterball an der Stelle, an der der Spieler den Ball abgewehrt hat oder wo der Ball abgeschossen wurde?
Der Schiedsrichter hat auf „indirekten“ Elfmeter, also mit Mauer, entschieden. Fand ich seltsam. Kann da jemand weiterhelfen?