Ich bin wieder daheim in Rio de Janeiro. Das
Halbfinale zwischen Brasilien und Uruguay fand aber in Belo Horizonte statt,
also beschloss ich das Spiel in der Bar do Gomes im Stadtteil St Teresa zu
verfolgen. In Rio war für heute keine Demonstration angekündigt und die Dinge
sind im Moment ruhig. Ganz im Gegensatz dazu wurde am Spielort Belo Horizonte
wieder kräftig demonstriert.
Die Entwicklungen rund um die brasilianische
Protestbewegung sind sehr interessant. Präsidentin Dilma hat ihre Ankündigung
wahr gemacht und schnell reagiert. Noch am Montag hat sie sich zunächst mit
Vertretern der Protestbewegung aus São Paulo getroffen. Gleich im Anschluß
wurde ein Meeting mit den Gouverneuren und den wichtigsten Bürgermeistern
durchgeführt. Dabei machte Dilma ein paar Vorschläge, die im Fernsehen übertragen
wurden:
1.
Ein Plebiszit, um eine
Verfassungsänderung für eine Reform des politischen Systems durchzuführen.
2.
Verschärfung der Gesetzgebung zur
Bekämpfung der Korruption.
3.
Investition von 100% der Royalties aus
der Ölgewinnung in die Bildung.
4.
Verbesserung des Gesundheitssystems.
5.
Nationaler Plan zum Ausbau des
öffentlichen Transportsystems.
Aus meiner Sicht war das ein sehr intelligenter
Schachzug, denn sie ging auf die wichtigsten Forderungen der Demonstranten ein
und machte gleichzeitig klar, dass sie die Zügel in der Hand hat. Sie, als
Präsidentin, formulierte die Forderungen, die jetzt von einer Bestätigung im
Parlament abhängen. Somit gibt sie die Verantwortung an die Abgeordneten
weiter. Es ist wichtig zu erklären, dass in Brasilien der Präsident zwar Staatsoberhaupt
und Regierungschef ist, aber nicht unbedingt über eine Mehrheit im Parlament
verfügt. Die Proteste spielen also Dilma in die Karten, denn so wurde der
nötige Druck aufgebaut, um die Reformen in die Wege zu leiten. Dilma kann sich
nun als Initiatorin profilieren.
Der Punkt des Plebiszit zur Verfassungsänderung ist
dabei der gewagteste Vorschlag, denn er geht zum einen auf die Forderung von
mehr direkter Demokratie ein und kann sich deshalb des Rückhalts in der
Bevölkerung gewiss sein. Zum anderen dürfte besonders die konservative
Opposition gegen ihn Sturm laufen, weil sie befürchten muss, dass Dilma damit
ihre eigene Position stärken wird.
Wie nicht anders zu erwarten war, ließen die
Proteste nicht auf sich warten. Konservative Oppositionsführer merkten an, dass
Volksabstimmungen über die Verfassung sehr an bolivarianische Regime, wie das
Venezuela von Chaves oder das Ekuador von Correas, erinnern würden. Dilma traf
sich gestern mit Verfassungsrechtlern, die ihr scheinbar von der Idee abrieten,
denn heute wurde vermeldet, dass das Plebiszit wohl nicht stattfinden wird.
Währenddessen trifft sich Dilma weiter mit Vertretern von Gewerkschaften und
Brasiliens oberstem Richter.
Plötzlich geht auch im Parlament alles ganz schnell.
In den letzten zwei Tagen wurden mehrere Abstimmungen durchgeführt, die Teil
der Forderungen der Demonstranten sind. So wurde die PEC 37, die der
Staatsanwaltschaft investigative Befugnisse entzogen hätte abgelehnt. Außerdem
wurde schon entschieden, dass die Royalties der Ölgewinnung zu 75% in die
Bildung und zu 25% in das Gesundheitssystem fließen sollen. Schließlich wurde
auch die Praktik der geheimen Abstimmung im Parlament aufgehoben. Die
Abstimmung zur Verschärfung der Gesetzgebung zur Korruption ist noch für heute
angekündigt. Es ist atemberaubend.
Insgesamt scheint es mir so, dass Dilma als
Gewinnerin aus den Auseinandersetzungen gehen könnte. Sie macht Vorschläge, zeigt
sich als starkes Staatsoberhaupt, bleibt aber trotzdem bescheiden und unaufgeregt.
Dilmas Arbeiterpartei PT kann viel glaubhafter verkaufen, dass sie mit den
Demonstranten auf der Straße koaliert, als ihre konservative Opposition.
Aber zurück
zum Spiel. Das Spiel fand um 16.00h, also noch während des normalen
Arbeitstages statt. Trotzdem war nicht nur die Bar do Gomes sondern auch die
Nachbar-Kneipe Nega Tereza gerammelt voll. Der Confed Cup hat die Brasilianer
mehr mobilisiert als ich dachte. Deswegen stehe ich auch zu der Aussage, dass
die Leute nicht gegen den Fußball oder die WM sind, sondern gegen die FIFA und
die Verteilung von Ressourcen.
Uruguay spielte taktisch sehr klug und war der
bisher stärkste Gegner für Brasilien. Außerdem verschoss Forlan einen Elfmeter.
Aber zum Schluss zeigte Brasilien dann doch, dass sie den Sieg mehr wollten. Ich
bin beeindruckt von der Art, wie Felipão es versteht ein Team zu formen. Brasilien
wurde von einer vernachlässigbaren Mannschaft zu einem Titelfavoriten. In Belo
Horizonte zog sich der Protestmarsch friedlich vom Zentrum bis zum Stadion im
Stadtteil Pampulha. In Pampulha kam es wieder zu Ausschreitungen. Autos und
Busse wurden in Brand gesetzt und ein Hyundaihändler mit Steinen beworfen.
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