Mittwoch, 21. August 2013

Politische Tendenzen

Es sind nun etwa zwei Monate vergangen, seit die Massenproteste des Confed Cups begannen. Zeit also, mal die politische Landschaft zu betrachten, um zu sehen, welche Konsequenzen es gab. Die politische Szene wird seitdem von geradezu ungeheuerlichen Schlagzeilen erschüttert: verschiedene Gebäude im Maracanã-Komplex, wie die Grundschule, das Freibad, das Leichtathletikstadion und das Indianermuseum, werden erhalten bleiben und jetzt scheint auch die Siedlung Vila Autodromo am Olympiapark bleiben zu dürfen. Hier Berichte zu diesen Fällen:
Die Massenproteste im Juni scheinen zu einem wahren politischen Erdbeben geführt zu haben. Ich werde versuchen die aktuelle Situation anhand von drei Politikern zusammenzufassen.

Sergio Cabral (Gouverneur von Rio de Janeiro)

                                                http://pt.wikipedia.org/wiki/S%C3%A9rgio_Cabral_Filho

Die Governeure stehen nächstes Jahr im Oktober gemeinsam mit dem Präsidenten zur Wahl. Sergio Cabral ist schon in der zweiten Amtszeit und kann sich somit nicht zur Wiederwahl stellen. Er befindet sich also in den letzten 18 Monaten seiner Regierungszeit. Als Nachfolger hat er in seiner Partei PMDB seinen Stellvertreter Pezão vorgeschlagen. Im Moment hat dieser aber eher niedrige Erfolgschancen.
Der Grund dafür ist, dass Cabral scheinbar seinen ganzen politischen Kredit in den letzten Wochen verspielt hat. Seit dem Confed Cup zeltet eine Gruppe Unermüdlicher vor seinem Haus und wöchentlich gibt es Demonstrationen vor dem Regierungspalast. Ihm wird vorgeworfen, dass er sich bei seinen Entscheidungen diktatorisch und zu autoritär verhalten hätte. Gerade der Maracanã-Komplex, mit der Grundschule, dem Freibad, dem Leichtathletikstadion und dem Indianermuseum, gehören zu seinem Aufgabenbereich.
Hier wurden große Konflikte mit massivem Polizeiaufgebot ausgefochten, um diese Gebäude abzureißen, damit Platz für Parkplätze geschaffen werden kann. Im Juli gab es aber eine Kehrtwende nach der anderen. Jetzt scheint es sogar so zu sein, dass die Indianer tatsächlich zum Wohnen ins Indianermuseum zurückkönnen. Das sieht sehr nach politischen Verzweiflungstaten aus. Cabral scheint sich nicht mehr durchsetzten zu können. Deshalb denke ich, dass Pezão wohl der Kandidat seiner Partei wird, aber eigentlich keine Chancen hat.
Cabral ist ein Beispiel dafür, wie eine Politikerkarriere erdrutschartig in zwei Wochen beendet werden kann. Er wurde 2010 mit Traumwerten wiedergewählt und jetzt muss man sich fragen, ob er je wieder auf ein Amt kandidieren kann.

Eduardo Paes (Bürgermeister von Rio de Janeiro)

