São Paulo ist ein absolutes Paradies für Gourmets. Diese
Woche war ich chilenisch, portugiesisch, italienisch, amazonisch und japanisch
essen. Am dritten Spieltag konnte ich noch mit zwei deutschen Freunden –
Christian und Simone - ein Spiel von Corinthians im Pacaembu verfolgen. Zuvor
waren wir in einem jüdischen Restaurant, wo es leckere „Gefillte Fisch“ (Kalte
Fischfrikadellen mit einer Meerrettich-Rote Beete-Sauce) gab. Danach liefen wir
in Enricos Hauskneipe Tiro Liro ein, um das deutsche Pokalfinale zu sehen und
schon mal vorzuglühen. Das klappte Alles hervorragend. Enrico konnte uns sogar
mit dem Auto zu dem sehr zentrumsnah gelegenen städtischen Stadion Pacaembu fahren.
Das Pacaembu wurde 1940 in der typischen Architektur
der Zeit von Präsident Vargas eingeweiht. Es wurde in ein Tal gebaut, so dass
man direkt vom Hang aus in die Oberränge der Tribünen kommt, während sich
hinter der Kurve der Heimfans eine imposante Fassade Richtung
Charles-Miller-Platz erhebt. Lange, klare Linien und Säulen bestimmen diesen
Modernismus-Stil. In den Räumen dieser Tribüne befindet sich auch das sehr
empfehlenswerte brasilianische Fußballmuseum, das aber an Spieltagen geschlossen
ist.
Am Stadionvorplatz angekommen, bemerken wir, dass es
für die Kurve der Heimfans keine Karten mehr gibt. Also kaufen wir kurzer Hand
Eintrittskarten im Gästebereich für die deutschen Besucher (R$30 = €12, ist ok).
Wie schon am Mittwoch im Morumbi, so wurde auch hier der Vorplatz „gereinigt“.
Es gibt keinerlei Fressbuden, die die berühmten Sandwiches mit Schweinehaxen
anbieten könnten. In Seitenstraßen sehe ich Leute, die die heißen Grillplatten
direkt in den Kofferraum ihres Autos gebaut haben und so Sandwiches verkaufen. Sie
haben viel zu tun.
Christian und Simone gehen schon mal ins Stadion,
während ich mich mit der Presseabteilung von Corinthians auseinandersetze. Am
Presseeingang werde ich informiert, dass ich zunächst ein Armband brauche und
das bekomme ich nur auf der anderen Seite des Stadions. Dort angekommen erklärt
mir der Pressesprecher, dass er keinen Platz mehr für mich hat. Man muss hier
erklären, dass ich einen brasilianischen Sportjournalistenausweiß habe, der mir
Zutritt zu allen Spielen garantiert. Das funktioniert auch immer, nur
Corinthians will das im Moment außer Kraft setzen. Grund scheint zu sein, dass
viele Corinthiansfans zu solchen Ausweißen gekommen sind und sich so Zugang
verschafft haben, ohne zu arbeiten und ohne zu zahlen. Ich musste also alle
meine Überredungskünste zusammensuchen, um meinen Zutritt zu garantieren. Mit
meiner Versicherung, dass ich weder Corinthians-, noch Ponte Preta-Fan bin,
habe ich es dann auch geschafft.
Corinthians ist einer der wichtigsten
brasilianischen Vereine. Er hat nach Flamengo die zweitgrößte Fanmenge in
Brasilien. Letztes Jahr gelang es dem Team sowohl die Copa Libertadores, als
auch den Weltpokal zu gewinnen. Der 1910 von italienischen Migranten gegründete
Verein, gilt als der Arbeiterklub in São Paulo. In seinen Reihen spielten schon
einige der wichtigsten Stars Brasiliens, wie Rivellino, Socrates oder
Casagrande. Letztere beteiligten sich an der „Corinthianischen Demokratie“,
einer Redemokratisierungsbewegung zum Ende der Militärdiktatur.
