Ich bin in meiner zweiten Station Belo Horizonte
angekommen. Auf dem Programm stand das Spiel des Außenseiters Tahiti, der eine
riesige Medienaufmerksamkeit erfährt, gegen Nigeria. Schon gestern Nacht landete
ich auf dem Flughafen Confins. Meine Gastgeberin Marina holt mich am Flughafen
ab und jammert über die Vorbereitungen zum Spiel. „Nicht nur unsere Straße,
sondern der ganze Stadtteil wurden für Autos gesperrt. Man kommt kaum noch
durch. Parken ist auch verboten.“ Und tatsächlich, als wir ankommen erhebt sich
vor uns ein kurioser Schilderwald und leere Straßen.
Heute, am Spieltag, waren wir dann lieber zu Fuß
unterwegs. Zuerst in einer Wirtschaft stärken, um die berühmte Küche der
Mineiros zu testen. In großen dampfenden Steintöpfen wird uns viel Fleisch,
Speck, Kohl und Maniokmehl geboten. Gut gesättigt treten wir den Marsch zum
Stadion an. Die Straßen sind weiterhin leer. Tahiti – Nigeria ist halt kein
Publikumsmagnet. Kurz vor dem Mineirão kommen wir am „Amarelinho“ vorbei. Eine
Traditionelle Fankneipe, die sogar überraschender Weise geöffnet ist. Wir
dachten, dass sie an Spieltagen schlossen werden muss. Gemütlich trinken hier
ein paar Fans ein Bier.
Von dort sind es nur noch wenige Schritte ins
Stadion. Am Stadionvorplatz werden von den Sponsoren mehrere Spielchen
angeboten, wie Torwand schießen, oder Fotos machen. Im Stadion ist endlich mal
die Beschallung nicht mehr ganz so laut wie in Brasilia oder dem Maracanã.
Viele Sitze bleiben leer, nur etwa 20.000 Zuschauer wollen die Tao Aito, die
Eisenmänner, gegen die Adler aus Nigeria sehen. Aber immerhin verirren sich
sogar ein paar Fans der beiden Mannschaften in das weite Rund.
Die Brasilianer haben sich klar entschieden: sie
unterstützen Tahiti. Die Tao Aito betreten den Platz mit Muschelketten und
singen ihre Hymne.
Sollten die Tahitianer irgendeine Hoffnung gehabt
haben, so wurde diese schnell zerstört. Schon in der 5. Minute schießt ein
Tahitianer in den Rücken des Unparteiischen. Von dort prallt der Ball so ab,
dass er vor die Füße von Echiejile fällt. Dessen Schuss wird von zwei
Tahitianer so abgefälscht, dass er unhaltbar ins Tor fliegt. Von da an pfeifen
die Brasilianischen Zuschauer nur noch bei Ballbesitz Nigeria. Zu ihrem Jubel
gelingt Tahiti sogar ein Tor in der 54. Minute. Aber zum Schluss heißt es dann
doch deutlich 6:1 für Nigeria.
Mein Kollege Reinhard von der Zeitschrift „Ballesterer“
aus Wien kommt Mitte der zweiten Halbzeit ins Stadion gehetzt. „Kommst du jetzt
erst?“, frage ich. „Ja, im Zentrum wird wieder demonstriert und mein Bus kam
nicht durch.“ Der Confed Cup hat Brasilien scheinbar aufgerüttelt. Auch gestern
vor dem Spiel Italien – Mexiko gab es Proteste in Rio de Janeiro. Heute sogar im ganzen Land: Brasilia,
São Paulo, Rio de Janeiro, Fortaleza und Belo Horizonte. In Rio waren es beeindruckende 100.000 Leute. Angeblich 40.000 in Belo Horizonte.
Nach dem Spiel
treffen wir Silvio und Priscilla von der Uni UFMG. Wir werden von der Polizei gezwungen
einen bestimmten Weg zu nehmen, der „Fanwalk“ genannt wird. Kurz vor der Avenida
Antonio Carlos gehen wir in eine Kneipe. Wir bestellen ein Bier und Rippchen
mit Guavensauce (sehr lecker!), als wir plötzlich bemerken, wie Hunderte von
Polizisten zu Kreuzung abgezogen werden. Ich habe mir das natürlich angeschaut.
An der Kreuzung kam es zum Aufeinandertreffen der Demonstranten und der
Polizei. Als dann aber Tränengas versprüht wurde, haben die Besitzer der Bar die
Nerven verloren und die Türen verrammelt. Wir waren dann drinnen gesessen. Der
Dampf des Tränengases kam trotzdem durch die Ritzen rein.
Wir tranken
weiter gemütlich unser Bier. Die Brasilianer haben einfach keine
Hooliganerfahrung. Irgendwann wurden die Türen wieder geöffnet, um endlich die
Luft zirkulieren zu lassen. Dann begannen wir zu diskutieren.
Marina sagte: „Ich
habe mehrere Blickwinkel. Zum einen halte ich die Proteste für berechtigt. Zum
anderen halte ich sie für gefährlich, da sie politisch genutzt werden können,
von Leuten, die ich eher nicht in der Politik sehen will. Außerdem denke ich
mir: Lass die Demonstranten vorbeiziehen und es wird nichts passieren.“
Silvio ergänzte:
„Leider haben politische Vereinigungen in Brasilien die Ideologien
vernachlässigt, um ganz pragmatisch Wahlen zu gewinnen. Das ist bei diesen
Demonstrationen auch der Fall.“
Darauf Marina: „Ich
habe Angst , dass die politische Rechte sagen wird: ihr die PT, die politische Linke,
die jetzt mit Dilma an der Regierung ist, ward nicht in der Lage, die WM zu
organisieren.“
Wir zahlen.
Marina wohnt gleich gegenüber. Marinas Eltern haben natürlich auch mitbekommen,
was passiert ist. Als wir ankommen beginnen Marina und ihr Papa Geraldo zu
diskutieren. „Demokratie heißt auch Grenzen zu respektieren. Diese
Demonstranten respektieren nichts. Sie müssen in ihre Schranken gewiesen
werden.“, so Geraldo.
Darauf Marina: „Aber
die Demonstranten sind doch hier nicht die Starken. Wer sich hier mit Gewalt
durchsetzen will ist die Polizei. Sie brauchen Grenzen.“ Geraldo ist ein
alter Kämpfer von den Gewerkschaften und jetzt wahrscheinlich froh, dass die PT
an der Macht ist. Er merkt wohl kaum, dass er sehr konservative Meinungen
formuliert. Klar wird, dass die Sportgroßereignisse einigen Zündstoff
haben und dieser sich jetzt entlädt. Man darf gespannt sein, wie sich das
weiterentwickelt.
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