Sonntag, 30. September 2012

Flamengo – Fluminense, 0:1



Fluminense ist der älteste Verein Rio de Janeiros. Er wurde am 21. Juli 1902 von aristokratischen Bürgern, viele englischer Abstammung, in Rios feiner Südzone gegründet. Bis heute behält der Verein die englische Schreibweise „Football Club“ bei. Noch im selben Jahr gelang es Fluminense einen Fußballplatz im Stadtteil Laranjeiras anzumieten, wo der Verein bis heute seinen Sitz hat. Das wunderschöne Stadion Laranjeiras wurde 1918 zu seiner heutigen Größe im neokolonialen Stil ausgebaut. Prunkstück ist der Ballsaal mit seinen Prachtfenstern im Gebäude der Haupttribüne. Die Vereinsfarben sind grün-weiß-rot, deshalb werden seine Anhänger Tricolores genannt.
1911 trat eine komplette Mannschaft im Streit bei Fluminense aus und gründete die Fußballabteilung bei Flamengo. Damit wurde das berühmte Stadtderby Fla-Flu, quasi als Vater-Sohn Duell geschaffen. Das Spiel bannt die Massen und hat einige denkwürdige Partien erlebt. Eines der berühmtesten ist das Fla-Flu der Lagune, bei dem die Spieler von Fluminense so lange die Bälle aus dem Stadion Flamengos in die Lagune droschen, bis sie den Sieg über die Zeit gerettet hatten. 1995 wurde die Riomeisterschaft durch das Bauchtor von Renato Gaúcho im strömenden Regen vor 112.000 Zuschauern zu Gunsten Fluminenses entschieden. Das kuriose Tor fiel in der 86. Minute, nachdem Fluminense schon drei rote Karten bekommen hatte.
Heute, 30. Oktober 2012, ereignete sich dieses Derby zum 390. Mal. Es symbolisiert in der Stadt Rio de Janeiro das Aufeinandertreffen von Arm (Flamengo) gegen Reich (Fluminense). Aber es ist auch das Duell der mächtigen breiten Masse (Flamengo), gegen eine numerisch unterlegene Elite (Fluminense). Während Fluminense in diesem Duell in der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts dominierte, spricht die Statistik in der zweiten Hälfte eindeutig für Flamengo. Im XXI. Jahrhundert beschloss der Besitzer einer großen brasilianischen Krankenkasse sein Geld, nicht immer ganz rational, in Fluminense zu investieren. Seitdem dreht sich das Pendel wieder leicht zu Gunsten Fluminenses.
Dies zeigt sich auch in der aktuellen Tabelle, denn während Fluminense Spitzenreiter ist, hat sich Flamengo erst diese Woche Luft im Abstiegskampf verschafft. Beide Vereine haben im Moment in Europa bekannte Spieler im Kader, bei Fluminense: Deco (Barcelona), Thiago Neves (HSV), Rafael Sobis (Betis) und Fred (Lyon), bei Flamengo: Vagner Love (ZSKA Moskau), Liedson (Sporting). Diese Situation führte auch zu einem guten Publikum: etwa 30.000 Fans waren gekommen, um das ewig junge Derby zu sehen. Als ich am Engenhão ankomme ist schon viel los in den engen Gassen.  
Als noch etwa 15 Minuten bis zum Anpfiff fehlten, bahnte sich eine tanzende und laut singende Gruppe den Weg durch die Massen: die Young Flu, wichtigste Ultra-Gruppierung von Fluminense. Diesen Moment habe ich gefilmt:


Ich dachte, dass die Situation schon vorbei wäre und beendete die Aufnahme. Doch es dauerte nur etwa drei Sekunden, bis ein Polizist mitten im Getümmel einen Warnschuss in die Luft abgab. Die Menge stob auseinander und der Polizist schrie laut herum. Die Szene ist hier zu sehen:


Was war geschehen? Die Polizei wollte den Fans nur das Tanzen verbieten. Sie sollten doch bitteschön ruhig und gesittet zum Spiel gehen. Ich dachte mir nur, dass das eine seltsame Vorstellung von Fußball ist. Aber leider werden in Brasilien im Moment viele Maßnahmen ergriffen, die angeblich dazu beitragen die Fans zu erziehen.
Aber nun zum Spiel: das 390. Derby war voller Aufregung und Brisanz. ES fehlte eigentlich nichts, außer eventuell ein oder zwei Tore mehr. Die erste Halbzeit wurde von Fluminense dominiert. Flamengo mühte sich sein Angriffsspiel aufzubauen, aber der Spitzenreiter stürmte blitzschnell dazwischen und hätte mit seiner wirbelnden Angriffsraute aus Fred, Wellington Nem, Deco und Thiago Neves schon früh in Führung gehen müssen. In der 18. Minute war es dann endlich so weit: Fred netzt mit einem wunderschönen Fallrückzieher, nach einer Flanke von Deco in den Rücken der Abwehr, ein.
Die zweite Halbzeit hätte kaum unterschiedlicher sein können. Ich hatte das Gefühlt, dass besonders der Sturm von Fluminense der Atem ausging und einbrach. Flamengo kam zu unglaublichen Chancen, die klarste ein Elfmeter in der 85. Minute, der aber von Diego Cavalieri abgewehrt wurde. Kurz zuvor wurde schon ein Schuss aus fünf Metern über Latte gedroschen. Fluminense war nur noch auf Spielzerstörung und Zeitspiel aus, als in der 95. Minute endlich der rettende Schlusspfiff kam. Gestern hatte der Verfolger Atlético – MG schon gegen die Portuguesa in São Paulo unentschieden gespielt und so hat Fluminense jetzt einen Vorsprung von sechs Punkten. Wäre da nicht dieser mysteriöse Leistungseinbruch der zweiten Halbzeit, würde ich sagen, dass Fluminense mit Meilenstiefeln auf die vierte Meisterschaft zuläuft. 

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