                                                       http://pt.wikipedia.org/wiki/Eduardo_Paes

Die Situation Von Eduardo Paes ist etwas anders, denn er hat zwei Jahre länger Zeit, um sich zu erholen. Die Bürgermeisterwahlen stehen erst 2016 an. Paes ist ebenso in seiner zweiten Amtszeit und kann somit nicht wiedergewählt werden. Aber es geht ja immer auch darum welches politische Kapital aus einem Amt in das nächste mitgenommen werden kann.
Sein größtes Problem ist im Moment, dass im Stadtrat ein Untersuchungsausschuss zum Thema des städtischen Busverkehrs eingerichtet wurde und, dass der Stadtrat nur Lobbyisten der Busunternehmen in den Untersuchungsausschuss entsand hat. Seitdem wird auch in und um den Stadtrat demonstriert. Das Thema öffentlicher Transport war eines der wichtigsten Themen der Massenproteste im Juni. 
Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass er nicht mit der gleichen Vehemenz in der Kritik steht, wie Cabral. Aber letzte Woche wurde gemeldet, dass die Vila Autodromo, ein armes Fischerdorf am zukünftigen Olympiapark bleiben darf. Das Dorf ist sicherlich im Moment nicht sonderlich hübsch, könnte aber, aus meiner Sicht, mit geringen Ressourcen sogar zu einem touristisch attraktiven Ort mit Fischrestaurants und Blick auf die angrenzende Lagune, aufgewertet werden. Das war aber nie die Idee der Stadtverwaltung. Sie wollte die Vila Autodromo immer nur platt machen und die Bewohner verjagen.
Ich sah wenige Chancen, dass diese Bewohner bleiben könnten. Umso überraschender ist die aktuelle Nachricht. Das könnte auf einen Einflussverlust des Bürgermeisters hindeuten. Es kann aber auch sein, dass er einfach eingesehen hat, dass er zu viel Ansehen verliert, wenn er auf die Vertreibung der Vila Autodromo pocht und deswegen geschickt nachgibt.
Der Gedanke dahinter könnte sein, dass er drei Jahre Zeit hat sein verlorenes politisches Kapitel wiederzuerlangen. In diesen drei Jahren werden in Rio die WM und die Olympischen Spiele stattfinden. Da kann also noch viel passieren. Paes steht sicherlich besser da, als Cabral.
In jedem Fall: Glückwunsch an die Vila Autodromo!

Dilma Rousseff (Präsidentin)

                                                            http://pt.wikipedia.org/wiki/Dilma_Rousseff

Nächstes Jahr im Oktober werden auch Präsidentschaftwahlen stattfinden und Dilma ist Kandidatin auf die Wiederwahl. Ihre Umfragewerte sind während des Confed Cups in den Keller gefallen. Aber sie hat weder etwas mit den Gebäuden im Maracanã-Komplex, noch mit der Vila Autodromo zu tun. Außerdem hat sie als Präsidentin eine ganz andere Bühne, um sich als Konfliktmanagerin zu etablieren.
Aus meiner Sicht hat sie die Bühne genutzt. Schon am 21.06.13, also einen Tag nach den größten Demonstrationen, hat sie im Fernsehen eine Ansprache an die Nation gehalten und dabei vier Punkte vorgeschlagen:
1.      Nationaler Plan für den Nahverkehr.
2.      Investition der Ölroyalties in die Bildung. (am 20.08.13 verabschiedet)
3.      Anwerben von ausländischen Ärzten für das staatliche Gesundheitssystem.
4.      Verschärfung der Antikorruptionsgesetze. (Noch während des Confed Cups verabschiedet)
Damit zeigte sie sich als starke Managerin, die selbst und umgehend Vorschläge einbringt. Trotzdem zeigte sie sich auch bescheiden, indem sie sagte: „Ich höre euch.“ Der entscheidende Satz war aber aus meiner Sicht: „Ich vertraue darauf, dass der Nationalkongress das von mir eingereichte Gesetztesprojekt verabschieden wird, dass vorsieht, alle Royalties aus der Ölgewinnung exklusiv der Bildung zukommen zu lassen.”
Mit diesem Satz macht sie zum einen klar, dass sie selbst das Gesetz gemacht hat und zwar schon vorgeraumer Zeit, und zum anderen nimmt sie den Nationalkongress in die Pflicht, jetzt auch zu handeln. Somit gelang es ihr Verpflichtungen weiterzuleiten.
Ein paar Tage später lud sie alle Gouverneure des Landes ein und verkündete vor ihnen und vor laufender Kamera erneut die vier oben genannten Vorschläge und fügte noch einen fünften dazu: ein Plebiszit zur Reform des politischen Systems. Daraus wird wohl nichts. Aber es wird an dem Widerstand einiger Parlamentarier scheitern und nicht am Willen der Präsidentin.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Dilmas Strategie aufgeht, denn ihre jüngsten Umfragewerte steigen wieder. Sie konnte sich als starke Staatsfrau darstellen und zeigen, dass sie Reformwillen hat, dieser aber an Gegenstimmen im Nationalkongress scheitert. Ich denke sie ist eine aussichtsreiche Kandidatin für die Wiederwahl.

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