Der größte Fanklub von Corinthians, die „Gaviões da
Fiel“, war auch an der „Corinthianischen Demokratie“ beteiligt und konnte sich
so großen Einfluss im Klub erarbeiten. Heute hat der Fanklub seine eigene
Sambaschule, mit beeindruckenden Vereinsstrukturen, die regelmäßig an den
großen Karnevalsumzügen in São Paulo teilnimmt. Der organisatorische Aufwand
ist immens.
Da jeglicher Machtfaktor hinterfragt werden muss,
wurden die „Gaviões da Fiel“ zu einem der polemischten Fanklubs Brasiliens.
Sie, und mit ihnen alle Corinthiansfans, gelten landesweit als ungehobelt, schlecht
erzogen und gewalttätig. Aktuell werden die Ereignisse rund um ein
Libertadores-Spiel der Corinthians in Oruro (Bolivien) diskutiert. Dort
veranstalteten die „Gaviões da Fiel“ eine Pyrotechnik-Show. Leider hatten
einige Fans die unglückliche Idee ihr Feuerwerk in den Heimfanblock zu
schießen. Ein Fan von San José wurde dabei so schwer getroffen, dass er
verstarb.
Die bolivianische Polizei hat daraufhin willkürlich 12 Corinthians-Fans festgenommen, die bis heute – also schon über drei Monate – in Oruro festsitzen. Es ist inzwischen ziemlich klar, dass der eigentliche Täter nicht darunter ist. Die bolivianische Seite scheint die 12 eher als Geiseln zu verwenden, um die Herausgabe des Täters zu erzwingen. Corinthians nutzt diesen Umstand, um sich selbst als Opfer darzustellen. Mehrfach ertönten Sprechchöre, die auf die „12 Unschuldigen“ aufmerksam machten. Die „Gaviões da Fiel“ organisierten für Samstagabend ein Benefizkonzert zu Gunsten der Familienangehörigen. Dies wurde vom Stadionsprecher verkündet.
Ich traf Christian und Simone im Auswärtsfanblock
wieder. Dort sah man die Sache natürlich anders. Ponte Preta ist ein kleiner
Verein aus Campinas im Hinterland von São Paulo, von wo etwa 500 Fans anreisten.
Für die Ponte Preta Fans ist Corinthians natürlich der arrogante Verein aus der
Großstadt, dessen Fans ungehobelt, schlecht erzogen und gewalttätig sind. Sie
hofften auf einen Außenseitersieg.
In der ersten Halbzeit nahm Corinthians mit seinen
Starstürmern Alexandre Pato (Ex-Milan) und Paolo Guerreiro (Ex-Bayern und HSV)
zwar das Heft in die Hand konnte sich aber nicht wirklich Chancen erarbeiten.
Es war eigentlich ein recht schlechtes Spiel. In der zweiten Halbzeit machte
dann der Außenseiter überraschend richtig Druck und kam zu mehreren Chancen,
traf aber nur den Pfosten. Mitte der zweiten Halbzeit schickte der Trainer von
Corinthians mit Emerson seinen dritten Stürmer auf den Platz. Das verunsicherte
Ponte Preta so, dass er schon nach wenigen Minuten das 1:0 Siegtor erzielte.
Danach war die Luft raus.
Wir verließen das Pacaembu und machten uns daran das
Tal, am Friedhof vorbei, zur U-Bahnstation hinaufzulaufen. Von dort waren es
nur wenige Stationen bis zu unserem Hotel. Die Heimfahrt ging rasch und
unkompliziert.
P.S.: In der Früh waren wir im Afrobrasilianischen
Museum im Ibirapuera-Park. Dort wurde eine Ausstellung zu Ehren der
Afrobrasilianischen Fußballspieler Brasiliens gezeigt. Einer der wichtigsten
war Friedenreich, dessen Biografie ich geschrieben habe.
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